Verdacht auf Kindesmisshandlung – was tun?

Täglich leiden Kinder in Deutschland unter Gewalt. Die Täter sind nicht selten die eigenen Verwandten. Und: Die Klagen der Kinder werden nicht gehört, erklärte kürzlich die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in ihrem Bilanzbericht. Was aber können Therapeuten tun, wenn sie den Verdacht haben, ein Kind werde misshandelt. Jedes Kind hat gemäß § 1631 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“, heißt es wörtlich. Züchtigungen wie Ohrfeigen oder ein „Klaps auf den Po“ sind also seit dem Jahr 2000 verboten. Eltern müssen hier mit Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen (§ 223 Strafgesetzbuch - StGB), bei massiver Misshandlung von Schutzbefohlenen drohen bis zu zehn Jahre Haft (§ 225 StGB). Hohe Dunkelziffer So weit die rechtliche Lage. Die Realität sieht leider anders aus: 2017 lag die Zahl der misshandelten Kinder in Deutschland laut polizeilicher Kriminalstatistik immer noch bei 3.542. Die Polizei geht allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus. Wesentlich höher liegen die Zahlen der Kinder, die Opfer sexuellen Missbrauchs werden: 13.539 erfasste Fälle waren es 2017. Mehrheit lehnt körperliche Strafen ab Ein erfreulicher Aspekt ist, dass die Zahl derer, die körperliche Strafen ablehnen, wächst. Für die Mehrheit der Deutschen ist „der kleine Klaps“ oder die Ohrfeige mittlerweile tabu, wie eine 2016 veröffentlichte Studie ergab. Danach bewerteten 44,6 Prozent einen „Klaps auf den Po“ als akzeptabel (2005 waren es noch 76,2 Prozent); eine leichte Ohrfeige bewerteten 17 Prozent als in Ordnung (2005: 53,7 Prozent). Dennoch ist sicherlich jeder Fall zu viel, in dem Kinder nicht geschützt werden. Daher hat die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs kürzlich ein flächendeckendes Hilfsnetz mit Fachberatungsstellen gefordert, das durch eine dauerhafte Finanzierung sichergestellt werden müsse. Diagnose mit Vorsicht treffen Laut ICD 10 werden vier Formen von Kindesmisshandlung unterschieden: Körperliche Misshandlung Sexueller Missbrauch Misshandlung durch Vernachlässigung Psychische Misshandlung Eine Diagnose Kindesmisshandlung ist jedoch schwerwiegend und sollte daher mit aller Vorsicht getroffen werden. Hinweise auf eine mögliche Misshandlung können fehlende plausible Erklärungen für Verletzungen sein oder auch eine nicht altersgemäße Verletzung. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin bieten Unterstützung bei der Diagnosestellung und Dokumentation, zeigen mögliche praktische Vorgehensweisen auf und geben Hinweise zur Risikoabschätzung. Leitfaden „Gewalt gegen Kinder“ Auch die Leitfäden „Gewalt gegen Kinder“ bieten bei der Abklärung einer möglichen Kindesmisshandlung Hilfe an. Sie liegen inzwischen in allen Bundesländern vor. Zur Diagnose und deren Dokumentation kann auf standardisierte Dokumentationsschemata, wie etwa den Dokumentationsbogen des Klinikums Kassel zurückgegriffen werden. Kinderschutzhotline unter der Rufnummer 0800 19 210 000 Bei einem Verdacht können sich Therapeuten an ärztliche Kinderschutzambulanzen wenden, die es inzwischen in vielen deutschen Städten gibt. Aber auch die Polizei oder die Fachleute von Beratungsstellen wie Jugendnotdienst, Pro Familia oder der Kinderschutzbund können erste Ansprechpartner sein. Nicht zuletzt bietet die Medizinische Kinderschutzhotline Hilfe an. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte Angebot ist bundesweit kostenlos und rund um die Uhr unter der Rufnummer 0800 19 210 000 erreichbar. Geleitet wird das Projekt von Professor Jörg M. Fegert von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm. Flyer zur Medizinischen Kinderschutzhotline Im letzten Jahr ist zur Medizinischen Kinderschutzhotline ein Flyer erschienen. Er fasst alle wichtigen Informationen über das telefonische Beratungsangebot zusammen, an das sich medizinisches Fachpersonal bei Verdacht auf Kindesmisshandlung wenden kann. So geht es beispielsweise um Fragen zu den gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf Schweigepflicht und ärztliches Handeln oder welche Schritte im Kinderschutzfall eingeleitet werden müssen. Online-Grundkurs „Kinderschutz in der Medizin“ Das Universitätsklinikum Ulm bietet zum Thema „Kinderschutz in der Medizin“ einen Online-Grundkurs für alle Gesundheitsberufe an. Der Kurs, der vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert wird, gibt eine Übersicht über die Epidemiologie und Diagnostik der Misshandlungsformen sowie rechtliche Regelungen, heißt es auf der Webseite. Mit Fallbeispielen, Übungen und Filmclips zur Gesprächsführung werden praktische Anwendungshilfen vermittelt. Zielgruppe des Kursangebotes sind Ärzte, approbierte Psychotherapeuten, Pflegekräfte sowie Co-Therapeuten. In der Projektphase (Juni 2015 - September 2020) kann der Kurs kostenlos angeboten werden. Möglicher letzter Kursstart ist am 19. März 2020. Kinderschutz-App „Hans & Gretel“ Ein weiteres Hilfsmittel zu einer sicheren Einschätzung bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung kann die Kinderschutz-App „Hans & Gretel“ sein, die die sächsische Landesärztekammer und die Techniker Krankenkasse entwickelt haben. Sie ist kostenlos und jederzeit über www.hansundgretel.help oder als mobile App erhältlich. Außerdem interessant: Kinderschutzhotline: Mehr als 650 Beratungen im ersten Jahr Seminar zum Umgang mit Gewalt in Praxen