Logopäde besucht Therapiepraxen in ganz Deutschland

Stefan Reck ist ein Mensch, der neugierig ist, sich gerne austauscht und offen ist für neue Ideen und Anregungen. Um sich von Kollegen inspirieren zu lassen, reist der Logopäde und Praxisinhaber durch ganz Deutschland und erhält so Einblicke in viele verschiedene Therapiepraxen. Zu seinen Reisen postet er regelmäßig bei Facebook. Mittlerweile bekommt er sogar Anfragen von Inhabern, ob er nicht mal einen Blick auf ihre Praxis werfen möchte. So wurde er vom Reisenden zum Berater. Als im März 2020 die Corona-Pandemie zum ersten Lockdown führte, war die Unsicherheit unter den Therapeuten groß, sagt Stefan Reck, der damals noch eine Praxis in Mittelfranken, Bayern, hatte. „Wir haben viel in Facebook-Foren darüber diskutiert, was jetzt eigentlich auf uns zu kommt, ob wir öffnen und Patienten behandeln dürfen oder nicht.“ Die Therapeuten haben tagelang in ihren Facebook-Foren hin- und herüberlegt und vor Ort mit vielen Politikern und Ämtern gesprochen, die jedoch in diesem Moment genauso ratlos waren wie die Heilmittelerbringer. „Es gab dann drei bis vier Kontakte, mit denen ich zusammen eine ganz starke Dynamik entwickelt habe“, berichtet Reck. „Wir haben Aktionen gestartet, um dafür zu werben, dass wir bitte geöffnet bleiben können. Wir haben Fragen geklärt, wie wir weiter verfahren sollen, wie wir die Behandlung für unsere Patienten sichern usw.“ Daraus entstand bei ihm die Idee, sich einmal andere Praxen vor Ort anzuschauen. Vom Streitgespräch zum engen Kontakt „Man lebt so in seiner eigenen Welt, hat oft eher seine eigene Praxis im Blick und sieht vielleicht noch die Konkurrenz in der gleichen Stadt“, erklärt der Logopäde. In seinen Facebook-Foren ist er aber immer wieder auf Kollegen gestoßen, die mit guten Ideen auf sich aufmerksam machten. Stefan Reck stellte fest: Es gibt so viele Kollegen in Deutschland, die die gleichen Sorgen und Probleme haben wie er selbst, die aber vielleicht ganz anders damit umgehen als er, zum Beispiel weil sie schon länger in der Branche tätig sind oder einfach andere Ideen haben. Die erste Kollegin, die er angeschrieben hat, war Ute Wagner aus Dresden. Er hat sie dann einfach gefragt, ob er nicht mal vorbeikommen könne. „Ute und ich hatten zuvor rege Diskussionen. Wir waren anfangs überhaupt nicht einer Meinung, was das Thema Praxisführung angeht“, erzählt Reck. „An einem Samstagmorgen hatten wir uns dann über Mitarbeitergewinnung und -bezahlung streiten wollen. Am Ende mussten wir aber feststellen, dass wir doch einer Meinung sind, was die Behandlung von Mitarbeitern angeht.“ Ideen in anderen Praxen holen Im Sommer 2020 startete Stefan Reck schließlich seine erste Reise in Richtung Dresden in die Logopädie-Praxis von Ute Wagner. „Dieser Besuch hat mir persönlich ganz viel gebracht. Ich hatte dort Kontakt zu einer Therapeutin, die vom Stil her komplett anders ist als ich. Von ihr habe ich ganz viel gelernt über Vielfältigkeit und wie unsere Branche funktionieren kann“, berichtet Reck. „Nach dieser positiven Erfahrung habe ich mir gesagt: Ich schaue mir jetzt künftig immer die Praxen an, bei denen ich das Gefühl habe, die machen irgendetwas besser als ich, da kann ich was lernen, und da werde ich mir auch hemmungslos Ideen klauen.“ Erkenntnis: Er macht vieles gut Am Anfang hat Stefan Reck sich selbst Praxen herausgesucht, die er gerne besuchen wollte. Er hatte immer positive Erfahrungen im Kontakt mit den Praxisinhabern. So konnte er jede Praxis, die er angefragt hatte, am Ende auch besuchen. „Ich war schon im Osten, Westen, Norden und Süden, habe mir Ergo-, Logo- und Physio- Praxen angesehen und der Kontakt war immer nett“, sagt er. „Die Praxen waren hingegen manchmal nicht so, wie ich es erwartet habe. Da habe ich dann oft gedacht: Das mache ich auch schon alles oder das kann ich sogar etwas besser. Aber trotzdem habe ich immer gute Gespräche geführt.“ Reisetagebuch bei Facebook Nach jeder Reise verfasst Reck einen Text über seinen Besuch und postet diesen auf seinem Facebook-Profil. Die Praxisinhaber, die Stefan Reck besucht, wissen, dass er über seine Reisen bei Facebook berichtet – auch, wenn ihm nicht alles in der Praxis gefallen hat. Bevor er einen Text veröffentlicht, schickt er ihn jedoch immer an den jeweiligen Inhaber der besuchten Praxis. Bisher hat auch noch keiner .nderungswünsche an den Texten geäußert. „Ich möchte bei meinen Texten ehrlich sein, und es gibt eben immer Dinge, die ich kritisch sehe. Trotzdem kann ich den Artikel dann veröffentlichen“, erzählt der Logopäde. „Wenn ich wirklich problematische Situationen erlebt habe und die Praxisinhaber in die Pfanne hauen würde, poste ich den Text nicht.“ Der Grund: Es geht nicht darum, eine Art Kritiker oder Aufpasser zu sein. „Meine Texte sollen auch Spaß machen und Humor haben. Jeder hat seine eigene Organisation und ich möchte nicht mit dem Zeigefinder auf andere Praxen zeigen“, erklärt er. Praxisinhaber fragen um Rat Nach einigen Praxisbesuchen und veröffentlichten Texten gab es bei Stefan Reck eine Art Wandlung – von jemandem, der ganz viel wissen wollte, wurde er zu jemandem, der selbst ganz viel weiß. „Mittlerweile schreiben mich viele Praxen an, ob ich einmal vorbeikommen kann. So wurde ich langsam zu einer Art Berater“, erzählt Reck. „Eine Kollegin wollte beispielsweise ihre Praxis ebenfalls interdisziplinär aufziehen. Gemeinsam haben wir geschaut, wie zum Beispiel die Zulassung beantragt wird, wenn sie als Physiotherapeutin eine Ergotherapeutin mit in die Praxis holt.“ Meist drehen sich die Gespräche bei den Treffen um betriebswirtschaftliche Themen wie Marketing, Controlling, Recruiting und Mitarbeiterführung. Immer das Positive aus den Besuchen ziehen Wenn man in eine Praxis fährt, kann man sich ein Bild von dem Gesamtkonzept machen. Man kann sehen, wie der Grad der Professionalisierung ist, ob es eine reine „Geldmachpraxis“ ist, ob die Praxis verspielt ist, aber auch wie die Mitarbeiter so drauf sind, sagt Reck. Daher hat er sich auch große Physiotherapiepraxen angesehen. „In diesen ‚Physiotherapie-Tempeln‘, die im Grunde Fitnesscenter mit Physiotherapieanschluss sind, wird sehr viel Geld verdient. Die Patientenbehandlung ist meiner Meinung jedoch alles andere als optimal“, sagt Reck. „Aber: In diesen Einrichtungen habe ich tolle Unternehmer kennengelernt, die einfach ihre Lehren aus der Misere mit den Krankenkassen gezogen und den Fokus auf Selbstzahlerleistungen gelegt haben.“ Neue Konzepte für die eigene Praxis mitnehmen Die Reisen haben natürlich auch Einfluss auf die Arbeit in seiner Praxis gehabt. So möchte er seinen Mitarbeiterinnen gerne Abwechslung in der Praxis ermöglichen und natürlich ihre Arbeit erleichtern. „Ich habe zum Beispiel gerade aus Physiotherapiepraxen Ideen gesammelt, wie ich meine Mitarbeiterinnen so einsetze, dass sie nicht gestresst sind und gleichzeitig den Umsatz pro Stunde erhöhen“, ergänzt Reck. „Das sind Qualifizierungsmaßnahmen, die dafür sorgen, dass die Therapeutinnen länger am Patienten arbeiten können und seltener den Raum wechseln müssen. Zudem gibt es die Möglichkeit, Therapieassistenten einzusetzen, die alles vorbereiten. Das versuche ich gerade auch bei uns zu etablieren.“ Auch lustige Anekdoten zu erzählen Wirklich schockierende Dinge hat Stefan Reck bei seinen Reisen nicht erlebt. „Da waren immer mal lustige Situationen dabei. Ich habe mit einem Praxisinhaber über Mitarbeiterführung gesprochen, komme in den Pausenraum und schaue direkt auf ein aufgemaltes Fenster“, erzählt Reck. „Es ist natürlich schon gut, dass es überhaupt einen Aufenthaltsraum gibt. Das ist auch nicht überall so.“ Mittlerweile habe der Chef aber den Raum gewechselt, der jetzt nicht nur ein Fenster, sondern sogar eine Dachterrasse hat. Fazit: Reisen bildet auch Praxisinhaber „Mein Fazit ist eigentlich, dass meine Reisen immer eine Bereicherung waren und ich das persönliche Kennenlernen der Kolleginnen und Kollegen unglaublich mag“, sagt Reck. „In diesen kleinen Runden haben wir immer über wichtige Themen gesprochen. Natürlich gab es auch hin und wieder lustige Momente oder auch Organisatorisches, das ich in meiner Praxis einfach aus Überzeugung anders mache.“ Bei einem Praxisbesuch erhalte er aber ganz andere Einblicke, als wenn man sich bei einem Stammtisch oder einer Zoom-Konferenz treffe. „Es ist auch einfach spannend zu sehen, wie sich Strukturen in den einzelnen Regionen Deutschlands unterscheiden“, berichtet er. Außerdem interessant: „Wie wird Ihr Sommer 2022?“ „Warum bilden die Verbände nicht eine Kommission zum Thema Vergütung, um gemeinsam stark zu verhandeln?“ - Interview mit Stefan Reck