„Wir sollten die Chance, die uns der GKV-Spitzenverband hier gerade geboten hat, nutzen“

Stand: 12.10.2022. Am 28. September gab es vor dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags eine Anhörung zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Für ordentlich Entsetzen bei vielen Heilmittelerbringern hat eine Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes gesorgt, in der es darum ging, wer die Therapeuten bei Verhandlungen mit der GKV vertritt. Aber warum herrscht gerade so eine Aufregung in der Branche? Unsere up-Herausgeber Hannah Becker (Ergotherapeutin), Olav Gerlach (Physiotherapeut) und Ralf Buchner haben darüber diskutiert. Ralf: Der GKV-Spitzenverband sagt in seiner Stellungnahme: Wir haben ein Problem mit den Heilmittelverbänden. Wir wollen nicht mehr mit vielen einzelnen Verbänden, sondern mit einer Vertragspartei verhandeln, denn so ist das alles nicht effizient und so kommen wir nicht voran. Ich frage mich: Warum gibt es für diese Aussagen einen Shitstorm? Das verstehe ich nicht. Olav: Der GKV-Spitzenverband hat kritisiert, dass Berufsverbände, die nicht einmal fünf Prozent der Heilmittelerbringer aus dem Beruf vertreten, in der Lage sind, eine Entscheidung zu blockieren. Das würde ja bei Verhandlungen bestimmte Verbände direkt ausschließen. Ralf: Nein, der GKV-Spitzenverband hat ja nicht gesagt, dass alle diese kleinen Verbände kein Mitspracherecht haben sollen. Er hat nur das Problem geschildert. Was ja auch stimmt. Es gab dann einen ganz unkonkreten Änderungsvorschlag: „Die Regelung hinsichtlich der Verhandlungsteilnehmer auf Leistungserbringerseite muss im Sinne eines vertragspartnerschaftlichen Modells hin neu gestaltet werden.“ Olav: Es heißt aber auch: „Alternativ könnte auch der mitgliederstärkste Verband eines Heilmittelbereichs gesetzlich normiert die Funktion der Verhandlungsführerschaft und der Vertragsabschlusskompetenz übernehmen und dabei Verträge auch mehrheitlich geschlossen werden, wenn nur eine Minderheit gegen den Vertragsabschuss votiert.“ Ralf: Der Teil, den Du zitierst, steht unter dem Punkt A „Änderungsbedarf“, aber nicht unter Punkt B „Änderungsvorschlag“. Der GKV-Spitzenverband hat ja das gleiche Problem. Es gibt im Moment 97 Krankenkassen. Diese müssen sich also auch organisieren. Hier hat der Gesetzgeber Verfahren vorgegeben, wie sie sich einigen können: Ihr müsst Verhandlungsführer wählen, Ihr müsst Abstimmungen herbeiführen. Wenn Ihr dann in Verhandlungen geht, müsst Ihr mit einer Stimme sprechen. Ich finde, das ist eine sehr schlaue Idee. Olav: Prinzipiell schon. Es muss nur gewährleistet sein, dass die kleinen Verbände nicht dauerhaft untergehen. Ralf: Richtig. Dann wäre es doch schlau, wenn wir sagen, wir sehen das Problem und nun versuchen wir, eine Lösung zu finden, die gut für uns Heilmittelerbringer ist. Olav: Nur wir Heilmittelerbringer sind noch nicht so weit mit der Struktur der Verbände, dass wir die Möglichkeit haben, so eine Einheit zu bilden. Ralf: Daher sage ich: Lasst uns doch jetzt nicht die GKV als Buhmann sehen, weil sie ein Problem richtig beschreibt. Lasst uns doch jetzt nicht darauf warten, dass andere Leute dieses Problem für unsere Branche lösen. Es ist höchste Eisenbahn, dass wir selbst Veränderung herbeiführen und selbst gestalten. Denn noch hat die GKV keine konkreten Lösungen präsentiert. Sollen wir nicht sagen: Danke lieber GKV-Spitzenverband, dass Ihr uns auf das Problem aufmerksam macht? Olav: Okay, aber ich bleibe dabei, dass der GKV-Spitzenverband gerne eines der vorgeschlagenen Beispiele umsetzen würde. Das geht aber nicht, weil wir uns untereinander ja nicht einig sind. Wer soll da aktuell eine Entscheidung treffen, wie die Verhandlungen in Zukunft geführt werden sollen? Ralf: Jetzt merkst Du aber das Problem. Warum sind Therapeuten nicht bereit, Verantwortung für ihre eigene Struktur zu übernehmen? Olav: Ich glaube, dass der Großteil der Therapeuten soweit gar nicht denkt, weil die Beispiele in der GKV-Stellungnahme für viele so erschreckend sind, gerade für die Mitglieder aus den kleinen Verbänden. Ralf: Wenn Du anfängst, den Verbänden die Chance zu geben, sich selbst zu entlasten, indem sie auf den GKV-Spitzenverband schimpfen, dann müssen sie nicht mehr aktiv werden. Eigentlich müsste man ihnen klarmachen, dass diese Forderungen des GKV-Spitzenverbandes die Folge der schlechten Struktur der Verbände sind. Wenn sie in der Lage wären, sich vorab abzustimmen und auf eine Position zu einigen, dann hätten wir dieses ganze Theater ja gar nicht. Der Druck entsteht hier gerade, weil die Verbände nicht in der Lage sind, einen Konsens zu finden. Du gestaltest Zukunft nicht, indem Du gegen etwas bist, sondern Du gestaltest Zukunft, indem Du für etwas bist. Wir benötigen endlich Kontrolle über Verhandlungspositionen. Ich will wissen, worüber verhandelt wird. Ich will wissen, wofür die einzelnen Verbände stehen. Die Positionen, die die Verbände vertreten, werden hinter verschlossenen Türen beschlossen. Hannah: Das sehe ich auch als Problem. Ich würde mich selbst als informierte und interessierte Person bezeichnen. Aber auch mir fehlt der Überblick. Ich habe auch keine Möglichkeit, mich ausreichend zu informieren. Und wenn ich als Ergotherapeutin das Gegeneinander der Verbände mitbekomme, und dass sie sich gegenseitig die Schuld zuschieben, da kann ich auch nicht mehr differenzieren, wer recht hat oder wem ich zustimme. Denn zwischen den Verbänden findet dann eine emotionale und weniger eine faktenbasierte Diskussion statt. Ich erhalte keine Fakten, um mir eine fundierte Meinung bilden zu können. Und dann gibt es ja nun mal auch Therapeuten, die nicht so informiert sind oder nicht so tief im Thema stecken. Ich glaube auch, dass das Kernproblem ist, dass in der Branche gerade die Meinung vorherrscht, dass der GKV-Spitzenverband vorgeben will, dass nur noch der mitgliederstärkste Verband in Zukunft den Ton angibt. Auch hier fehlt ja wieder die richtige Einordnung. Die Aussagen des GKV-Spitzendverbandes werden so verstanden, auch wenn es so gar nicht in der Stellungnahme steht. Wir sind uns alle einige darüber, dass die Verhandlungen so nicht funktionieren. Warum können wir diesen Antrieb denn jetzt nicht nutzen, um so weit zu kommen? Olav: Wenn die Verbände nichts ändern wollen und der GKV-Spitzenverband keinen Druck ausüben soll, dann muss der Druck von den Therapeuten selbst kommen, die aber häufig gar nicht organisiert sind – oder wir brauchen ein Sprachrohr wie die Ärzte mit ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Im Grunde brauchen wir eine Selbstverwaltung. Ralf: Genau. Die KV vertritt die berufspolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Ärzte. Eine solche Institution wäre auch für Heilmittelerbringer wichtig, zum Beispiel im Hinblick auf die Blankoverordnung. Olav: Im Idealfall hätten wir also eine Kassentherapeutische Vereinigung, die auch dafür sorgen kann, dass so etwas wie gefürchtete Mengenausweitungen ausbleiben. Ralf: Hinter dem Begriff Kassentherapeutische Vereinigung würde also eine öffentlich-rechtliche Organisation stehen, in die alle eintreten müssen, die zu Lasten der GKV Therapie erbringen. Diese Personen müssten die Vereinigung dann finanzieren - angestellte Therapeuten würden also nicht belastet werden. Die Vereinigung könnte dann auch die Verhandlungen mit den Kassen übernehmen. Die Verbände könnten ja die Verhandlungsführer stellen. So ein Vorgehen würde die Schlagkraft bei den Verhandlungen schon erhöhen. Wir müssen daher an die Politik herantreten und darauf aufmerksam machen, dass es eine Sauerei ist, dass wir nicht im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) sind, dass wir keine öffentlich-rechtliche Institution haben, dass wir uns nicht selbst verwalten können. Wir müssen mit eigenen Vorschlägen auf die Politik einwirken und nicht den GKV-Spitzenverband beschimpfen, der ja nur Erfüllungsgehilfe des SGB V ist. Olav: Die Politik sagt ja aber auch: Wenn Ihr die Selbstverwaltung wollt, Ihr könnt sie haben. Warum wollen wir keine Selbstverwaltung? Woran scheitert es? Ralf: Ich habe letztens mit einem Arzt gesprochen, der hat gesagt: Ich verstehe die Therapeuten überhaupt nicht. Ich bin in der KV, ich bin in der Ärztekammer und ich bin in vier Fachverbänden. Was ist Euer Problem? Man kann in verschiedenen Institutionen organisiert sein. Hannah: Und auch die Verbände haben ja ihre Berechtigung. Vielleicht habe ich mich noch nie mit den Inhalten, die der Verband vertritt auseinandergesetzt. Häufig geht es vielmehr darum, an Information zu kommen. Ich möchte auf gewisse Inhalte zugreifen können. Ralf: Also müssen wir im Grunde die Aktion umwandeln. Wir müssen nicht auf den GKV-Spitzenverband schimpfen, sondern wir müssen uns an die Politik wenden, mit der Aufforderung, Strukturen zu entwickeln, mit denen die Heilmittelerbringer zu einem starken Ansprechpartner werden. Ich wette, dass der GKV-Spitzenverband uns dabei sofort unterstützen würde, und auch die Ärzte. Olav: Davon bin ich überzeugt. Ralf: Sind wir denn jetzt schlauer als vor unserer Diskussion? Hannah: Ich bin definitiv jetzt schlauer als vorher. Ich hatte mich vorher nicht intensiv mit der Stellungnahme und den Problemen auseinandergesetzt. Für mich ist es auch gerade gar nicht so wichtig, was der GKV-Spitzenverband fordert, für mich entsteht eher gerade ein Gefühl von Aktionismus. Wenn wir etwas wollen oder nicht wollen, dann müssen wir aktiv etwas ändern. Man muss auch mal meckern, klar. Aber wir sollten die Chance, die uns der GKV-Spitzenverband hier gerade geboten hat, nutzen. Dieses Gefühl ist gerade bei mir entstanden. Hier findet Ihr die genauen Inhalte der Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes. Wer Lust hat, die Diskussion in voller Länge zu verfolgen, findet die Aufzeichnungen hier. 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