Lauterbach: Heilmitteltherapie ist eine eigene Wissenschaft

Am 21. November 2022 hatte der „Spitzenverband der Heilmittelverbände“ (SHV) zum 4. TherapieGipfel nach Berlin eingeladen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbauch erläuterte vor Ort die Pläne der Bundesregierung zur Entwicklung der Heilmittelbranche. In einer Podiumsdiskussion zum Thema „Berufsattraktivität“ hatten die rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer anschließend Gelegenheit, mit Vertretern des SHV, des BMG und des GKV-Spitzenverbands zu diskutieren. Zur Begrüßung von Lauterbach setzte die Moderatorin gleich die Themen, indem sie daran erinnerte, dass der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn beim Therapiegipfel 2019 zum Thema Akademisierung und Direktzugang den Kopf geschüttelt und gesagt hatte: „Da müssen Sie auf den nächsten Minister warten.“ Akademisierung kommt Da war er nun, der nächste Gesundheitsminister. Und Lauterbauch lieferte das, was Spahn noch nicht bereit war zu versprechen: Die Akademisierung soll mit der Ausbildungsreform kommen, Vorhaben zum Direktzugang gehen zügig voran! Allerdings schränkte Lauterbauch gleich wieder ein, würde es wohl eher eine Teilakademisierung werden, dafür hätten sich die Länder und Verbände ausgesprochen, und es wäre aktuell unklar, ob der große Bedarf an Fachkräften in einer Vollakademisierung gedeckt werden könne. Lauterbauch will zudem die „dynamische Preisentwicklung“ in der Heilmittelbranche fortsetzen, von Preisverhandlungen auf Augenhöhe war die Rede. Und vom Willen der aktuellen Regierung, den überproportionalen Anstieg der Löhne der Therapeut:innen weiter zu begleiten: „…das soll so weitergehen,“ man müsse die „Vergütung weiter absichern.“ Zusätzlich soll der Zugang von ausländischen Arbeitskräften vereinfacht werden, um den akuten Fachkräftemangel zu lindern. Branche soll eigene Evidenz kreieren Spannender als die erwartbaren Ankündigungen war der Rahmen, in den Lauterbach seine Reformvorhaben setzte. Denn hier sprach weniger der Gesundheitsminister zu einer Interessensgruppe, sondern mehr ein medizinischer Fachmann zu seinen Kolleg:innen: „Mir ist klar, welche Bedeutung Sie für die Patienten haben“, bedankte sich Lauterbauch zunächst bei den versammelten Therapeutinnen und Therapeuten. Um dann seiner wissenschaftlich orientierten Agenda treu zu bleiben: „Heilmitteltherapie ist eine eigene Wissenschaft,“ so Lauterbach. „Wir wissen in vielen Bereichen nicht, was die richtige Physiotherapie ist, nicht alles ist wissenschaftlich gesichert.“ Deswegen brauche man eine evidenzbasierte Physiotherapie, die leider noch zu wenig entwickelt sei. Und genau aus diesem Grund sei eine starke akademische Ausbildung erforderlich. Es müsse darum gehen die „eigene Wissenschaft zu machen“, die „eigene Evidenz zu generieren“, man müsse „arbeiten auf Basis von Studien, die Sie selbst durchgeführt haben,“ zeichnete Lauterbauch das Bild einer Heilmittelbranche der Zukunft. Er selbst habe „großen Respekt vor Ihren Wissenschaften“ versicherte Lauterbauch, erläuterte dann aber leider nicht, wie man denn solche eigene Wissenschaft finanzieren könnte. Immerhin räumte der Minister ein, dass für diese Zukunftsentwicklung die Akademisierung zwingend sei. Die Teilakademisierung ist seiner Ansicht nach eher ein pragmatischer Zwischenschritt. Da zeichnete ein Minister ein Zukunftsbild, für das es in der Heilmittelbranche selbst so noch keinen ganz breiten Konsens geben dürfte. Und das unter den aktuellen Rahmenbedingungen der GKV-Versorgung nicht einmal im Ansatz umzusetzen ist. Entsprechend groß dürften die Erwartungen an die Reformvorhaben, die Lauterbauch damit geweckt hat, ausfallen. Man arbeite aktuell an einer Zeitschiene zur Umsetzung der Ausbildungsreform und des Direktzugangs, erklärte Lauterbauch: „…ich bitte um Verständnis, dass ich keinen Termin nennen kann, aber ich spreche hier über wenige Wochen, nicht über Monate.“ Podiumsdiskussion: Verwirrung statt Aufklärung Die folgende Diskussion zwischen Vertretern des SHV, des BMG und des GKV-Spitzenverbands (ohne Lauterbach) verlief etwas geerdeter. Die attraktive Zukunft, die Lauterbach versprochen hatte, wurde schnell von der in den Praxen und Fachschulen erlebten Realität eingeholt. Da zogen sich tiefe inhaltliche Gräben durch die Diskussion, insbesondere beim Thema Akademisierung gelang es nicht einmal, sich auf eine einheitliche Terminologie zu einigen. Sehr schön wie in der Diskussion Lauterbachs Ankündigung einer Teilakademisierung auf dem Podium vom SHV umgedeutet wurde: „Er meint damit die Vollakademisierung!“. Und dann wurden weiter die verschiedenen Begriffe (Vollakademisierung, Akademisierung, Teilakademisierung) munter so genutzt, wie es den jeweiligen Gesprächspartner:innen zupasskam. Fragen über Fragen wurden aufgeworfen, deren Beantwortung meist im Dunkeln bliebt: Gibt es in Zukunft eine Zwei-Klassen-Ausbildung, oder wie im Ausland eine Unterscheidung zwischen Practitioner und Assistant? Ist die Verlustangst der Fachschulen berechtigt? Haben die Verbände im SHV eine einheitliche Meinung zu dem Thema? Und kann es sein, dass die Länder nur aus finanziellen Gründen für eine Teilakademisierung sind? Sehr schön zu sehen, wie der GKV-Spitzenverband fast am Schluss der Diskussion überrascht feststellte, dass die eigenen Vorstellungen von einer Teilakademisierung den Vorstellungen des SHV so überhaupt nicht entsprachen. Im Ergebnis gab es mehr Verwirrung statt Aufklärung, Beharren auf dem jeweiligen Standpunkt, anstatt die Entwicklung gemeinsamer Lösungen. Wer die niedergelassenen Therapeutinnen und Therapeuten in Deutschland von der Akademisierung (was immer das dann bedeutet) überzeugen will, hat noch viel zu tun! Minister hat größere Visionen als die Branche selbst Was kann man aus den TherapieGipfel an Erkenntnis gewinnen? Als Spahn mit dem TSVG um die Ecke kam, waren seine Vorschläge sehr viel weitreichender, als sich das die Funktionäre der Heilmittelbranche je hätten vorstellen können. Und das wiederholt sich jetzt mit Lauterbauch, dessen Ausführungen über Evidence-Based-Therapie erneut viel weiter reichen als die Forderungen der Heilmittelverbände. Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass ein Minister sich als größerer Visionärer als die Branche selbst entpuppt. Ein Teilnehmer aus dem Publikum forderte die Verbände auf, mehr gute Nachrichten über Heilmitteltherapie zu verbreiten. Recht hat er, es ist höchste Zeit, nicht nur über Absetzungen und Fachkräftemangel zu klagen, sondern ein attraktives Bild von der Rolle der Heilmittelerbringer:innen in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren zu zeichnen. Da hat Lauterbauch doch schon mal ganz gut vorgelegt. Außerdem interessant: Neue Regeln bei der Blankoverordnung Lösungsmöglichkeiten zur besseren Vertretung der Heilmittelerbringer