„Wenn das Telefon klingelte, habe ich gezittert und konnte nicht drangehen“

Katrina (Name anonymisiert) lebt und arbeitet in Brandenburg. Sie hat eine Ergotherapiepraxis, mittlerweile drei erwachsene Kinder und leidet seit Jahren an Anpassungsstörungen, depressiven Phasen und einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS). Sie erzählt, wie sie es geschafft hat, mit den Erkrankungen gut zu leben, rechtzeitig zu erkennen, wenn es ihr wieder schlechter geht und dann entsprechend gegenzusteuern. „Im Moment bin ich sehr stabil. Ich habe mittlerweile vier Psychotherapien hinter mir – zwei davon bei der gleichen Therapeutin. Sie hat mir sehr viel Kraft mitgegeben, berichtet Katrina. „Den ersten Einbruch hatte ich nach meiner Scheidung im Jahr 2000. Da ist eine Welt zusammengebrochen.“ Sie stand mit zwei Kindern alleine da. Die Situation stabilisierte sich wieder, sie lernte einen neuen Mann kennen und bekam ihre jüngste Tochter. Nach der Geburt fängt sie wieder an, im Krankenhaus als angestellte Ergotherapeutin zu arbeiten. Katrina betreut vor allem auf der Kinderstation onkologische Patient:innen. „Ich habe dort knapp drei Jahre gearbeitet und habe es dann nicht mehr ausgehalten“, erzählt sie. Es bleibe nicht aus, dass man zu den Kindern eine Bindung aufbaut. Wenn sie dann sterben, sei das sehr schwer zu verkraften. „Mein damaliger Partner hat mitbekommen, wie sehr mich die Arbeit auf der Kinder-Onkologie mitgenommen hat und meinte dann zu mir, ich solle doch eine eigene Praxis eröffnen“, berichtet die Ergotherapeutin. „Das habe ich dann auch gemacht. Ich hatte Glück, dass unser Vermieter auf dem Grundstück, auf dem wir wohnten, gerade ein Haus ausgebaut hatte. Dort bin ich mit meiner Praxis eingezogen. Nur so konnte ich eine Selbstständigkeit mit drei Kindern überhaupt realisieren.“ Viele Erlebnisse führten zum Zusammenbruch 2009 hat sie einen Zusammenbruch. „Das war einfach eine Kombination aus verschiedenen Dingen, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben“, sagt die Ergotherapeutin. „Die Arbeit war anstrengend, im Kopf war ich nicht mehr zufrieden mit meiner Beziehung. Da war plötzlich mein Lebensglück, meine Familie bedroht. Und zusätzlich ist auch noch mein Sohn ausgezogen.“ Zeitgleich eröffnete eine neue Ergotherapiepraxis direkt nebenan, die viel Werbung gemacht hat. „Da hatte ich dann plötzlich Existenzängste und habe mich bedroht gefühlt“, berichtet die Praxisinhaberin. Insgesamt wurde es zu viel für Katrina. Sie brach zusammen. „Ich war in dieser Zeit auch einfach leer und gefühllos“, berichtet sie. „Ich erinnere mich an eine Situation 2009. Ich habe aus dem Fenster geschaut und beobachtet, wie meine kleine Tochter morgens zur Schule gegangen ist. Mein Pferd stand auf der Weide und ich konnte mich über nichts freuen. Ich dachte mir: Du hast doch alles, warum bist Du so leer? Da habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt.“ Bei Klinikaufenthalt erhält sie die Diagnose „Nach meinem Zusammenbruch war ich in einer Klinik, in der ich zunächst einmal nur medikamentös behandelt wurde. Das war kein psychiatrisches Krankenhaus“, erklärt die Ergotherapeutin. „Ich war dann zwischendurch eine Woche zuhause, bevor ich in ein anderes Krankenhaus kam. In dieser Woche war ich total neben der Spur. Ich war unfähig, zu telefonieren. Wenn das Telefon geklingelt hat, habe ich so gezittert und konnte nicht drangehen.“ In der Klinik erhielt sie die Diagnose Anpassungsstörungen mit depressiven Phasen. Sie wurde medikamentös eingestellt und hat gelernt, auf sich zu achten, nicht immer über ihre Grenzen zu gehen. „Bei der Ergotherapie sollten wir eine Figur aus Speckstein erstellen. Ich habe daran ohne Pausen gewerkelt, sie sollte einfach gut werden“, erzählt die Praxisinhaberin. „Die Therapeutin macht mich dann darauf aufmerksam, dass ich Dinge auch einmal ruhenlassen und Auszeiten nehmen muss.“ Medikamente gehören zum Leben der Ergotherapeutin „Zweimal habe ich versucht, in Absprache mit meiner Ärztin, die Antidepressiva abzusetzen, weil es mir so gut ging“, erzählt Katrina. „Ich habe dann aber selbst gemerkt, dass es nicht funktioniert.“ Ihre Ärztin meinte dann irgendwann mal zu ihr: Akzeptieren Sie einfach, dass es Ihnen mit den Medikamenten besser geht. Viele Menschen sind auf Medikamente angewiesen, zum Beispiel bei Bluthochdruck oder Rheuma. „Heute kann ich das. Es hat aber viele Jahre gedauert, bis ich sagen konnte: Die Depression gehört einfach zu mir.“ Die Praxisinhaberin leidet neben Depressionen auch an ADS. Die Antidepressiva helfen ihr zusätzlich, sich besser zu konzentrieren. „Wenn ich Büroarbeiten machen muss, fällt mir das schon ein bisschen schwerer. Ich therapiere lieber zehn Patienten am Stück, als fünf Stunden im Büro zu sitzen“, sagt sie. Nebenwirkungen hat die Praxisinhaberin von den Antidepressiva kaum. Beginn der Pandemie war eine Herausforderung Auch die Corona-Pandemie ging nicht spurlos an der Praxis von Katrina vorüber. „60 Prozent unserer Patienten sind zeitweise ausgefallen“, berichtet sie. „Dann habe ich auch noch die Corona-Hilfe verbaselt. Ich hatte alles fertig ausgefüllt und die Mail auch verschickt und habe nicht bemerkt, dass die Mail nicht angekommen ist. Aber immerhin das Geld aus dem Rettungsschirm habe ich dann erhalten.“ Sie bekam kurz Angst, konnte sich aber fangen und positiv in die Zukunft blicken. Heute kann sie besser mit schwierigen Situationen umgehen „Gerade ist es wieder turbulent bei mir. Meine große Tochter geht nach Bayern, meine kleine Tochter hat einen Studienplatz bekommen und ich habe mich gerade von meinem Partner getrennt“, erzählt Katrina. „Ich staune über mich selbst, dass ich so stabil bin. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass ich schon mehrere depressive Phasen hatte und daraus gelernt hat, dass es am Ende immer wieder besser wird.“ Hinzukommt, dass das Jahr 2022 für die Praxisinhaberin sehr anstrengend war, weil sie sich dem Thema Digitalisierung in der Praxis gestellt hat. „Außerdem bin ich seit 1,5 Jahren das erste Mal so richtig Chefin. Bisher habe ich immer nur mit einer Mitarbeiterin gearbeitet, die zugleich eine gute Freundin ist. Wir waren eher Partner“, erzählt sie. „Jetzt habe ich zwei neue Mitarbeiterinnen und eine Bürokraft. Das ist eine Erleichterung, aber meine Rolle ist einfach eine andere.“ Auszeiten sind Teil des Erfolgs Sie sagt, dass ihre Psychotherapien ihr gut geholfen haben, mit der Erkrankung umzugehen, aber auch, Situationen zu erkennen, in denen es ihr nicht so gut geht. Außerdem ist Katrina heute medikamentös gut eingestellt und sie nimmt sich bewusst Auszeiten. Über Weihnachten und Neujahr 2022 war die Praxis geschlossen. „Ich habe mir auch geschworen, in dieser Zeit keinen Fuß in die Praxis zu setzen, die Arbeit einfach Arbeit sein zu lassen“, sagt sie. „Ich habe mir sogar noch am 2. Januar freigenommen. Kurz habe ich überlegt, doch zu arbeiten. Ich könnte acht bis zehn Patienten therapieren und Geld verdienen. Aber ich habe mich bewusst dafür entschieden, diesen Tag noch für die Erholung zu nutzen. Dass ich das kann, ist ein großer Fortschritt.“ Positiv in die Zukunft blicken Katrina kann aus heutiger Sicht auch etwas Gutes an ihrem Zusammenbruch sehen: „Ich habe dadurch eine Diagnose erhalten, Medikamente bekommen, die helfen und mich auch einfach besser kennengelernt. Ich habe eine leicht rezidivierende Depression, die ich aber gut im Griff habe. Ich merke, wenn es mir zu viel wird und ich aufpassen muss.“ Heute ist sie auch stolz auf das, was sie durchgestanden und geleistet hat. Sie sagt selbst, dass ihre Erkrankung sie selbstbewusster gemacht habe. Diese Artikel gehören auch zum Themenschwerpunkt "Depressionen und Co.: Schluss mit dem Tabu!": Depressionen und Co.: Schluss mit dem Tabu! 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