„Ein klinisch reines Weiß an den Wänden lässt unsere Gesichter fahl und grau wirken“

Farben, Pigmente und die Wirkung von Farben auf Räume und uns Menschen sind der berufliche Alltag von Katrin Trautwein. Sie arbeitet fast ausschließlich mit natürlichen Pigmenten, wodurch Farbtöne entstehen, die auch in der Natur vorkommen. Sie erklärt, warum uns diese schön wirken lassen und worauf wir bei der Auswahl von Farben in den Praxisräumen achten sollten. Welche Rolle spielen Farben in unserem Leben – oder auch in Heilmittelpraxen? Das Einzige, was wir Menschen sehen, sind Farbunterschiede. Das bedeutet, dass Farben eine viel größere Rolle für unsere visuelle Wahrnehmung oder auch Empfindungen einnehmen, als man allgemein denkt. In jedem Raum bestimmt die Farbe an den größten Flächen, also meist den Wänden, die Atmosphäre und auch die Sichtbarkeit der Objekte. Sind helle Wände dann besser als dunkele? Das kann man pauschal so nicht sagen. Viele denken, mit weißen Wänden machen sie nichts falsch. Das Problem ist aber, dass die weiße Farbe heller ist als unsere Gesichter. Unsere Augen werden von den hellen Pigmenten eher geblendet. Dadurch wirken Gesichter in weißen Räumen oft grauer. Daher rate ich besonders in Praxen von weißen Wänden ab. Denn nicht nur die Patientinnen und Patienten sollen ja gesund aussehen, sondern auch die behandelnden Therapeutinnen und Therapeuten. Wirkt der Therapeut im Gesicht fahl und grau, hat das direkt Auswirkungen auf mein Wohlbefinden als Patientin. So funktioniert unser Gehirn. Die vermeintlich klinisch weiße Praxis sorgt also dafür, dass die Menschen darin weniger frisch aussehen. Auf welche Farben sollte ich stattdessen setzen? Welche Regel steckt denn dahinter? Ein heller Sandton oder ein warmes Grau verleihen Gesichtern eine gesündere Farbe. Die Evolution hat uns so ausgerichtet, dass wir in natürlichen Kontexten wunderschön und zeugungsfähig ausschauen. In der Natur sehen wir vor einem zarten Himmelblau besonders gesund und gut aus. Wer nun in seiner Praxis kein Himmelblau möchte, kann zu einem Steingrau greifen. Dieses Grau kann auch ganz hell sein, darf aber unsere Gesichter nicht überstrahlen. Gibt es Farbmythen? Ja, die gibt es. Blau wirkt kalt. Natürlich gibt es Blautöne, die kühl wirken. Aber nicht alle. Rot macht aggressiv. Das kommt auf den Kontext an. Wenn ich mir einen knallroten Ferrari ansehe, dann sieht er vielleicht wirklich schnittig, schnell und aggressiv aus. Aber wer wird schon sauer, wenn er rote Rosen bekommt? Farben auf einzelnen Farbtafeln sagen nichts aus. Wir müssen Farben immer in einem gesamten Raum sehen. Gibt es Farbtrends, die Du empfiehlst oder von denen Du abrätst? In einer Heilmittelpraxis sollte das Ziel sein, eine visuell wohltuende Umgebung zu erzeugen. Die visuelle Wahrnehmung entscheidet über unsere emotionale Empfindsamkeit. Und wenn ich heute etwas als visuell wohltuend empfinde, warum sollte ich es 2024 umstreichen? Trendfarben kann man gut für dekorative Teile verwenden, aber der Hintergrund sollte so natürlich und wohltuend wirken, als würde man in einen schönen Garten gehen. Farben, die auch in der Natur vorkommen, wirken auf uns immer positiv. Wenn wir also Wände in Rot streichen möchte, sollte das Rot etwas Erdiges haben. Solche Farben nimmt unser Auge wohltuender wahr als beispielsweise ein künstliches Korallenrot. Also sollte ich als Praxisinhaber:in lieber auf neutrale Farben an den Wänden setzen? Generell ja. Ich kann im Eingangsbereich immer mal wieder die Wandfarbe wechseln und anpassen. Auch in der Patiententoilette kann ich mit Farbe spielen. Aber in den Behandlungsräumen, in denen sich die Leute sich länger aufhalten, geht es nicht darum, trendy zu wirken. Gibt es bestimmte Regeln, welche Farbtöne gut zu Holzmöbeln, Betonböden oder weißen Möbeln passen? Ja, man beeinflusst mit Farbe die Atmosphäre im Raum. Wenn ich in der Praxis sehr helles LED-Licht und einen hellen, grauen Betonboden habe, dann würde ich zu einer warmen Wandfarbe greifen. Ein Kühl-Warm-Kontrast ist für unseren Sehsinn optimal. Man sollte nicht den Fehler machen und die Praxis zu kühl einrichten. Denn dann kann es passieren, dass die Patientin und der Therapeut in dem komplett kühlen Behandlungsraum frieren, auch wenn die Temperatur eigentlich gut ist. Es gibt Untersuchungen im Landesmuseum in Zürich. Dort haben sie einen Betonanbau gebaut. Die Leute kamen dann aus dem spießigen Biedermeierbau in den Neubau und haben sich ihre Jacken zugemacht, obwohl sowohl Licht als auch Temperatur in beiden Gebäuden gleich waren. Andersherum wirken zu viele warme Töne um uns herum sulzig und unmodern. Also Holzboden, Holzmöbel und warme Farben an den Wänden – das ist zu viel. Farben an den Wänden können immer einen Ausgleich schaffen. Jetzt sagt eine Praxisinhaberin: Ok, ich gehe in den Baumarkt, kaufe mir Farbe und streiche die Praxis neu. Was denkst Du jetzt? Baumarktfarben sind halt pure Chemie. Das muss man wissen. Das sind künstliche Pigmente und günstige Acrylbindemittel. Unser Sehsinn kann zum Beispiel unterscheiden, ob wir einen Holzboden oder Laminat vor uns liegen haben. Er erkennt auch, ob es sich um natürliche oder künstliche Pigmente handelt. Man darf auch nicht vergessen, dass in Praxen ein gutes Raumklima herrschen sollte. Natürliche Materialien haben immer tiefe Poren. Diese nehmen Feuchtigkeit und Gerüche auf. Wir bekomme ich denn hochwertige, natürliche Farben? Kann ich diese bei einem Malerbetrieb mit in Auftrag geben? Das ist tatsächlich im Moment ein Problem. Im Grunde müsste man die Lieferscheine kontrollieren. Sonst kann es sein, dass man an Fälschungen gerät. Wer sichergehen möchte, dass er auch die bestellten Farben erhält, kann die Farben entweder direkt beim Hersteller kaufen oder man guckt auf den Herstellerwebsites nach Handwerkern, die eine Kooperation haben. Katrin, vielen Dank für das Gespräch. Diese Artikel gehören zum Themenschwerpunkt “Einsatz in vier Praxiswänden”: Themenschwerpunkt 06.2023: Einsatz in vier Praxiswänden - So verschönerst Du Deine Räumlichkeiten auch mit einem geringen Budget „Geht einmal durch die Praxis und betrachtet die Räumlichkeiten mit der Patientenbrille“ - Interview mit Ina Schönack, Interior Designerin aus Hamburg Kleines Budget, große Wirkung: Mit diesen (fast) kostenfreien Maßnahmen pimpst Du Deine Praxisräume auf Budget bis 1.000 Euro: eine große oder viele kleine Maßnahmen Budget bis 5.000 Euro: kleine Umbauten und Renovierungen sind möglich Budget bis 10.000 Euro: Kombinationen aus verschiedenen Maßnahmen Budget bis 50.000 Euro: Licht? Boden? Möbel? Vieles ist drin „Wir haben ein Grundkonzept entwickelt, das langlebig und so auch wirtschaftlich sehr nachhaltig ist“ - Interview mit Praxisinhaber Robert Hess zu Komplettrenovierungen von Praxen