„Wir haben ein Grundkonzept entwickelt, das langlebig und so auch wirtschaftlich sehr nachhaltig ist“

„Ich möchte meine Praxis nicht verschönern, ich möchte sie komplett neu machen“ – Das ist Euer Wunsch? Dann könnt Ihr Euch von Robert Hess, Inhaber von fünf Therapiepraxen, inspirieren lassen. Er erzählt uns, worauf er bei der Renovierung seiner Räumlichkeiten geachtet hat. Robert, Du hast in Hamburg und Umgebung fünf Physiotherapiepraxen, die alle im gleichen Stil gehalten sind. Steht dahinter ein bestimmtes Konzept oder ist das einfach Dein Geschmack? Ja, es gibt ein Konzept. Ich bin Südafrikaner. Wenn man in Südafrika mit Menschen in Kontakt kommt, dann ist man berauscht, beflügelt und entspannt. In Südafrika hat man das Gefühl, nach Hause zu kommen. Deshalb rühmt sich das Land auch mit dem Begriff Motherland. Diese Grundidee wollte ich in meinem Praxen haben. So kam es dann, als ich 2010 in Hamburg-Eidelstedt meine erste Praxis eröffnet habe. Ich hatte Glück. Der beauftragte Architekt kannte einen Innenarchitekten, der normalerweise die Büros in Frankfurt einrichtet. Der hat sich dann bereiterklärt, für zwei Tage nach Hamburg zu kommen, um den Kick-off zu unterstützen. Er hat mir eine Aufgabe für die Tage mit auf den Weg gegeben: Wenn Sie es richtig machen möchten, dann holen Sie für diese beiden Tagen die größtmögliche Anzahl an Frauen mit ins Boot, denen Sie vertrauen und auf deren Meinung Sie Wert legen. Wir haben dann alle zusammen zwei Tage lang in der Rohbaustelle gestanden und haben Farbkompositionen, Layouts, Effekte, Wandge- staltung, Lichtverhältnisse usw. durchdiskutiert. Das war dann der Grundbaustein der Corporate Identity. Dieses Konzept haben wir dann immer wieder auf die Praxen angewendet, die im Lauf der Jahre dazukamen. Warum solltest Du Frauen zusammentrommeln? Haben Frauen ein anderes Auge als Männer? Dazu sagte der Innenarchitekt damals, dass die weibliche Finesse, das Gefühl, die visuelle Wahrnehmung von Frauen einfach eine andere ist. Frauen haben ein anderes Gespür dafür, wie Farben, Materialien usw. wirken. Weckt die Einrichtung Vertrauen? Und könnte ich mich in so einem Umfeld entspannen? Das sind zwei wesentliche Kriterien unseres Konzepts. Unsere Patientinnen und Patienten sollen denken: Ich komme gerne her, weil ich es schön finde, weil ich mich wohlfühle und egal, wie mein Tag bisher war, hier bin ich jetzt bereit, mir helfen zu lassen. Am Ende sollen unsere Patienten mit einem Lächeln die Praxis verlassen. Welche Farben dominieren bei Dir in den Praxen? Das war eine Mischung aus sehr warmen Tönen von Elfenbein zu Beige- und Brauntönen. Die sollen die Erdung symbolisieren – in Bezug auf Südafrika. Wenn man dort in die Safari Lodges guckt, sieht man dort sehr viele Erdfarben. Diese Farben wirken einfach entspannend und auch zeitlos. Die Farben haben sich in den 13 Jahren nicht geändert. Sie gefallen uns noch immer. Das ist ja auch ein sehr nachhaltiges Vorgehen. Absolut. Es ist auch ein wirtschaftlicher Effekt. Denn die Reinvestition, die Erneuerung und Sanierung ist bei uns nur selten nötig. Das Grundgerüst haben wir von Anfang an einmal richtig und durchdacht festgelegt. Investieren müssen wir natürlich ab und zu in neues Equipment, in Ausstattung und hier und da mal neue Möbel. Wir sprechen immer über Patient:innen. Aber wie sieht es denn bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus? Kannst Du sagen, dass die Praxisräumlichkeiten auch einen positiven Effekt auf die Mitarbeitersuche und -bindung haben? Absolut. Das kann ich zu 100 Prozent bestätigen. Wir haben das Glück, dass wir nicht händeringend nach Mitarbeitern suchen müssen. Wir sind ein Ausbildungsbetrieb und Kooperationspartner mehrerer Physiotherapieschulen. Dadurch bekommen wir gerade von jungen Menschen sehr viel Feedback. Wir haben jedes Jahr eine Vielzahl von Fachpraktikanten, die wir auch danach fragen, wie ihnen die Praxis gefällt. Und auch: Wo wollt Ihr, wenn Ihr examiniert seid, gerne arbeiten? Was ist Euch wichtig? Gerade in den letzten zwei bis drei Jahren hat sich da etwas geändert: Es gibt einen ganz großen Schwerpunkt Digitalisierung bei den jungen Leuten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Wohlfühlen in einer Praxis. Praxen müssen Annehmlichkeiten schaffen, wie Ausstattung. Junge Menschen wollen in modernen Praxen arbeiten und nicht in Räumlichkeiten, in denen seit 20 Jahren nichts verändert wurde. Ich beziehe meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch immer in Entscheidungen ein. Sei es, wenn es um eine neue Praxiseröffnung geht, aber auch, wenn es darum geht, Fehler nicht wieder zu machen. Gab es denn Dinge, die Ihr im Laufe der Zeit verbessert habt? Das bleibt gar nicht aus. Wir haben schon überlegt: Was war bei der Konzipierung gut und was nicht so. Die Fehler haben wir dann natürlich nicht wieder gemacht. Ein Beispiel ist die Größe eines Therapieraums. Wir haben anfangs beim ersten Standort mit viel zu großen Räumen geplant. Unsere Therapeutinnen und Therapeuten wollen gar keine Kabinenräume von 20 Quadratmetern. Bei uns hat sich herausgestellt, dass eine gute Größe zwischen etwa 13 bis 16 Quadratmetern liegt, damit Bankbehandlungen und Personal Training in einem Raum stattfinden können. Das ist natürlich auch wieder ein wirtschaftlicher Aspekt, wenn man plötzlich merkt, dass man eigentlich mehr Behandlungsräume bereitstellen kann. Gab es Vorgaben, zum Beispiel von der Berufsgenossenschaft, die zu Einschränkungen geführt haben? Eigentlich nicht. Die BGW gibt ein gutes Regelwerk vor. Wir haben gute Lösungen für vieles gefunden, wie beispielsweise bei den Stromkabeln der Behandlungsliegen. Die BGW sagt, die Kabellagen sollen weder sichtbar, noch auffindbar sein, wegen der Stolpergefahr. Das ist eine technische Herausforderung, wenn die Steckdosen an der Wand sind. Daher haben wir in all unseren Behandlungsräumen Steckdosen am Boden direkt unter den Liegen einbauen lassen. Robert, vielen Dank für das Gespräch. Diese Artikel gehören zum Themenschwerpunkt “Einsatz in vier Praxiswänden”: Themenschwerpunkt 06.2023: Einsatz in vier Praxiswänden - So verschönerst Du Deine Räumlichkeiten auch mit einem geringen Budget „Geht einmal durch die Praxis und betrachtet die Räumlichkeiten mit der Patientenbrille“ - Interview mit Ina Schönack, Interior Designerin aus Hamburg Kleines Budget, große Wirkung: Mit diesen (fast) kostenfreien Maßnahmen pimpst Du Deine Praxisräume auf Budget bis 1.000 Euro: eine große oder viele kleine Maßnahmen Budget bis 5.000 Euro: kleine Umbauten und Renovierungen sind möglich Budget bis 10.000 Euro: Kombinationen aus verschiedenen Maßnahmen Budget bis 50.000 Euro: Licht? Boden? Möbel? Vieles ist drin „Ein klinisch reines Weiß an den Wänden lässt unsere Gesichter fahl und grau wirken" - Interview mit Katrin Trautwein, Farbforscherin und Gründerin von ktCOLOR – Die Farbmanufaktur