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Nach 5 Jahren Vertragsverhandlungen auf Bundesebene:

Viel Streit und überforderte Verhandlungspartner

Es hätte so schön werden können: Am 11. Mai 2019, also vor fast genau fünf Jahren, ist das TSVG in Kraft getreten. Für Heilmittelerbringer bedeutete das, bundeseinheitliche Preise, bundeseinheitliche Verträge und die Hoffnung auf mehr Gestaltungsspielraum bei der Weiterentwicklung der einzelnen Heilmittelbereiche. Gekommen ist es anders.
„Behandlungseinheit“ – die große Unbekannte
© fotosipsak

Immerhin, die bundeseinheitlichen Preise wurden von der GKV rechtzeitig zum 1. Juli 2020 veröffentlicht und gezahlt. Und seitdem wird die Vergütung mehr oder weniger regelmäßig angepasst. Die bundeseinheitlichen Verträge je Heilmittelbereich sind nach teils langen Wehen vereinbart worden. Das ist ja schonmal was.

Aber irgendwie läuft alles nur mit viel Aufwand für alle Beteiligten. Die Schiedsstelle hat unglaublich viel zu tun und trotzdem landen einige strittige Punkte noch vor dem Sozialgericht. Das wirkt dann schon manchmal wie Rechthaberei und nicht wie Gestaltungswille. Und ganz sicher hatte sich der Gesetzgeber das vor fünf Jahren nicht so vorgestellt.

Jeder gegen jeden

Die aktuelle Situation ist ziemlich verfahren: Der GKV-Spitzenverband denkt öffentlich darüber nach, mit wem man im Heilmittelbereich zukünftig weiter verhandeln will/soll, zwischen den Zeilen kann man lesen, am liebsten nur mit einem Verband je Heilmittelbereich.

Gleichzeitig gibt es vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eine Art Unentschieden im Streit zwischen GKV, Schiedsstelle und Physiotherapieverbänden. Das lässt sich vergleichsweise gut ablesen an der Verteilung der Verfahrenskosten.

In der Logopädie und Ergotherapie herrscht, teils gerichtsanhängig, Streit darüber, wer überhaupt mit verhandeln darf und nach welchen Regeln diese Verhandlungen laufen müssen.

Faktisch funktionieren die Verhandlungen zwischen GKV und den Heilmittelverbänden nicht wirklich gut. Und das hat viele Ursachen.

Gesetzgeber vermasselt den Start

Die sogenannten „maßgeblichen“ Heilmittelverbände auf Bundesebene und der GKV-Spitzenverband sollen die Verträge bzw. Rahmenbedingungen verhandeln, unter denen eine Praxis an der Versorgung von GKV-Mitgliedern teilnehmen kann, so das SGB V. Hört sich erst mal einfach an, aber jetzt in der Rückschau wird klar, dass der Gesetzgeber seinen Job nicht wirklich gut gemacht hat. Denn die genaue Festlegung, wer denn für die Heilmittelerbringerinnen und -erbringer verhandeln darf, hängt an dem Begriff „maßgeblich“, der dann ärgerlicherweise nicht genau definiert wurde. In der Folge hat der GKV-Spitzenverband festgelegt, was unter „maßgeblich“ zu verstehen ist. Offensichtlich nicht gut genug, denn aktuell wird gerade vor Gericht geklärt, was das denn eigentlich ganz konkret bedeutet.

Zweites Problem ist die fehlende Augenhöhe: Bundeseinheitliche Verträge werden ausgehandelt auf der einen Seite von der GKV, das sind anständig bezahlte Fachleute, die einen erfahrenen Stab von Verwaltungsangestellten und Rechtsanwält:innen hinter sich haben, um solche Verhandlungen erfolgreich im Sinne der GKV zu gestalten. Auf der anderen Seite sitzen überwiegend ehrenamtlich tätige Kolleginnen und Kollegen, die bestenfalls auf den einen oder anderen Justiziar der beteiligten Verbände zugreifen können. Alles kluge und engagierte Leute, aber das krasse Ungleichgewicht der Ressourcen ist einer der Grundfehler der Gesetzeskonstruktion. Der Gesetzgeber gibt also von Anfang an Rahmenbedingungen vor, die zumindest aus heutiger Sicht gute Verhandlungen nicht gerade gefördert haben.

GKV versagt bei der Umsetzung

Schon am 10. Mai 2019 veröffentlicht der GKV-Spitzenverband eine Bekanntmachung, in der Verbände, die sich für „maßgeblich“ bei der Vertretung der Heilmittelbereiche halten, aufgefordert werden, sich zu melden. Mit dieser Bekanntmachung legt der GKV-Spitzenverband die Kriterien nach eigenem Gusto fest. Man muss eine „Spitzenorganisation“, bundesweit aktiv und „maßgeblich“ sein, letzteres hängt nach Ansicht der GKV „insbesondere davon ab, wie viele der Leistungserbringer und welche Marktanteile in dem jeweiligen Heilmittelbereich vertreten werden.“

Die Kriterien sind genauso schwammig, wie beim Gesetzgeber und geben der GKV reichlich Luft, um die „Maßgeblichkeit“ mit einem breiten Freiraum anzuerkennen, oder auch nicht. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Frage, was genau die GKV sich unter Leistungserbringer:innen vorstellt. Gemäß SGB V würde man sich darunter nur zugelassene Praxisinhaber:innen vorstellen, aber in der Beurteilung der GKV wurden einfach die Mitgliederzahlen der jeweiligen Verbände ausgewertet. Angestellte, Schülerinnen und Schüler? Egal! Das viele Praxen Mitglied in zwei oder drei Verbänden gleichzeitig sind? Egal, kann man sowieso nicht auswerten.

Im Ergebnis führte diese Festlegung des Verhandlungskreises dazu, dass in den Verhandlungen auf Seiten der Verbände plötzlich auch Themen der „Angestellten“ hochkamen, obwohl es doch die Aufgabe der Verhandlungen war und ist, die Rahmenbedingungen für die zugelassenen Praxisinhaber:innen festzulegen.

Augenhöhe – Fehlanzeige!

Nicht unterschätzen darf man das ambivalente Gefühl der Verhandler:innen eines Heilmittelverbands, der seine Erlaubnis zur Teilnahme an den Verhandlungen von seinem GKV-Verhandlungsgegenüber erhalten hat. Das ist in etwa das Gegenteil von Augenhöhe!

Auf fehlende Augenhöhe deutet auch hin, dass die GKV die Struktur und Art und Weise der Verhandlungen einfach festgelegt hat. Kein Wunder, der GKV-Spitzenverband kennt solche Situationen und weiß, wie man sich in Verhandlungen zum eigenen Vorteil positioniert. Auf Seiten der Verbände musste man sich tatsächlich erst mal sammeln und beugte sich gerade bei Ablauffragen den Vorgaben der GKV, ohne rechtzeitig zu merken, dass Verhandlungsergebnisse auch über die Art und Weise der Verhandlungen bestimmt werden können.

Der GKV-Spitzenverband torpediert damit (hoffentlich unbeabsichtigt) schon vor Beginn der Verhandlungen eine gedeihliche Zusammenarbeit zur Weiterentwicklung der Heilmittelversorgung.

Heilmittelverbände sind anfällig für Uneinigkeit

Die Heilmittelverbände haben von Anfang Schwierigkeiten gehabt, sich auf gemeinsame Positionen zu verständigen. Das ist auch gar nicht so überraschend, denn bis Mai 2019 war man eher als ausdrücklicher Gegner/Mitbewerber unterwegs. Zur Erinnerung: Es gab in einigen Bundesländern mit denselben Krankenkassen unterschiedliche Versorgungsverträge und Preislisten mit einzelnen Verbänden. Die Praxen konnten sich aussuchen, welcher Vertrag und welche Preisliste gelten sollten.

2019 mussten sich nun plötzlich die „Gegner“ zusammenraufen zu einer gemeinsamen Interessenvertretung. Das hat bis heute leider nur mittelmäßig funktioniert. In der Physiotherapie ist man sich uneinig über die akademische Ausbildung des Berufsstandes, Logopädinnen und Logopäden streiten über die Notwendigkeit der Umsetzung einer Blankoverordnung und Ergotherapeut:innen werden sich leider nicht darüber einig, wie der Preis aussieht, zu dem man eine Behandlungseinheit wirtschaftlich erbringen kann. Und das sind leider nur einige ausgewählte Beispiele für Uneinigkeit.

GKV nutzt die Schwachstellen

Der GKV-Spitzenverband ist ganz clever und spielt Verbände gezielt gegeneinander aus. Hinter vorgehaltener Hand wird berichtet, dass Verbandsvorstände, -justiziare oder Verhandlungsteams vom GKV-Spitzenverband zu informellen Gesprächen nach Berlin eingeladen worden seien. Man trifft sich z. B. in einem Café und die GKV versucht Deals einzufädeln, abseits offizieller Verhandlungspfade. Nach dem Motto: Kommt Ihr uns hier entgegen, dann helfen wir Euch bei Eurem Lieblingsthema!

Vor Kurzem hat ein Verbandsvertreter berichtet, die GKV etabliere in den Verhandlungen regelmäßig eine „fünfte Kolonne“, also einen Verband, der wissentlich oder vielleicht auch nur unbedarft mit der GKV gegen die anderen Verbände paktiere. Dieser Hinweis kommt nicht aus dem ergotherapeutischen Verhandlungsteam, aber bei den Ergotherapeut:innen lässt sich dieses Paktieren eines Verbandes mit der GKV gegen einen anderen Verband aktuell gerade gut beobachten. Obwohl der eine Verband die Preisverhandlung als gescheitert vor die Schiedsstelle gebracht hat, veröffentlicht der andere Verband schon die neu vereinbarten Preise, mit dem Hinweis, dass man bei der Sitzung der Schiedsstelle zusammen mit der GKV alle anderen überstimmen würde. Da fragt man sich schon, wie es kommt, dass der Zusammenhalt der Verbände nicht grundsätzlich wichtiger ist, als die Durchsetzung einer einzelnen Position.

Partikular- vor Brancheninteressen

Das ist leider kein Einzelfall. Tatsächlich sind alle Beteiligten dabei, die Heilmittelbranche in immer kleinere Interessengruppen zu zerlegen, quasi die „Verzwergung“ der Heilmittelbranche voranzutreiben. Das hat damit angefangen, dass der stolze SHV, der Spitzenverband der Heilmittelverbände e. V., 2019 beim GKV-Spitzenverband seine Maßgeblichkeit beantragt hatte. Als dann klar wurde, dass alle im SHV vertretenen Verbände damit aber nicht als maßgeblich anerkannt werden würden, um Doppelvertretungen zu vermeiden, zog der SHV seinen Antrag zurück und alle Einzelverbände wurden maßgeblich. Das war genau das Gegenteil von dem, was notwendig gewesen wäre, um dem GKV-Spitzenverband auf Augenhöhe entgegentreten zu können. Partikularinteressen gehen leider immer noch vor Brancheninteressen.

Praxen müssen die Uneinigkeit ausbaden

Die Leidtragenden dieses Verhandlungstheaters sind die Inhaberinnen und Inhaber der Heilmittelpraxen in Deutschland. Offene Uneinigkeit der Verbände sorgt nicht gerade für bessere Stimmung in den Praxen. Und wehe, eine Praxis hat zwei oder mehr Heilmittelbereiche! Dann muss man sich mit unterschiedlichen Fristenregeln und Verordnungskorrekturformalien herumärgern. Das ist unpraktisch und kostet Geld in Form von Absetzungen.

Warum es in Logopädie- und Ergotherapie-Praxen Befundpositionen gibt und in der Physiotherapie nicht, erschließt sich niemandem und torpediert die Umsetzung vernünftiger Behandlungskonzepte in der Physiotherapie. Und bei den Physiotherapeuten gibt es immer noch Zertifikatspositionen, seit mehr als 30 Jahren. Wann wird dieser unwirtschaftliche Unsinn denn endlich abgeschafft?

Die zügige Umsetzung von mehr Freiheit bei der Behandlung in Form von vielen Diagnosen, bei denen eine Blankoverordnung möglich wäre, scheitert auf breiter Front. In Zeiten von Fachkräftemangel und anspruchsvollen Angestellten brauchen Praxen nicht nur genug Geld, sondern auch noch den Rahmen, um Bürokratie zu minimieren und aktuelle und spannende neue Behandlungskonzepte umsetzen zu können.

Wo stehen wir in weiteren fünf Jahren?

Bei der Bilanzierung der vergangenen fünf Jahre reicht es, die Ergebnisse zu betrachten. Das Honorar ist zum Teil auch deutlich gestiegen, aber die Rahmenbedingungen für die Heilmittelbranche als beteiligte Leistungserbringergruppe in der Selbstverwaltung sind katastrophal. Man stelle sich nur mal vor, die Heilmittelerbringer:innen bekämen einen Sitz im G-BA. Da würden die Ressourcen genauso fehlen, wie sie bei den Verhandlungen zu den bundeseinheitlichen Versorgungsverträgen gefehlt haben und immer noch fehlen.

Ich gebe die Frage mal weiter an all die Leserinnen und Leser, die bis hierhin durchgehalten haben: Wo wollt Ihr in fünf oder in zehn Jahren angekommen sein? Welche Rolle sollen Heilmittelerbringer in fünf oder zehn Jahren in der Selbstverwaltung des Gesundheitssystems spielen? Ich glaube, da gibt es aktuell noch ganz viel Raum für kluge, spannende und interessante Ideen für die Heilmittelpraxen der Zukunft!

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Sylvia Weniger
17.05.2024 21:20

ES ist schon lange überfällig für mehr Entscheidungsfreiheit bei den… Weiterlesen »

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