Spontan die Worte wiederfinden
Hinter ihrem Konzept stehen ihre Erfahrungen aus der neurologischen Rehabilitation und einer herkömmlichen Sprachtherapie mit ein bis drei Einheiten pro Woche. „Die Ergebnisse waren oft unbefriedigend“, erinnert sie sich, „und sie blieben weit hinter den Möglichkeiten vieler Patienten zurück.“ Dabei gab es schon Anfang der 2000er Jahre erste Studien, die sich für eine Intensiv-Sprachtherapie aussprachen. In einer vierjährigen Erprobungsphase führte Gabriele Scharf-Mayer freiberuflich in Kooperation mit Hotels und Kliniken erste Intensivtherapien durch, um Konzept, Methoden und Abläufe zu erproben und die Nachfrage zu testen. „Seit 2016 bieten wir in unserer kassenzugelassenen Praxis ausschließlich Intensivtherapien für erwachsene Patientinnen und Patienten mit neurologischen Erkrankungen.“
Wahl des Praxisstandorts entscheidend
Allerdings müssen die Voraussetzungen für eine Intensivtherapie in ambulanter Praxis stimmen. Dazu gehört der passende Standort mit genügend Übernachtungs- und Freizeitmöglichkeiten, größere Pausen- und Gruppenräume sowie die technische Ausstattung für das eigenständige PC-Training. Gabriele Scharf-Mayer entschied sich für den Kurort Bad Wildbad im Nordschwarzwald, der neben einer barrierefreien Innenstadt auch zahlreiche Aktivitäten bietet – auch für Rollstuhlfahrer:innen. Nach ihrer Erfahrung sind die Kosten für eine solche Praxis mit denen für eine normale barrierefreie Praxis vergleichbar. Allerdings gäbe es höhere Aufwendungen beispielsweise für einen größeren Aufenthaltsraum sowie die Anschaffung von Laptops zum Üben und Verleihen. „Auch die Organisation der Intervalltherapien erfordert schon einen gewissen Mehraufwand“, sagt die Therapeutin, „sodass ein Sekretariat auf jeden Fall wünschenswert ist.“
Lange Wartelisten schon für Eingangsdiagnostik
Anfangs musste die Praxischefin viel Werbung für ihre Intensiv-Sprachtherapie machen, stellte sie auf Messen, Tagungen, in Vorträgen oder Beiträgen in Fachzeitschriften vor. „Mittlerweile haben wir bereits eine lange Warteliste“, sagt sie mit einem Bedauern in der Stimme. „Mir tut es leid, dass viele Betroffene jetzt monatelang schon auf ihre Eingangsdiagnostik warten müssen, aber wir haben leider keine größeren Kapazitäten.“
Ermittlung der Schlüsselstörungen
Die fundierte Eingangsdiagnostik findet in der Regel drei bis sechs Monate vor Beginn eines Intensivtherapie-Intervalls statt. In drei bis vier Stunden macht sich die Therapeutin ein sehr genaues Bild von den sprachlichen Fähigkeiten, dem bisherigen Verlauf und der gesamten Kommunikationssituation. Neben der Analyse der kommunikativen Störungen und Ressourcen der Patientin oder des Patienten sollen ihre Schlüsselstörungen herausgefunden werden. Sie be- stimmen die Wahl der Therapieschwerpunkte. „In der umfassenden Diagnostik zeigt sich auch die Belastbarkeit des Betroffenen“, erklärt sie. „Danach legen wir die Stundenzahl pro Tag fest und entscheiden, wer mit wem in eine Gruppe passt.“
Maximal sechs Patienten gleichzeitig
In ihrer Praxis kann Gabriele Scharf-Mayer mit ihrem Team von einer Vollzeit- und zwei Halbtagskräften sechs Patient:innen gleichzeitig betreuen. In der Regel dauert ein Intervall drei Wochen, auf dem Programm stehen täglich drei Stunden Sprachtherapie, davon möglichst einmal in der Kleingruppe mit maximal fünf Teilnehmer:innen. „Es kann vorkommen, dass ein Patient nur eine Woche vor Ort ist“, sagt sie. „Einen längeren Aufenthalt können sich einige nicht leisten, da sie ihre Unterkunft aus eigener Tasche bezahlen müssen.“ Doch die Praxis bietet ihnen die Möglichkeit der Teletherapie, sodass sie ihre Behandlung von zu Hause aus fortsetzen können.
Wahl der richtigen Therapiemethoden
In den drei Wochen wird nur an wenigen ausgewählten Therapieschwerpunkten gearbeitet – wie etwa am auditiven Verstehen, am Wortabruf, am Satzbau oder an der kontrollierten Aussprache. Entscheidend ist die Wahl der richtigen Therapiemethode: In ihrer Praxis wendet Gabriele Scharf-Mayer bevorzugt solche an, deren Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien bereits nachgewiesen wurden. Dazu zählen u. a. die logopädische Methode LSVT® LOUD, die speziell für Menschen mit Parkinson zur Erhöhung der Sprechlautstärke entwickelt wurde, SIPARI®, eine musikunterstützte Sprachanbahnung für Patientinnen und Patienten mit chronischer Aphasie oder auch tDCS, die transkranielle Gleichstromstimulation, bei der therapiebegleitend über Elektroden am Schädel ein leichter Gleichstrom von 1mA durch das Sprachzentrum geschickt wird.
Wiederholung der Übungen ist A und O der Therapie
Das tägliche Üben der sogenannten Schlüsselübungen ist das A und O der Intensiv-Sprachtherapie, erklärt die Praxisinhaberin. Dazu kommt das Eigentraining. „Selbst mehrere Stunden Sprachtherapie am Tag ersetzen nicht das tägliche, selbstständige Üben – auch an unseren praxiseigenen Laptops.“ Die Erfahrung habe gezeigt, dass das selbstständige Arbeiten am Computer häufig als ein wichtiger Schritt in die Selbstständigkeit erlebt wird. „Nach dem ersten intensiven Sprachtherapie-Intervall ist im besten Fall ein deutlicher Effekt spürbar. Viele Teilnehmer sind damit jedoch noch nicht zufrieden und möchten die Intensivtherapie in Abständen von einem Jahr wiederholen.“
Es gebe nur wenige Patientinnen und Patienten, für die eine Intensiv-Sprachtherapie nicht geeignet ist, weiß die Sprachtherapeutin, „beispielsweise, wenn die Belastbarkeit (noch) nicht ausreicht, kognitive Störungen zu ausgeprägt sind oder eine notwendige Begleitperson fehlt“. Ein weiteres Ausschlusskriterium für eine Teilnahme sei das Vorliegen einer Demenz.
Intensiv-Sprachtherapie meist von Kassen bezahlt
Die Intensiv-Sprachtherapie findet ambulant, also auf Heilmittelverordnung statt. In der Regel zahlen sowohl die gesetzlichen wie die privaten Krankenversicherungen den größten Teil der Behandlung. Es bestehe sehr viel Informations- und Aufklärungsbedarf – vor allem bei den verordnenden Ärztinnen und Ärzten. „Viele haben nach wie vor Bedenken“, sagt die Praxischefin. Ihrer Ansicht nach sei es überfällig, dass die Intensiv-Sprachtherapie in der Heilmittelrichtlinie verankert werde – „mit festen Abläufen, die Ärzten und Krankenkassen bekannt sind, sodass man im Einzelfall nicht mehr kämpfen muss …“.