Wege aus dem Fachkräftemangel: „Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass jemand für mich arbeitet.“

Daniel, in Deiner Praxis gibt es mehr Bewerber:innen als freie Stellen. Woran liegt das, was machst Du anders?
Ganz objektiv ist unser Standort schon ein wichtiger Faktor. Magdeburg ist Landeshauptstadt und die jungen Leute kommen hier her. Unsere Praxis ist außerdem nur sieben Minuten vom Bahnhof entfernt. Im Speckgürtel der Stadt ist die Situation eine ganz andere, denn die Leute wollen keine 45 Minuten mehr zur Arbeit fahren.
Aber natürlich spielt auch das Profil unserer Praxis eine Rolle, besonders das des Teams. Denn das ist schon echt toll. Ich allein bin ja nicht die Praxis, ich bin nur ein Teil dessen. Und ich versuche es einfach hinzubekommen, dass sich alle gut verstehen und gut arbeiten können. Außerdem haben wir den Vorteil, dass wir eng mit Schulen zusammenarbeiten und die jungen Leute schon einen Einblick darin bekommen, wie es hier läuft. Bei uns ist es deutlich familiärer als in anderen Unternehmen.
Zur PersonDaniel Schmidt ist Physiotherapeut, sektoraler Heilpraktiker und angehender Osteopath. Er ist Inhaber einer Physiotherapie- Praxis mit 19 Mitarbeiter:innen und einer Podologie-Praxis mit zwei Mitarbeiter:innen. Daniel legt selbst viel Wert auf fachliche wie unternehmerische Weiterbildung. Therapie ist für ihn dann erfolgreich, wenn seine Patient:innen körperliches und seelisches Vertrauen in sich selbst (zurück-)erlangen. |
Spielt auch die Qualität der Therapie eine Rolle?
Ja, und viele wissen, dass die Qualifikation für mich das A und O ist. Mein Team bekommt von mir auch alle Weiterbildungen bezahlt und wird dafür freigestellt. Und da mache ich auch keine Bindungsverträge, denn ich kann auch in keiner Beziehung jemanden festhalten.
Also zusammenfassend glaube ich, es sind die Faktoren Standort, Qualifikation und Team, die eine große Rolle dabei spielen, dass wir keine Probleme mit dem Fachkräftemangel haben.
Du hast erzählt, dass Bewerbungsgespräche bei Dir auch mal mehrere Stunden dauern können und an den unterschiedlichsten Orten stattfinden. Was ist Dir bei diesen Gesprächen besonders wichtig?
Qualifikationen sind das eine, aber für mich ist es viel wichtiger, mein Team gut zu kennen und zu schauen, dass Bewerberinnen und Bewerber gut in das Profil passen. Wir machen möglichst oft gemeinsam Pause oder unternehmen Dinge zusammen. Da ist es einfach wichtig, zueinander zu passen. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass in der Therapie das Psychologische und Kommunikative eine große Rolle spielen. Wenn jemand im Gespräch schon sehr gehemmt ist, wird es schwierig für das Profil meiner Praxis.
Wie viel Wert legst Du denn im Bewerbungsprozess auf die fachlichen Qualifikationen?
Mir ist wichtig, dass jemand diesen Beruf aus Passion macht. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen wissen, warum sie diesen Beruf machen. Und die Weiterbildungen sind dann meine Investition in die Mitarbeiter:innen. Das sind dann auch nicht nur Weiterbildungen in die Fachlichkeit, als nächstes besuchen wir zum Beispiel gemeinsam einen Kommunikationslehrgang.
Wonach fragst Du sonst noch in den Gesprächen?
Wo zum Beispiel grundsätzliche Interessenfelder liegen, welche Hobbys sie oder er hat, um zu schauen, welche Teamaktivitäten passen könnten. Oder wie es mit der Familie aussieht: Hat die Bewerberin oder der Bewerber Kinder? Ist sie oder er mit dem/der Partner:in gut abgestimmt? Wenn die Kinder krank sind, wie wird das aufgeteilt? Das ist für mich natürlich auch aus wirtschaftlicher Sicht relevant.
Grundsätzlich steht die Familie an erster Stelle bei uns, das ist unser absolutes Credo. Und wenn ich sehe, dass die Familie zu Hause gut funktioniert, funktioniert wahrscheinlich auch die Familie auf der Arbeit ganz gut. Es geht darum, dass man indirekt alles abfragt, was irgendwie mit dem Unternehmen zu tun hat und vor allem mit den Leuten, die dort leben. Es ist also weniger ein klassisches Vorstellungsgespräch.
War es schonmal jemandem zu persönlich?
Ich taste mich da natürlich langsam ran und merke dann auch, wenn bestimmte Themen nicht funktionieren. Da kann ich relativ schnell umswitchen. Ich höre nicht nur auf das, was mein Gegenüber sagt, sondern nehme auch das Nonverbale wahr. Das ist unser tägliches Brot, unsere Patientinnen und Patienten analysieren wir auch schon, bevor sie überhaupt unterschrieben haben.
Ich muss aber dazu sagen, dass unsere Bewerber:innen viel auf Empfehlung kommen. In Magdeburg kennt man sich irgendwie. Und dann frage ich meistens schon den, über den der Kontakt kommt, ob die- oder derjenige überhaupt zum Team passt. Ich höre
mich da auch vorher schon um und gucke mir auch mal die Social Media-Profile an. Die Arbeit vorher spart Arbeit nachher, denn vieles lässt sich verhindern, wenn man sich vorab gut kennenlernt.
Du hast von Dir als Chef ein besonderes Selbstverständnis. Was hat es damit auf sich?
Ich sehe mich nicht als Arbeitgeber, sondern als Arbeitnehmer. Die Kolleginnen und Kollegen geben ihre Arbeitsleistung. Und machen diesen Beruf zu dem, was er ist! Ich glaube, so sollten das alle verstehen, die ein Unternehmen haben: Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sich jemand heutzutage dafür entscheidet, bei mir zu arbeiten. Ich möchte meine Kolleg:innen auf ihrem Weg unterstützen und so entsteht dann auch eine Bindung, die langfristig hält. Dafür muss ich mich auch viel mit mir selbst auseinandersetzen: Wer bin ich, wer möchte ich sein, was trage ich nach außen?
Du hast eben schon erwähnt, dass Du Dein Team als Familie verstehst. Was tut Ihr denn dafür, eine Familie zu sein?
Bei uns wird regelmäßig miteinander und füreinander gebacken und gekocht, wir planen Feierlichkeiten und Veranstaltungen zusammen. Dieses Jahr nehmen wir am Firmenstaffellauf teil. Es sind ganz verschiedene Unternehmungen, letztes Jahr waren wir im Barfuß-Park. Bisher sind es so drei bis vier Veranstaltungen zusammen im Jahr, das sollen aber noch mehr werden. Zeitlich ist das manchmal nicht so einfach, wir haben ja auch noch „andere“ Familien.
Hast Du auch schonmal erlebt, dass es jemandem zu viel war?
Ja! Und da ist Ehrlichkeit dann aber auch besonders wichtig. Zu sagen: „Es ist gut, dass Du so bist, wie Du bist, aber wir sind nicht die richtige Praxis für Dich, das funktioniert nicht mit uns“. Da muss man dann auch sagen, wenn jemand gehen muss. Diese Ehrlichkeit dürfen natürlich alle Kolleginnen und Kollegen lernen und leben.
Praxisforum: Mitarbeiter:innen finden und bindenWie findest Du trotz Fachkräftemangel passenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wie schaffst Du es, Dein Team langfristig an die Praxis zu binden? Wenn Du Dir auch nur eine dieser Fragen stellst, bist Du beim Praxisforum „Mitarbeiter erfolgreich finden und binden genau richtig„. Denn am Freitag, den 27. September 2024 geht es von 9 bis 16 Uhr genau darum. Hör Dir die Vorträge zu den Schwerpunkten „Mitarbeiter erfolgreich finden“, „Mitarbeiter erfolgreich onboarden“ und „Mitarbeiter erfolgreich binden“ an und stell alle Fragen, die für Dich wichtig sind. Wie immer hast Du als Teilnehmer:in natürlich Zugang zu allen Unterlagen und Mitschnitten. Weitere Infos und die Anmeldung findest Du hier. |
Das heißt, Dein Team hat Mitspracherecht?
Absolut. Ich stelle niemanden ein, wenn das Team nicht sagt, dass es passt. Wir hatten vor anderthalb Jahren mal jemanden, von dem ich dachte, dass es passen könnte. Und dann kamen die Kollegen und meinten: „Bist Du Dir sicher?“ Und die Kollegen kamen unabhängig voneinander zu mir. Ich habe diesen Bewerber dann nicht eingestellt. Wenig später kam jemand, der richtig gut ins Team passte.
Widersetzt Du Dich dem Gefühl Deines Teams denn auch mal?
Nachdem ich 24 Stunden drüber geschlafen und nachgedacht habe, ja. Das hilft in vielen Situationen, wenn es um Emotionen und das Ego geht. Aber natürlich, in bestimmten Situationen entscheide ich allein, gerade was das Wirtschaftliche und das Finanzielle angeht. Aber dabei habe ich immer im Blick, dass die Leute, die das alles erwirtschaften, das Recht und die Pflicht haben, sich einzubringen und ihre Meinung zu sagen. Wenn ich das unterbinden würde, würde das Unternehmen nicht funktionieren.
Wie geht Ihr denn grundsätzlich mit Konfliktsituationen um?
Es wäre gelogen, zu sagen, bei uns ist immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Wenn das so ist, hast Du kein Wachstumspotenzial. Aber wir versuchen immer, daran zu arbeiten, wie wir die Situationen ansprechen. In der Regel schreibe ich das Thema ans Whiteboard und dann gehen wir entweder direkt ins Gespräch oder wir teilen Karteikarten aus und dann gibt es anonyme Gedanken dazu und das wird dann miteinander diskutiert. Aber immer mit dem Blick, lösungsorientiert zu arbeiten. Und die Entscheidung fußt dann darauf, dass wir es im Nachgang nochmal besprechen.
Wie frei ist Dein Team in der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten?
Für mich ist es beinahe egal, wann mein Team arbeitet, denn die Patient:innen kommen. Wichtig ist, dass die Kolleg:innen am Ende des Monats auf ihre Stunden kommen. Zwei meiner Kollegen probieren zum Beispiel gerade die 4-Tage-Woche aus. Mein Team soll so arbeiten, dass es sich gut erholen kann und gut leistungsfähig ist. Das ist mir sehr wichtig. Denn dann macht Arbeit auch Spaß.
Bei Dir endet die Unterstützung Deines Teams nicht mit dem Verlassen der Praxis. Was treibt Dich dabei an?
Ein Beispiel: Wenn Mitarbeiter:innen gesundheitlich erkranken, versuche ich nicht nur, auf klassischem ärztlichen Wege eine Unterstützung zu sein. Sondern ich versuche, viele Expertisen zu Rate zu ziehen, die uns helfen könnten, auch hier wird dann in die Kollegin oder den Kollegen investiert. Eine Familie hält zusammen.
Handelt da der unternehmerische oder der empathische, familiäre Daniel?
Ich weiß gar nicht, ob man das so voneinander trennen kann. Natürlich sehe und weiß ich, dass sich so etwas nach hinten heraus auszahlen wird. Aber für alle, nicht nur für mich, denn das wäre egoistisch. Geld ist notwendig und wichtig, ohne funktioniert es nicht. Aber es funktioniert auch nicht ohne die andere Seite, das ist meine feste Überzeugung.
Gibt es in Praxen noch zu oft hierarchisches Denken und Führen? Wie stehst Du dazu?
Ja. Ich denke, dass das perspektivisch zu Schwierigkeiten in den Unternehmen führen wird, wenn Unternehmer:innen da nicht umdenken. Führung hat damit zu, eine Richtung vorzugeben und diese Richtung auch einzuhalten. Aber genauso wichtig ist es, alle miteinzubinden und teilhabenzulassen, gute Gespräche, aber auch gute Entscheidungen zu treffen. Wenn das Verhältnis stimmt, können alle im Unternehmen wachsen und das Unternehmen wird erfolgreich.
Natürlich entscheide ich über Gehälter oder die wirtschaftliche Situation. Aber ich bin nicht „der da oben an der Spitze“. Wenn wir uns auf der Ebene der Menschlichkeit und auf der Ebene des Miteinanders bewegen, dann muss es auf Augenhöhe sein. Wenn ich diese Augenhöhe verlasse, werde ich nie ein vernünftiges Verhältnis haben. Das heißt nicht, dass man sich nicht trotzdem die Dinge sagen kann, wie sie sind.
Was rätst Du anderen Praxisinhaber:innen zum Thema Fachkräftemangel?
Was man sagen kann, es gibt sehr viele tolle junge Menschen da draußen, die diesen Beruf ergreifen wollen. Und es gibt auch viele tolle ältere Kollegen, die nicht nur den Dienst nach Vorschrift machen. Ich würde ihnen empfehlen, sich selbst zu hinterfragen.
Sie dürfen auch Ängste ablegen, sich zu öffnen und authentisch sein. Ich kann den Zugang zu einem Menschen nur bekommen, wenn ich auch etwas von mir preisgebe.
Wenn ich mich dazu entscheide, mit Menschen zu arbeiten, muss ich selbst Mensch sein – mit allen Facetten des Menschseins. Und dann muss ich auch Schwäche und Euphorie und Dinge, die mich beeinflussen, offenlegen können. Lade Deine potenziellen Mitarbeiter:innen ein, Dich kennenzulernen.
Daniel, vielen Dank für das tolle Gespräch!