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Gründung im Team

„Ich wollte wieder frischen Innovationsgeist in meiner Praxis“
Die Physiotherapeutin Kerstin Klink war über 20 Jahre lang alleinige Inhaberin von zunächst einer, dann sogar zwei Physiotherapie-Praxen. Und stellte sich irgendwann die Frage: „Was wird aus meinen Praxen, wenn ich mal in Rente gehe?“ Die Lösung: Sie gründete mit zwei ihrer Mitarbeiterinnen eine GbR. Knapp anderthalb Jahre später haben wir Kerstin und ihre beiden Mitgründerinnen Anna-Lena Ruck und Ines Burke getroffen.
Gründung im Team
© Koerperblick

Kerstin, wie kam es damals zu der Entscheidung, eine GbR zu gründen?

KERSTIN | Mir selbst sind in den letzten Jahren immer mal wieder Praxen von alternden Kolleg:innen angeboten worden, die ich übernehmen sollte. Ich habe mir dann gedacht, dass ich mir frühzeitig Gedanken machen sollte, wie ich es mit meiner Praxis mal handhaben werde.

Was aber auch noch vorrangig war: Mit dem Alter weicht so ein bisschen der Innovationsgeist, weil die Erfahrung überhandnimmt. Das heißt, ich bin nicht mehr so wild wie früher. Aber ich habe mir diese Wildheit und diese neuen Ideen zurück in mein Team gewünscht. Ich wollte wieder frischen Innovationsgeist in meiner Praxis.

Ines und Anna-Lena, wie war das für Euch? Kam das aus heiterem Himmel?

INES | Also ich habe für mich eigentlich immer gesagt, dass ich niemals selbstständig sein und eine eigene Praxis haben möchte. Das war für mich immer ganz klar. Aber bei so einem Angebot und so einem Team, was wir haben, und dazu auch noch der Führung von Kerstin – da konnte ich nicht nein sagen. Das hast Du ja sonst nirgends. Sonst bist Du ja immer komplett auf Dich alleine gestellt, wenn Du Dich selbstständig machst. Das hat sich jetzt schon sehr bewährt, dass uns Kerstin begleitet.

ANNA-LENA | Ich habe vorher in anderen Betrieben gearbeitet und war dort immer sehr unglücklich. Deshalb dachte ich, dass ich mich irgendwann selbstständig machen muss. Dann habe ich angefangen bei Kerstin zu arbeiten. Von da an war das Thema Selbstständigkeit wieder vom Tisch. Denn selbst als Mitarbeiterin hattest Du immer das Gefühl, bei jedem Entscheidungsprozess irgendwie dabei zu sein und Mitspracherecht zu haben. Warum hätte ich mich dann selbstständig machen sollen?

Wie lief das dann ab für Euch? Wie kam das Angebot von Kerstin?

ANNA-LENA | Kerstin hat uns zum Essen zu sich nach Hause eingeladen. Und dann kam die Enthüllung. Ehrlich gesagt war ich erst einmal total überfordert, habe mich aber auch wahnsinnig geehrt gefühlt. Ich wollte aber auch darüber nachdenken und nichts übers Knie brechen. Ein bisschen Angst hatte ich schon vor diesem Schritt.

KERSTIN | Ich habe mir einen externen Coach dazu geholt für diesen Prozess. Ich wollte, dass wir uns alle sicher sind und ein gutes Gefühl dabei haben. Er hat mit jedem von uns Einzelgespräche geführt und dann Gespräche mit allen zusammen, um gewisse Dinge vorweg abzugleichen und zu schauen, ob es überhaupt grundsätzlich passt.

Kerstin, warum ist Deine Wahl denn auf genau die beiden gefallen?

KERSTIN | Bei Anna-Lena war es klar, weil sie ja schon die Zweigstelle leitete und ich gesehen habe, dass sie absolut das Zeug dazu hat. Und Ines hat mich von Anfang an an mich selbst in diesem Alter erinnert.

Wie lange warst Du denn schon dabei, Ines?

INES | Zu dem Zeitpunkt drei Jahre. Ich habe direkt nach der Ausbildung angefangen, bin quasi in dieser Praxis groß geworden.

Ihr habt eben schon erwähnt, dass Ihr einen Coach dazu geholt habt. Wie lief das denn konkret ab?

KERSTIN | Ich fand das wichtig, weil ich mir dachte, dass sich die beiden vielleicht mir als Chefin gegenüber nicht trauen, komplett ehrlich zu sein. Er hat vorgeschlagen, sich erst einmal mit beiden separat zu unterhalten und mich dann dazuzunehmen. Anschließend sind wir zu dritt ein Wochenende weggefahren.

ANNA-LENA | Ich muss ehrlich sagen, dass es genau richtig war, weil ich mich sonst wahrscheinlich nicht getraut hätte, alles frei herauszusagen. Obwohl ich an und für sich Dinge gerne direkt anspreche – den einen oder anderen Gedanken hätte ich trotzdem so nicht geäußert.

Magst Du sagen, was das für Gedanken waren?

ANNA-LENA | Wie kann Kerstin damit umgehen, dass wir jetzt auf gleicher Ebene stehen? Was passiert bei Konflikten? Kann sie sich wirklich bei Entscheidungen zurücknehmen? Wo sieht sie uns genau stehen?

INES | Für mich war es wichtig, die Sicherheit zu haben, quasi ein Tor für Kommunikation zu öffnen. Er hat uns einen Rahmen gegeben, offen miteinander sprechen zu können und das Gefühl zu haben, wenn es einen Konflikt gibt, ihn sofort zu lösen. Das war hilfreich, weil alles ausgesprochen werden konnte, was einen belastet.

ANNA-LENA | Nach dem Motto: „Alles, was im Vorfeld geklärt wurde, wird später nicht zum Problem.“

KERSTIN | Es wurden auch einige Konflikte sogar ein bisschen provoziert, um zu sehen, ob es auch funktioniert, wenn wir mal Stress miteinander haben. Wir können darüber sprechen, unsere Meinung sagen und äußern, wie es uns gerade damit geht.

Habt Ihr denn Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten? Wenn ja, zu welchen Themen und wie geht Ihr konkret damit um?

ANNA-LENA | Wir wenden genau das an, was wir an dem Wochenende gelernt haben. Es ging dann zum Beispiel viel um Basisthemen, die man abklopfen muss: Was passiert, wenn einer von uns länger krank wird? Was bei Schwangerschaft? Was im Todesfall? Das sind alles Eckpfeiler, die man bei einer Gründung besprechen muss. Nur dann gibt es im Fall der Fälle erst gar keinen Konflikt.

Aber auch jetzt im Praxisalltag gibt es immer mal Themen, die auftauchen. Aber das ist auch das Spannende. Wir sind oft unterschiedlicher Meinung, können uns dann aber doch immer in der Mitte treffen. Wir reden so lange, bis jede damit cool ist.

INES | Ja, am Ende kommen wir immer auf einen Nenner, sodass jede von uns damit konform geht.

Wann fiel die endgültige Entscheidung?

INES | Wir haben relativ lange gebraucht, bis wir den Vertrag unterschrieben haben. Im April hat Kerstin uns angesprochen und im September haben wir dann unterschrieben. Dann war es für mich auch erst richtig sicher. Vorher haben wir echt noch viel daran herumgebastelt und viele Gespräche geführt.

Und wie ist es nun für Euch, auf einmal Führungskraft zu sein? Habt Ihr Kurse besucht?

ANNA-LENA | Nein, Kerstin war und ist unser Kurs. Ich hatte echt Angst davor, es dem Team zu sagen. Umso schöner war die Reaktion: Die haben applaudiert, sind aufgesprungen und haben uns umarmt. Die erste Reaktion war: „Gott sei Dank, wir können bis zur Rente hier weiterarbeiten!“ Das war echt Wahnsinn.

Ist es dann bei der Akzeptanz geblieben? Oder gab es auch mal Situationen, wo das alles infrage gestellt wurde?

INES | Ja, die gab es. Wir waren in einer absoluten Ausnahmesituation in der Praxis. Wegen langer
und unerwarteter Krankheitsfälle. Dann muss man als Chefin auch mal Entscheidungen treffen und durchgreifen. Das waren unsere Leute einfach nicht gewohnt und das birgt Konfliktpotenzial. Das war für uns alle neu, denn davor lief es lange total harmonisch und entspannt.

Wir mussten Gespräche führen, in denen wir klar machten: „So geht es nicht weiter.“ Das war zwar stressig für uns alle, aber auch sehr hilfreich. Wir konnten dadurch viel auflösen. Im Nachhinein hat uns das alle enorm weitergebracht.

ANNA-LENA | Wenn alles easy läuft, kannst Du super führen. Aber wenn es mal nicht so rund läuft, lernst und wächst Du daran. Und nur dann kann auch Dein Team lernen, Vertrauen in Dich zu setzen.

KERSTIN | Ich habe die Mitarbeiterführung komplett abgegeben. Aber bis das unsere Mitarbeiter verinnerlicht haben, hat etwas gedauert. Wir mussten uns auch dahingehend absprechen, wie wir reagieren, wenn sie mich weiter als die „eigentliche“ Chefin sehen. Das wollten wir nicht. In diesem Fall habe ich dann gesagt: „Wenn Du als Mitarbeiter ein Anliegen hast, gehst Du bitte zu Ines oder Anna-Lena. Wenn Du privat etwas brauchst, dann kommst Du gerne zu mir.“

Fiel es Dir denn leicht, nicht selbst in alte Muster zu fallen?

KERSTIN | Ich habe es so empfunden, dass ich das gut hinbekommen habe. Ich muss mich viel reflektieren, weil die Gewohnheit sonst überhandnehmen würde. Schwer gefallen ist es mir überhaupt nicht, Führung abzugeben. Weil diese 20 Jahre, in denen ich alles alleine gemanagt habe, wirklich sehr anstrengend waren. Du bist nicht nur in der Mitarbeiterführung, Du machst auch Marketing, das Betriebswirtschaftliche, das Juristische. Es war genau der richtige Zeitpunkt, Verantwortung abzugeben. Wenn ich noch länger gewartet hätte, wäre ich wahrscheinlich lustlos und frustriert geworden.

Wie habt Ihr Eure Aufgaben verteilt?

INES | Ganz grob ist es so, dass Anna-Lena und ich das Personal managen und ein bisschen Alltagsgeschäft. Kerstin macht viel für die Außenwirkung und filtert politische Neuerungen für uns. Das Schöne ist, dass ihr Kopf wieder viel mehr Raum hat, und da kommen wirklich tolle Ideen bei raus.

KERSTIN | Ich kann mich jetzt auch wieder um die vermeintlichen Kleinigkeiten kümmern, die ich früher wegen der „wichtigen“ Dinge immer hintenanstellen musste.

Ines und Anna-Lena, wie ist es bei Euch denn jetzt verteilt? Wie viel seid Ihr noch an Patient:innen?

INES | Wir sind weiterhin ganz normal fast Vollzeit an unseren Patient:innen. Und was ansonsten anfällt, erledigen wir in unseren Orgazeiten und nach Feierabend.

ANNA-LENA | Wir arbeiten 38,5 Stunden und haben uns beide einmal in der Woche eine Organisationszeit von einer Stunde eingeplant. Auch wenn Patient:innen absagen, fragt unsere Rezeptionskraft nach, ob sie uns die Zeit frei lassen soll.

Gibt es etwas, was Ihr unterschätzt habt?

INES | Ich wusste, dass Personal einen großen Teil einnimmt und viel Zeit erfordert. Aber ich habe unterschätzt, wie viel Zeit es erfordert und wie sehr es einen manchmal auch mitnimmt.

ANNA-LENA | Wir fragen uns auch regelmäßig, wie Kerstin das alles vorher alleine geschafft hat.

KERSTIN | Und es tut echt gut, das zu hören.

ANNA-LENA | Es ist wahnsinnig spannend, zu sehen und zu lernen, was Leute so beschäftigt, was für einen selbst nie ein Thema gewesen wäre. Das ist die Kunst, zu lernen, Bedürfnisse von Kolleg:innen ernst zu nehmen und trotzdem den Fokus der Praxis dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Aber es macht großen Spaß. Und trotzdem habe ich die Masse an Themen, die so drum herum auftreten, unterschätzt. Aber dadurch, dass wir zu Dritt sind, macht es sehr viel Spaß. Aufgaben können auch mal abgegeben oder unter uns aufgeteilt werden.

Wie lange hat denn die Einarbeitung gedauert?

Anna-Lena, Ines und Kerstin gleichzeitig: Die läuft immer noch!

KERSTIN | Das Grobe hatten wir innerhalb von acht Wochen abgearbeitet, dafür haben wir uns dann zweimal die Woche getroffen.

Wie habt Ihr die GbR-Gründung finanziell gelöst?

KERSTIN | Wir mussten uns erst einmal auf einen Praxiswert einigen. Mir was es wichtig, dass keiner von beiden Geld aufnehmen muss. Deshalb bekommt nun jeder ein Geschäftsführergehalt ausbezahlt. Und mit dem, was am Ende des Jahres als Gewinn übrig ist, wird dann der jeweilige Praxisanteil abbezahlt. Das ist wie ein zinsloses Darlehen sozusagen.

ANNA-LENA | Hätte ich das Geld aufnehmen müssen, hätte ich es nicht gemacht. Es war damals gerade Corona, jeder zweite redete von Inflation. Den Weg über die Bank zu gehen hätte mir Angst gemacht.

Was war der Antrieb, ja zu sagen?

INES | Kerstin hat uns einfach so den Weg geebnet, dass es einem wirklich leicht gemacht wurde, diesen Schritt zu wagen. Ich habe einfach nichts Negatives davon.

ANNA-LENA | Unsere Praxis war einfach auch die erste Praxis, in der ich glücklich war als Angestellte. Das haben wir damals auch gleich dem Team gesagt: „Wir haben nicht vor, hier etwas zu verändern.“

Welchen Tipp würdet Ihr Kolleg:innen geben, die auch über diesen Schritt nachdenken?

ANNA-LENA | Es ist das Allerwichtigste, zu lernen, ehrlich zu kommunizieren. Sobald etwas im Argen liegt, musst Du es definitiv sofort ansprechen. Nur so lassen sich Missverständnisse verhindern. Und zur Gründung: Wenn Du Bock hast, mach es!

Das Wort selbstständig – also selbst und ständig – stimmt zu 100 Prozent. Du brauchst nicht glauben, dadurch weniger zu arbeiten. Aber wenn Du Lust darauf hast, macht es Dir nichts aus.

INES | Niemand kennt Dein Team besser als Du. Wenn Du jemanden im Team hast, bei dem Du denkst, das könnte passen: Schlag zu!

KERSTIN | 20 Jahre Führung machen etwas mit einem. Mein Tipp ist deshalb ganz einfach: Bevor Ihr frustriert seid oder die Freude schwindet, lernt abzugeben! Ich kann jetzt wieder viel leichter und entspannter mit meinem Team umgehen. Ich muss nicht mehr ständig Chefin sein und kann trotzdem noch mitwirken und Tipps geben. Das tut mir als Mensch unheimlich gut.

Vielen Dank für das tolle Gespräch mit Euch!

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