Blanko-VO Physiotherapie: Neue Versorgungsform mit alten Problemen

Endlich, es gibt eine Vereinbarung für die Blankoverordnung Physiotherapie! Die schafft viel Freiraum für die Behandlung von Schulterpatient:innen und beinhaltet erstmals Diagnostik-Positionen für Physiotherapeut:innen. Damit liefert sie die Basis für die Umsetzung von evidenzbasierter Praxis in der Physiotherapie. Nicht zu vergessen: Das spült auch viel mehr Geld in die Kassen der Physiotherapie-Praxen – wenn man das denn will. Der Unterschied zwischen einer herkömmlichen Heilmittelverordnung und der neuen Blankoverordnung ist größer, als man das im ersten Moment wahrnimmt. Eine herkömmliche Heilmittelverordnung ist faktisch eine Arbeitsanweisung der Ärzt:innen an die Therapiepraxis. Zu der gelieferten Diagnose sollen eine genaue Anzahl von festgelegten Leistungen erbracht werden. Die Blankoverordnung Physiotherapie liefert da ein ganz anderes Setting. Hier übergeben Ärzt:innen die Patientinnen und Patienten mit einer bestimmten Diagnose in die Versorgungsverantwortung der Physiotherapie-Praxis, und zwar für einen Zeitraum von 16 Wochen. In diesen 16 Wochen ist im Rahmen der Regeln der Blankoverordnung ganz allein die Praxis für die Heilmittelversorgung dieser Patient:innen zuständig und verantwortlich. Dieser Unterschied zwischen klassischen Heilmittelverordnungen und der Blankoverordnung kommt vermutlich nicht in jeder Praxis an, weil die Rahmenbedingungen der Blankoverordnung sich leider im- mer noch an den veralteten und längst überholten Strukturen der GKV-Leistungsbeschreibungen orientieren. Es gibt also auch bei der Blankoverordnung weiterhin die inhaltlich immer schon unbegründeten Von-bis-Zeitkorridore, sodass auch bei der Blankover- ordnung die Leistungen für Patient:innen sich je nach Praxis sehr stark unterscheiden werden. Zertifikatspositionen und uneinheitliche Minutenpreise Und dann gibt es leider auch weiterhin die Zertifikatspositionen. Die Vereinbarung über die Blankoverordnung ist natürlich ein großes Subventionspaket für die Zertifikatspositionen. Der Unterschied im Minutenpreis einer Blankoverordnung zwischen KG und KG-Gerät ist einfach enorm. Da bei der Blankoverordnung die Praxis über die Wahl des Heilmittels entscheidet, dürften finanzielle Erwägungen hier ausschlaggebend für die Wahl des Heilmittels werden. Ist das wichtig? Ja, denn die unterschiedlichen Zeittakte und Zertifikate machen die organisatorische und inhaltliche Umsetzung der Blankoverordnung unnötig kompliziert. Ein einheitlicher Minutenpreis über alle Leistungen hinweg, so wie es in der Ergotherapie und Logopädie schon länger üblich ist, hätte die Umsetzung der Blankoverordnung sicherlich vereinfacht. Jetzt muss man eine neue Versorgungsform mit veralteten Leistungsbeschreibungen umsetzen. Blankoverordnung als Testlauf für den Direktzugang Und: Die Blankoverordnung ist zumindest in Teilen eine Art Testlauf für den Direktzugang. Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass es in zwei Jahren einen Zwischenbericht und in vier Jahren einen Ergebnisbericht an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) geben wird, bei dem es unter anderem um „Auswirkungen auf das Versorgungsgeschehen, die Mengenentwicklung, die finanziellen Auswirkungen auf die Krankenkassen sowie die Auswirkungen auf die Behandlungs- und Ergebnisqualität“ gehen soll. Erstes Problem: Wie soll über die Auswirkung auf die Behandlungs- und Ergebnisqualität berichtet werden, wenn es heute keine Daten zur Behandlungs- und Ergebnisqualität gibt? Und ohne die Auswirkung auf die Behandlungsergebnisse macht jede andere Betrachtung über Mengenentwicklung und finanzielle Auswirkungen gar keinen Sinn. Hat keiner der Vertragspartner wirklich Interesse daran, die Ergebnisse der Übertragung der Versorgungsverantwortung auf die Physiotherapie-Praxis zu messen? Zweites Problem: Selbst, wenn man messen wollen würde, gäbe es vermutlich kaum belastbare Ergebnisse. Denn die Positionen KG oder MT haben einen Zeitkorridor von 15 bis 25 Minuten, d. h. in einer Praxis mit 25 Minuten Zeittakt erhält ein Patient eine 66,6 Prozent längere Behandlungsdauer als in einer Praxis mit kurzem Zeittakt. Das war schon immer schräg, erhält aber vor dem Hintergrund des geplanten Berichts an das BMG eine zusätzliche Bedeutung. Wie will man über die Ergebnisse der Blankoverordnung berichten, wenn die angewendete Behandlungsdauer sich so stark unterscheidet? Fazit: Faktisch ist die Blankoverordnung eine gute Übung für alle Praxen, mehr Versorgungsverantwortung zu übernehmen. Das wird gut bezahlt, sodass zusätzlicher Organisationsaufwand damit einiger- maßen abgegolten ist. Die Chance, Heilmittelversorgung neu und zukunftsweisend zu gestalten, ist nicht genutzt worden, nicht mal 10 Prozent der Physiotherapie-Diagnosen sind von der Blankoverordnung umfasst, eine Aktualisierung der veralteten Leistungsbeschreibungen ist versäumt worden und bei der Auswertung der Ergebnisse dieser Vereinbarung werden wieder nur einseitig finanzielle Aspekte (Preis und Menge) eine Rolle spielen, Behandlungsqualität wird erneut nicht gemessen. Eine Gestaltung der zukünftigen Heilmittelversorgung hatten sich die meisten Kolleginnen und Kollegen vermutlich anders vorgestellt. Diese Artikel gehören ebenfalls zum Themenschwerpunkt “Blankoverordnung Physiotherapie”: Blankoverordnung Physiotherapie, so geht ́s Die Blankoverordnung Physiotherapie auf einen Blick Ampelsystem soll Wirtschaftlichkeit garantieren Umsetzung der Blankoverordnung organisieren Beispiele zur Therapieplanung