„Große Chance, eine sehr gute Therapiequalität zu schaffen“

Seit dem 1. April 2024 gibt es die Blankoverordnungen in der Ergotherapie nun schon. Höchste Zeit, um einmal nachzufragen, wie es Euch damit ergeht, welche positiven Erfahrungen Ihr bisher gemacht habt und wo es noch hakt. Ralf Buchner hat im up-podcast mit Nicole Sagemüller gesprochen, die in Köln Inhaberin einer interdisziplinären Praxis ist. Heute werfen wir einen Blick in die Vergangenheit, um für die Zukunft zu lernen. Nicole, wie war das bei Euch, kamen im April direkt die ersten Patient:innen mit Blankoverordnungen? Tatsächlich war ich sehr überrascht, weil ich gedacht habe, es wird bestimmt ein bisschen dauern, bis die Information an die Ärzte kommt. Aber wir haben schon direkt im April die ersten Blankoverordnungen bekommen. Wie haben Deine Ergotherapeut:innen reagiert, als die Blankoverordnung angekündigt wurde? Wir standen den Blankoverordnungen sehr offen gegenüber. Eine Veränderung ist ja auch immer eine Chance. Wir haben uns auf die neuen Verordnungen gefreut. Aber es war dann auch so, dass wir gemerkt haben, wo die Fallstricke sind, was wir anpassen müssen, an welchen Stellen wir viel kommunizieren müssen, um Sicherheit ins Team zu bringen. Im Team waren natürlich auch Unsicherheiten vorhanden. Ich sage immer, dagegen hilft nur, sich Wissen anzueignen und das haben wir dann auch gemacht. Dadurch ist Struktur und Ruhe ins Team gekommen. Gefreut haben sich alle über die neuen Freiheiten und die Vor- und Nachbereitungszeiten, die im Rahmen der Blankoverordnung vergütet werden. Das Ziel der Blanko-VO ist ja, dass die Ergotherapeut:innen mehr Kontrolle über die Art der Therapie bekommen. Hat sich bei Euch im letzten halben Jahr an der Therapie etwas verändert? Es steht und fällt mit dem Therapeuten und dessen Engagement. Also wenn ein Therapeut Lust hat, eine gute Therapie aufzubauen, was ich mir wünsche, dann bietet die Blankoverordnung schon gute Möglichkeiten dafür. Sie ist eine große Chance, eine sehr gute Therapiequalität zu schaffen. Aber natürlich gibt es auch Therapeuten, die denken, da entsteht nun so viel Orga, ich mache lieber weiter wie bisher mit meinen gewohnten Zeiten. Wir haben Plangespräche jede Woche mit jedem Therapeuten und da besprechen wir dann die Klienten, die eine Blankoverordnung haben und gucken, was steht an und wo können wir anpassen. Wie reagieren denn Eure Patient:innen darauf, dass sie plötzlich unterschiedliche Behandlungszeiten erhalten? Das ist sehr unterschiedlich. Einige sind verunsichert. Sie denken dann: Aber ich hatte doch sonst immer die Zeit, warum denn jetzt nicht mehr? Hier ist Kommunikation mit den Patienten natürlich wichtig. Sie müssen verstehen, was sich nun verändert hat. Ein Thema, das Therapeut:innen immer beschäftigt, ist die Zuzahlung. Ich habe jetzt mit der Blankoverordnung noch stärkere Ängste der Praxen wahrgenommen, weil die Zuzahlungssumme für 16 Wochen so hoch sei. Dabei ist die Zuzahlung nicht höher als bei normalen Verordnungen. Wie geht Ihr mit dem Thema um? Das ist wahrscheinlich ein psychologischer Effekt. Wenn ich die Gesamtsumme der Zuzahlungen für eine 16-Wochen-Verordnung sehe, dann sieht das auf den ersten Blick natürlich nach viel mehr aus als bei einer normalen Verordnung. Wir nutzen das SEPA-Lastschriftverfahren und ziehen zu Beginn der Behandlung die erste Hälfte der errechneten Zuzahlung ein und am Ende dann den Rest. Es gibt Menschen, die nicht sofort eine so große Summe stemmen können. So vermeiden wir auch, dass wir Rückzahlungen einleiten müssen. Und auch die Patienten finden unsere Variante ganz gut. Sie verstehen auch, dass wir bei so einem langen Zeitraum nicht genau sagen können, wie viele Termine tatsächlich am Ende stattfinden. Das läuft bei uns wirklich gut. Bei den Blankoverordnungen in der Ergotherapie gibt es die drei Ampelphasen grün, gelb und rot. Habt Ihr schon einmal die grüne Phase überschritten? Nein, das möchte ich auch nicht. Es ist ja bei uns nicht so wie bei den Ärzten, dass wir begründen können, warum wir mehr Behandlungen benötigt haben. Uns werden die Abschläge direkt abgezogen. Daher vermeide ich diesen Stress, auch weil ich mich und meine Praxis nicht unter Wert verkaufen möchte. Aber in der gelben Phase passiert ja noch gar nichts. Da gibt es ja noch keine Abschläge. Vielleicht bin ich ein zu großer Sicherheitsmensch. Wie wirtschaftlich sind denn für Euch Blankoverordnungen? Im Moment finde ich den Orga-Aufwand noch ein bisschen groß. Was ich gut finde, ist, dass die Therapeuten eine Orga-Zeit bekommen, die auch vergütet wird. Die Termin- und Therapieplanung für den Zeitraum von 16 Wochen empfinde ich noch ein bisschen schwierig. Wir brauchen noch etwas mehr Erfahrung, um zu schauen, ob sich Blankoverordnungen lohnen. Im Moment haben wir Diskussionen mit den Krankenkassen über die Angabe der Behandlungszeit auf der Rückseite der Verordnung. Wir haben bisher immer die Behandlungszeit hingeschrieben sowie eine Unterschrift pro Termin. Die Kassen wollen jetzt jede 15 Minuten einzeln unterzeichnet haben. Das Muster 13 ist ja eher ein Arbeitsablaufzettel. Eine Ärztin verordnet und die Therapeut:innen arbeiten ab. Nun kommt die Blankoverordnung und es heißt: Du bist jetzt 16 Wochen lang eigenständig verantwortlich dafür, deinen Patienten zu behandeln. Das müsste Deine Mitarbeiter:innen doch eigentlich motivieren, dass sie nun mehr Wertschätzung erfahren, oder? Ja, von der therapeutischen Freiheit her auf jeden Fall. Ich wünsche mir auch, dass es einen positiven Effekt auf die Mitarbeiterzufriedenheit hat. Nicole, vielen Dank für das Gespräch. Hörtipp Nicole Sagemüller im up-podcast Das gesamte Gespräch könnt Ihr Euch hier anhören: www.up-aktuell.de/podcast-erfahrung-ergo