Blankoverordnung bei Schlüsselbeinfraktur

Seit gut zwei Monaten gibt es die Blankoverordnung Physiotherapie für Schulter-Diagnosen. Diese neue Versorgungsform gibt Euch die Freiheit, die Behandlung der Patient:innen für 16 Wochen so zu planen und durchzuführen, wir Ihr es für richtig haltet. Ihr wählt die passenden Heilmittel, entscheidet über die Länge und Frequenz der Therapie. Dabei tauscht Ihr Euch je nach Bedarf mit den behandelnden Ärzt:innen aus – auf Augenhöhe, nicht als Abarbeiter von deren Anweisungen. In diesem Artikel zeigen wir Euch am Beispiel der Schlüsselbeinfraktur, wie ein solcher Therapieplan aussehen kann und wie sich diese Art der Versorgung auf die Wirtschaftlichkeit der Praxis auswirkt. Therapieplan S42.00 – Fraktur der Klavikula, Teil nicht näher bezeichnet Ein 34-jähriger Patient ist bei Glatteis gestürzt und dabei mit großer Wucht auf den rechten, ausgestreckten Arm gefallen. Nach der ärztlichen Untersuchung, einschließlich Röntgendiagnostik, wurde die Diagnose S42.00 – Fraktur der Klavikula, Teil nicht näher bezeichnet gestellt. Die Fraktur zeigte sich als unkomplizierter Bruch ohne relevante Fehlstellung. Sie wird konservativ mit einem Rucksackverband versorgt, der für die ersten vier Wochen kontinuierlich getragen werden soll. Die ärztlichen Vorgaben zur Behandlung sind im Arztbrief dokumentiert und müssen berücksichtigt werden. Zusätzlich wurde von der Ärztin eine Blankoverordnung (Blanko-VO) für Physiotherapie ausgestellt, die gemeinsam mit dem Arztbrief an die behandelnde Therapiepraxis übergeben wurde. Eine Wiedervorstellung des Patienten zur Nachkontrolle ist nach vier bis fünf Wochen vorgesehen, um den Heilungsverlauf zu überprüfen. Der Therapieplan sieht eine Behandlung in vier aufeinander aufbauenden Phasen vor. Phase 1: Akute Phase (Woche 1–2) Ziele: Schmerzlinderung Immobilisierung zur Förderung der Heilung Schonende Mobilisation der Nachbargelenke, wie z. B. Ellenbogen Die Schmerzen des Patienten werden auf ein erträgliches Maß reduziert, die Fraktur wird durch geeignete Maßnahmen stabilisiert, und der Alltag wird unter Berücksichtigung der Immobilisation angepasst unterstützt. Behandlungsansätze: Schmerzlinderung und Entzündungshemmung Kältetherapie zur Reduktion von Schmerzen und Schwellung Aufklärung über Ruhigstellung und Schonhaltung (Vermeidung von schmerzauslösenden Bewegungsmustern) Elektrotherapie (z. B. Ultraschalltherapie zur Entzündungshemmung) Mobilisation Passive Bewegungen der Nachbargelenke durch den Therapeuten, um Bewegungseinschränkungen zu vermeiden Erlernen geeigneter lymphabflussfördernder Maßnahmen Entlastung und Schmerzkontrolle Anleitung zur richtigen Haltung und Schonung im Alltag, um Überbelastungen zu vermeiden Wichtig: In Woche 1 findet vor der ersten Behandlung die physiotherapeutische Diagnostik statt, direkt im Anschluss daran die erste Doppelbehandlung MT. Phase 2: Subakute Phase (Woche 3–6) Ziele: Reduktion der Schmerzen und Wiederherstellung der Beweglichkeit Vermeidung von Muskelatrophien Verbesserung der Propriozeption (Gelenkwahrnehmung) Die Beweglichkeit des Schultergelenks wird durch gezielte passive und aktive Übungen im schmerzfreien Bereich gefördert, die Muskelaktivität wird reaktiviert, und Überlastungen werden konsequent vermieden. Behandlungsansätze: Schmerzlinderung Weiterhin Anwendung von Eistherapie und Elektrotherapie Passive Mobilisation Muskelaktivierung Isometrische Übungen der umliegenden Muskulatur Vermeidung von Belastung Kein Heben von Lasten oder Überkopfarbeiten – ärztliche Vorgaben beachten Phase 3: Aufbauphase (Woche 7–12) Ziele: Wiederherstellung der vollen Beweglichkeit Aufbau der Muskelkraft und funktionellen Belastbarkeit Verbesserung der Propriozeption und Stabilität Die Beweglichkeit des Schultergelenks wird vollständig wiederhergestellt, die Kraft und Stabilität der betroffenen Strukturen werden aufgebaut, und der Patient wird schrittweise auf die Rückkehr zu Alltags- und beruflichen Anforderungen vorbereitet. Behandlungsansätze: Manuelle Therapie zur Förderung der Gelenkbeweglichkeit und Schmerzlinderung Aktive Mobilisation zur Erweiterung der Bewegungsübungen Funktionelle Übungen für den Alltag z. B. mit leichten Gegenständen Kräftigung der Muskulatur Progressives Krafttraining mit moderatem Widerstand (z. B. Therabänder, leichte Gewichte) Funktionelle Übungen wie Stützvarianten oder Wandliegestütze Ergänzende Therapien: Kälte- und Elektrotherapie zur Unterstützung der Heilung Wichtig: In Woche 13 ist die Bedarfsdiagnostik eingeplant. Diese neue Position der Blanko-VO dient dazu, den Behandlungsverlauf zu beurteilen, ggf. den Therapieplan anzupassen oder den Thera- pieerfolg am Ende zu analysieren. Phase 4: Rückkehr zur vollen Belastung (ab Woche 13) Ziele: Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit der Schulter Rückkehr zu alltäglichen oder sportlichen Aktivitäten ohne Einschränkungen Prävention von Folgeverletzungen Die vollständige Belastbarkeit und Funktionalität der Schulter werden wiederhergestellt, die Muskulatur wird stabilisiert, und der Patient wird auf eine sichere Rückkehr in den Alltag und sportliche Aktivitäten vorbereitet. Behandlungsansätze: Fortgeschrittenes Kraft- und Stabilisationstraining Übungen mit steigendem Widerstand (z. B. Zug- und Stützübungen) Training der gesamten Bewegungsamplitude unter realistischen Belastungen Propriozeption und Stabilisation Fortgeschrittene Übungen auf instabilen Unterlagen zur Förderung der funktionellen Stabilität Dynamische Stabilitätsübungen zur Simulation von Alltagsbewegungen Sportartspezifisches Training (optional) Übungen zur Vorbereitung auf sportliche Aktivitäten je nach Bedarf und Anforderung des Patienten Allgemeine Empfehlungen Wöchentliche Physiotherapiesitzungen Phase 1: 2–3 x pro Woche (MT, Kältetherapie, Elektrotherapie) Phase 2: 2 x pro Woche (MT, Kältetherapie und Elektrotherapie) Phase 3: 2 x pro Woche (KGG, MT und Elektrotherapie) Phase 4: 2 x pro Woche, ggf. in Eigeninitiative (KGG) Eigenübungen: tägliche Durchführung eines Heimpro- gramms, bestehend aus Kräftigungs-, Mobilisations- und Propriozeptionsübungen Regelmäßige Kontrolltermine: Überwachung des Heilungsfortschritts durch den behandelnden Arzt, ggf. Therapiebericht mit dem Status quo. Anpassung der Übungen: Die Intensität und der Schwie- rigkeitsgrad der Übungen sollten entsprechend dem Fortschritt angepasst werden. Ernährung: ausreichende Zufuhr an Kalzium und Vitamin D zur Unterstützung der Knochenheilung Arztkommunikation auf Augenhöhe Eine regelmäßige Kommunikation zwischen Therapeut, Ärztin und Patient ist in diesem Fall von entscheidender Bedeutung. Der Heilungsverlauf sollte ärztlich überwacht werden, oft mithilfe von Röntgenbildern, um eine optimale Versorgung sicherzustellen. Gerade bei einer Blankoverordnung ist es essenziell, die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten aktiv zu fördern. Ärzt:innen könnten befürchten, dass Patient:in- nen nach Ausstellung der Verordnung über längere Zeit, z. B. 16 Wochen, nicht erneut ärztlich vorstellig werden. Dieses Risiko sollten Therapeutinnen und Therapeuten stets im Blick behalten. Daher ist es sinnvoll, Therapieberichte regelmäßig, insbesondere als Zwischenbericht zum aktuellen Status quo, an die behandelnde Ärztin oder den Arzt zu übermitteln. Dies stärkt die Kommunikation, verbessert die Therapiekoordination und erhöht die Behandlungsqualität für die Patient:innen. Therapieplanung in Zahlen Ihr werdet direkt erkannt haben, dass die hier beschriebene Optimalversorgung über die im Vertrag festgelegten 26 Behandlungseinheiten in der grünen Phase hinausgeht. Um zu zeigen, dass sich eine gute Versorgung nicht nur für die Patient:innen, sondern auch wirtschaftlich für die Praxis lohnt, haben wir den Therapieplan in den Blankverordnungsrechner eingetragen. Das sieht dann so aus wie der Therapieplan in Abbildung 1. Habt Ihr den Therapieplan in den Blanko-VO-Rechner übertragen, zeigt Euch dieser automatisch die Vergütung für die einzelnen Behandlungen an und berechnet einen durchschnittlichen Minutenpreis von 1,97 Euro (siehe Abbildung 2). Dabei sind die Vergütungskürzungen für Behandlungen in der roten Phase bereits eingerechnet. Mit insgesamt 50 vorrangigen Heilmitteln liegt dieser Therapieplan deutlich in der roten Phase, die bei dieser Diagnose ab der 27. Behandlung beginnt. Dennoch erlaubt es die Blankoverordnung, den Patienten bedarfsgerecht zu versorgen und gleichzeitig wirtschaftlich zu arbeiten. Der Patient erhält während der 16 Wochen eine durchschnittliche Behandlungszeit von fast zwei Stunden pro Woche (siehe Abbildung 3). Fazit: Obwohl in diesem Beispiel fast die Hälfte der Behandlungseinheiten mit vorrangingen Heilmitteln in der roten Phase stattfinden, liegt der durchschnittliche Minutenpreis während der 16 Wochen bei 1,97 Euro. Unsere Beispielpraxis hat hier im 20-Minuten-Takt (Doppelbehandlung 40 Minuten) behandelt. Weitere Informationen zum Thema Blankoverordnungsrechner Klavikulafraktur: Wenn Ihr den Rechner zu diesem Beispiel nochmal genauer anschauen möchtet, findet Ihr hier die Excel-Datei: www.up-aktuell.de/bvo-klavikula. Für das Beispiel in diesem Artikel haben wir Therapieplan C verwendet. Ihr findet in der Excel-Datei noch weitere Therapiepläne, beispielsweise mit KG statt MT. Außerdem könnt Ihr den Blanko-VO-Rechner individuell an Eure Praxis anpassen. Wie das genau funktioniert, haben wir im Themenschwerpunkt 11/12.2024 Therapieplanung mit der Blankoverordnung Physiotherapie erklärt: www.up-aktuell.de/therapieplanung Und alles, was Ihr sonst noch zum Thema Blankoverordnung Physiotherapie wissen müsst, könnt Ihr im Themenschwerpunkt 10.2024: „Blankoverordnung Physiotherapie, so geht's“ nachlesen: www.up-aktuell.de/sp-10.2024 Natürlich gibt es auch ein Webinar zum Thema. Bereits am Dienstag, den 7. Januar 2025 um 17.30 Uhr könnt Ihr an „Blankoverordnungen in der Physiotherapiepraxis umsetzen“ teilnehmen. Infos dazu sowie weitere Termine findet Ihr unter www.up-aktuell.de/webinar-blanko.