Sexueller Missbrauch: Folgen und Traumata

In unserer letzten Ausgabe haben wir uns mit sexuellem Missbrauch in der Kindheit beschäftigt. Weil seine Folgen noch im Erwachsenenalter spürbar sind, legen wir nun den Fokus darauf. Im folgenden Beitrag geht es um diese Folgen, um Traumata und ihre Merkmale. Inspiriert dazu hat uns unser Leser Marcel Junker, Physiotherapeut, Heilpraktiker für Physiotherapie und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er bietet in seiner Praxis ruhepol.BERLIN traumasensible Physiotherapie an und erklärt uns, was es damit auf sich hat. Marcel Junker, Physiotherapeut, Heilpraktiker für Physiotherapie und Heilpraktiker für Psychotherapie, bietet in seiner Praxis ruhepol.BERLIN traumasensible Physiotherapie an. Seiner Meinung nach reicht die klassische Physiotherapie nicht aus, wenn sich psychische Erfahrungen körperlich manifestieren. Körperliche Beschwerden, für die keine klare Ursache erkennbar ist, können Indiz für ein Trauma sein. Er plädiert dafür, dass Therapierende bei Behandlungen das mögliche Vorliegen eines Traumas im Hinterkopf haben. Seiner Meinung nach sollte eine Berufsgruppe, die so nah am Menschen arbeitet, von körperpsychotherapeutischen Verfahren lernen und sie in die Physiotherapie überführen, um zum Beispiel Red Flags erkennen zu können. Achtsame Wahrnehmung In der TSP geht es darum, den Menschen zu stabilisieren und das Erlebte so gut wie möglich zu integrieren. Wichtig sind zuerst der Beziehungsaufbau und das Schaffen einer vertrauensvollen Atmosphäre. Patientinnen und Patienten sollen auf menschlicher Ebene positive Referenzerfahrungen machen. Das ist gerade mit Blick auf die intime Situation in der Physiotherapie nötig. Sie sollten sich dabei wohlfühlen, ihre Klei- dung abzulegen und berührt zu werden. Im Vordergrund steht immer die Frage: Was ist bei diesem Menschen angemessen? Therapeutinnen und Therapeuten sollten sensibel auf Trauma-Anzeichen achten, sie erkennen und darauf passend reagieren. Das bedeutet, beispielsweise die Behandlung zu verlangsamen und dafür zu sorgen, dass sich die Patientin oder der Patient sicher und geborgen fühlt. Traumatisierten Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu geben, ist elementar, denn genau das fehlt ihnen. Es ist aber die Voraussetzung dafür, dass sich ihr autonomes Nervensystem entspannt und die physiotherapeutische Technik bestmöglich wirken kann. Ständige Kommunikation Ein behutsamer Umgang bedeutet viel Kommunikation, etwa Behandlungsschritte zu erklären und anzukündigen sowie auf Patientenreaktionen zu achten und sie anzusprechen. „Ich fühle, dass jetzt etwas ir- gendwie nicht stimmig ist. Wie geht es Ihnen?“, vermittelt klar, dass das Wohlbefinden der Patientin oder des Patienten im Mittelpunkt steht und Unbehagen ausgesprochen werden darf. Es geht eben nicht nur da- rum, einen Behandlungsplan abzuarbeiten. Permanent gilt es herauszufinden, was stimmig ist und was nicht. Zu Beginn der Behandlung ist es nötig, den Patienten im therapeutischen Setting ankommen zu lassen, sich einzustimmen und zu prüfen, wie angespannt er ist. Ist die Aufregung hoch, kann man zum Beispiel den Fokus auf die Atmung lenken. Tiefe und lange Atemzüge, insbesondere Ausatemzüge, wirken regulierend. Erst, wenn die Atmung ruhig ist, legt sich der Patient auf die Liege. Nun folgt eine langsame Annäherung, ein allmähliches Fortschreiten bei der Berührung. So kann sich der Patient darauf einstellen. Wer zu schnell vorgeht, kann Ablehnung erzeugen. Indizien dafür, dass etwas nicht stimmt, zeigen sich manchmal erst während der Behandlung. Etwa wenn Patientinnen und Patienten auf Berührungen ablehnend oder erschrocken reagieren. Atmet jemand auffällig, wird ganz rot, schwitzt extrem oder sperrt sich deutlich, müssen Alarmglocken klingeln. So etwas zu bemerken und einzuordnen, ist notwendig, um passend damit umzugehen. Mehr Einblick über Marcels Ansatz, kannst Du im up-podcast „Traumasensible Physiotherapie“ hören: www.up-aktuell.de/podcast-tsp Somatic Experiencing (SE)® Somatic Experiencing (SE)® ist ein körperorientierter Ansatz zur Lösung von traumatischem Stress. Er eignet sich zur Überwindung von Schocktraumata und zur Transformation früherer Bindungs- und Entwicklungstraumata. Er soll die natürliche Selbstregulation im Nervensystem (wieder-)herstellen und da- durch die im Körper als Folge von Schock und Trauma entstandenen Symptome wandeln. Per nonverbaler Kommunikation mit dem Körpergedächtnis wird das Nervensystem sanft angeleitet, die während des Traumas blockierten Energien zu entladen. Interessierte können sich in einem dreijährigen Training qualifizieren und zertifizieren. Alle, die eine Heilerlaubnis besitzen, dürfen SE thera- peutisch durchführen. Alle anderen zertifizierten SE-Anwenderinnen und Anwender dürfen SE im Rahmen ihres Berufes beratend und begleitend einsetzen. Hilfsangebote Traumaambulanzen sind deutschlandweit Anlaufstellen für die Akutversorgung insbesondere nach Gewalt- und Sexualstraftaten. In der Online-Datenbank für Betroffene von Straftaten (www.odabs.org/traumaambulanzen.html) hilft eine Suchfunktion, die nächste Ambulanz zu finden. Eine Karte unter dem Link www.projekt-hilft.de verzeichnet alle Einrichtungen. Erwachsene, die in Kindheit und Jugend sexuellen Missbrauch erlebt haben, finden online im Hilfe-Portal sexueller Missbrauch (www.hilfe-portal-missbrauch.de) Informationen zu Beratung und Beratungsstellen. Beim Hilfe-Telefon unter 0800 2255530 erhalten neben betroffenen Erwachsenen auch Fachkräfte, besorgte Menschen sowie Kinder und Jugendliche kostenfrei und anonym Unterstützung. Oft bieten Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker Traumatherapie an. Insbesondere, wenn kein geeigneter Psychotherapieplatz zu finden ist, empfiehlt sich die gezielte Suche nach Heilpraktiker:innen, die auf Traumatherapie spezialisiert sind. In der Regel werden diese Therapien nicht von den gesetzlichen oder privaten Krankenkassen finanziert. Möglicherweise übernehmen andere Träger die Kosten, zum Beispiel der Fonds Sexueller Missbrauch (www.fonds-missbrauch.de). Dort erhalten Betroffene eine bedarfsgerechte und niedrigschwellige Unterstützung, um die Folgen von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend zu bewältigen. Sie können zur Minderung der Folgewirkungen verschiedene Sachleistungen bis zu 10.000 Euro beantragen. Dazu gehören (Psycho-) Therapien, medizinische Dienstleistungen sowie Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Wenn Du das Gefühl hast, dass eine Patientin, ein Patient oder jemand aus dem Familien- und Bekann- tenkreis betroffen sein könnte, dann suche behutsam das Gespräch. Erkläre, dass Du Dir Sorgen machst. Hilfreich kann es sein, sich an eine Beratungsstelle (www.hilfe-portal-missbrauch.de) zu wenden. Fortbildung Marcel bietet eine Fortbildung an, die für Traumata sensibilisiert. Mehr Infos und die nächsten Termine findest Du auf seiner Website: www.traumasensible-physiotherapie.de