Sexueller Missbrauch: Traumata, Hintergrundwissen und Red Flags

Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend wirken sich erheblich auf die gesamte Biografie aus. Studien haben nachgewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserlebnissen und einer Vielzahl psychosozialer Auffälligkeiten besteht. Negative Folgen machen sich im Erwachsenenalter bemerkbar – oft als ernsthafte Langzeitfolgen in Form einer psychischen oder somatischen Krankheit. Betroffene haben ein signifikant erhöhtes Risiko für Depressivität, Ängstlichkeit, körperliche Aggressivität und eine eingeschränkte Lebenszufriedenheit. Die Diagnosewahrscheinlichkeit von zum Beispiel Krebserkrankungen, Myokardinfarkten, Diabetes, Schlaganfällen und chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen ist ebenfalls erhöht. Etwa 86 Prozent der Betroffenen erfüllen Kriterien für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, 96 Prozent für die einer klinischen Depression. Kindheitstraumata werden sogar mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert. Gezeigt hat sich aber auch: Eine langfristige ganzheitliche Unterstützung in Form stress- und traumasensibler Angebote trägt zur Stabilisierung Betroffener bei. Folgen von Missbrauch Sexueller Missbrauch ist bis ins Erwachsenenalter nur schwer zu verarbeiten. Er kann zu einem geringen Selbstwertgefühl führen, tiefgreifende Schuld- und Schamgefühle erzeugen und eine gravierende Störung der sexuellen Entwicklung nach sich ziehen. Anhaltende Körperbeschwerden, Schmerzen ohne Befund sowie Suchterkrankungen wie Alkoholismus und Substanzmissbrauch können ebenso wie Suizidalität, Borderline und andere Störungen auf Missbrauchserfahrungen zurückgehen. Doch seine Folgen können nicht nur psychischer und physischer, sondern auch finanzieller und sozialer Art sein. Sie zeigen sich im Beziehungsalltag, in Schule, Ausbildung und Beruf und in der sozialen Einbindung. Um weiterleben oder gar überleben zu können, verdrängen viele bewusst oder unbewusst die Erinnerungen und vermeiden eine Auseinandersetzung mit der Gewalt. Das Schweigen versetzt in die Lage, eine Familie zu gründen und einen Beruf auszuüben. Häufig kommt die Erinnerung erst durch aktive Erinnerungsarbeit zurück, zum Beispiel im Rahmen einer Therapie. Auch eigene Körpersignale können die individuelle Ausein- andersetzung anstoßen, denn das Körpergedächtnis speichert frühe Erfahrungen. Dann erleben Betroffene Körperempfindungen oder sind durch eine Berührung erschrocken und können ihre Reaktionen nicht verstehen. Achtsame Wahrnehmung Der Begriff „Kindheitstrauma“ umfasst neben sexuellem Missbrauch auch emotionalen und physischen Missbrauch sowie emotionale und physische Vernachlässigung während der Kindheit und Jugend. In Deutschland haben 20 bis 30 Prozent der Erwachsenen mindestens eines dieser Kindheitstraumata erlebt – manche sogar multiple Traumaarten, am häufigsten eine Kombination emotionaler und körperlicher Traumata. Das verdeutlicht die Dringlichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Was sind Traumata? Der Begriff „Trauma“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Wunde oder Verletzung. In der Psychologie versteht man darunter eine schwerwiegende seelische Verletzung. Zu einem Trauma führen oft Erlebnisse, in denen ein Mensch einer massiven Bedrohung und Hilflosigkeit ausgesetzt war oder sie beobachtet hat. Dazu gehören neben emotionalem, körperlichem und sexuellem Missbrauch auch Verkehrsunfälle und Naturkatastrophen. Betroffene leiden häufig unter verschiedenen Symptomen, die ganz unterschiedlichen psychischen Erkrankungen zugeordnet werden können. Vor allem bei frühen, schwerwiegenden, anhaltenden oder sich wiederholenden Bedrohungen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Menschen eine Traumafolgestörung entwickeln. Posttraumatische Belastungsstörung Als Reaktion auf das Trauma entwickeln viele Betroffene eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS. Sie zeigen meistens gleich mehrere Symptome einer starken Anspannung, etwa erhöhte Schreckreaktionen, Reizbarkeit, Konzentrationsprobleme und Schlafstörungen. Typisch sind auch AlBträume, Erinnerungsvermeidung und sogenannte Flashbacks. Gemeint ist damit das ungewollte und unkontrollierbare Wiedererleben der traumatischen Erlebnisse. Die Emotionen Betroffener können von intensiver Angst, Schuld, Scham, Traurigkeit, Ärger, aber auch emotionaler Taubheit und Teilnahmslosigkeit geprägt sein. Sie haben Probleme bei der Gefühlsregulation und im Umgang mit anderen Menschen. Dissoziative Identitätsstörung Eine andere Traumafolgestörung ist die dissoziative Identitätsstörung. Dissoziation bedeutet „trennen“ oder „spalten“. In der Psychologie ist damit gemeint, dass Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Handlungen voneinander losgelöst empfunden werden. Eine leichte Form kennen viele, zum Beispiel als Gedan- kenabschweifen in Tagträumen oder dem Gefühl von „neben sich stehen“. Bei einer dissoziativen Störung sind diese Symptome so stark, dass sie das Leben ein- schränken. Dabei ist eine Dissoziation prinzipiell eine natürliche psychische Schutzreaktion, mit der sich Menschen vom Erlebten abkoppeln können. So lassen sich traumatische Erlebnisse aus dem normalen Bewusstsein ausgrenzen. Der dissoziative Mechanismus ermöglicht das Funktionieren im Alltag und den Beziehungserhalt zu wichtigen Bezugspersonen. Betroffene erleben und/oder verhalten sich, als würden sie aus verschiedenen Personen bestehen. Bei schwereren Formen der dissoziativen Störung spaltet sich die Persönlichkeit in mehrere Identitäten auf.