Berufsgesetz für Osteopathie – Aufwertung mit Signalwirkung?

Im Koalitionsvertrag von SPD und Union heißt es klar: Die Osteopathie soll berufsgesetzlich geregelt werden. Damit könnte ein neues Heilberufsbild entstehen – mit staatlich definierter Ausbildung, geschützter Berufsbezeichnung und geregeltem Zugang zum Beruf. Diese politische Zusage ist bemerkenswert, denn sie zeigt: Die Osteopathie – bislang eine weitgehend ungeregelte Selbstzahlerleistung – erhält eine neue gesellschaftliche und gesundheitspolitische Bedeutung. Gleichzeitig verspricht die Koalition, auch die Berufsgesetze der Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie zu modernisieren. Das ist dringend nötig – denn viele der aktuellen Regelungen stammen noch aus den 1950er und 1960er Jahren. Sie bilden die heutigen Anforderungen, Qualifikationen und Versorgungsstrukturen kaum noch ab. Doch bislang tut sich in diesem Bereich wenig – und so wirkt die schnelle Bewegung beim Thema Osteopathie auf viele in der Heilmittelbranche wie ein ungleich verteilter Rückenwind. Ein Berufsgesetz für die Osteopathie ist das grundsätzlich begrüßenswert – aber nur dann, wenn gleichzeitig auch die versprochene Reform der klassischen Heilmittelberufe zügig umgesetzt wird. Wer neue Berufe schafft, muss auch die bestehenden stärken. „Ein solides rechtliches Fundament“ Die Initiative zur Regelung der Osteopathie geht maßgeblich auf den Druck von Berufsverbänden und Fachhochschulen zurück. Sie fordern seit Jahren ein klares gesetzliches Fundament, das Ausbildung, Qualität und Berufsausübung transparent und verbindlich regelt. Unterstützung kommt dabei aus der Politik: „Die berufsgesetzliche Regelung der Osteopathie zählt zu den Maßnahmen zur Stärkung verschiedener Gesundheitsberufe, die wir mit der SPD vereinbaren konnten“, sagt Tino Sorge (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion – und derzeit als möglicher neuer Bundesgesundheitsminister im Gespräch. „Sie wird helfen, dieses Feld auf ein solides rechtliches Fundament zu stellen und Patienten vor unseriösen Anbietern zu schützen.“ Diese Argumentation ist nachvollziehbar – insbesondere für viele Physiotherapeut:innen, die osteopathisch weitergebildet sind und solche Leistungen in ihre Praxisangebote integriert haben. Doch sie wirft auch Fragen auf – insbesondere im Vergleich zu den etablierten Heilmittelberufen. Direktzugang: Verbesserung oder Rückschritt? Ein zentrales Thema ist der Direktzugang. Aktuell können Osteopath:innen in Deutschland über den Heilpraktikerstatus direkt tätig werden – Patient:innen können ohne ärztliche Verordnung behandelt werden. Das verschafft diesen Behandler:innen eine große Autonomie und eine hohe Attraktivität auf dem Gesundheitsmarkt. Wird die Osteopathie nun in ein Berufsgesetz überführt, stellt sich die Frage: Bleibt dieser Direktzugang erhalten? Wenn ja, wären Osteopath:innen künftig bessergestellt als Physio-, Ergo- oder Logopäd:innen, die trotz geregelter Berufsausbildung weiterhin auf eine ärztliche Verordnung angewiesen sind. Eine solche Ungleichbehandlung wäre fachlich wie berufspolitisch schwer zu rechtfertigen. Falls der Direktzugang nicht Teil des neuen Berufsbilds wird, wäre das für die bisherigen Heilpraktiker-Osteopath:innen ein Rückschritt – sie würden ein Stück Autonomie verlieren, was sowohl versorgungstechnisch als auch wirtschaftlich relevant wäre. Brisant ist dabei: Die künftigen Koalitionsparteien haben zuletzt betont, dass sie aktuell keine realistische Möglichkeit sehen, den Direktzugang für Physio- oder Ergotherapeut:innen freizugeben. Der Eindruck einer politisch einseitigen Aufwertung der Osteopathie – bei gleichzeitiger Stagnation in den klassischen Heilmittelberufen – wird dadurch noch verstärkt. Kritik aus der ärztlichen Fachwelt Besonders kritisch sehen viele ärztliche Vertreter:innen die geplante Aufwertung der Osteopathie. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) etwa hält ein eigenes Berufsbild für überflüssig. Der stellvertretende Leiter der AG Manuelle Medizin, Hermann Locher, erklärt: „Ein eigenständiges Berufsbild Osteopath ist in Deutschland nicht erforderlich. Alles, was die Osteopathie enthält, ist bereits in der ärztlichen Approbation und in der Zusatzbezeichnung ‚Manuelle Medizin‘ wissenschaftlich fundiert abgebildet.“ Zudem sei die Ausbildung in der Osteopathie bisher extrem heterogen. Ein Berufsgesetz allein garantiere nicht automatisch eine einheitlich hohe Qualität. Auch das Informationsnetzwerk Homöopathie warnt davor, Verfahren mit unzureichender wissenschaftlicher Evidenz durch staatliche Anerkennung aufzuwerten. Keine Abwertung, sondern differenzierte Einordnung Wichtig ist: Meine Kritik richtet sich nicht gegen Osteopathie an sich. Ihre Anwendung erfreut sich großer Nachfrage, viele Patient:innen berichten von positiven Erfahrungen. Auch zahlreiche physiotherapeutische Praxen integrieren osteopathische Elemente – qualifiziert, transparent und patientenzentriert. Doch ein staatlich geregelter Beruf „Osteopath:in“ würde das Gesundheitswesen verändern. Ein gesetzlich abgesicherter Direktzugang würde ein eigenes Versorgungsmodell schaffen – außerhalb der bisherigen Heilmittelstruktur. Für gemischte Praxen stellt sich dann die Frage nach neuer interner Organisation, für rein physiotherapeutische Praxen könnte zusätzlicher Wettbewerbsdruck entstehen. Fazit: Gesundheitspolitik braucht Augenmaß Die Anerkennung der Osteopathie als eigener Beruf kann ein sinnvoller Schritt zur Qualitätssicherung und zum Patientenschutz sein – wenn er klug ausgestaltet wird. Ein ungeregelter oder unreflektierter Direktzugang, ohne wissenschaftliche Fundierung und ohne faire Parallelentwicklung in den anderen Gesundheitsberufen, könnte jedoch das Gegenteil bewirken: eine systematische Schieflage. Die Gesundheitspolitik darf nicht das Eine fördern und das Andere vergessen. Wer ernsthaft über neue Versorgungsmodelle spricht, muss auch endlich den Physio-, Ergo- und Logopädieberufen den Zugang zur modernen Berufsausübung ermöglichen – inklusive Direktzugang, Verantwortung und angemessener Entlohnung. Hinweis: up-webcast "Was bringt der Koalitionsvertrag für die Heilmittelbranche?" Am 28. April 2025 um 19 Uhr werfen wir einen kritischen Blick auf die geplanten gesundheitspolitischen Vorhaben der neuen Bundesregierung – und was sie konkret für Therapeut:innen bedeuten könnten. Hier könnt Ihr Euch anmelden: www.up-aktuell.de/upwebcast