GKV will Leistungsausgaben stoppen – anstatt Sparpotenziale zu nutzen

Die GKV fordert eine generelle Ausgabenbremse bei den Gesundheitsleistungen. Das beträfe sicher auch die Entwicklung der Heilmittelhonorare. Statt bei der Versorgung der Patient:innen zu sparen, ließen sich mit Bürokratieabbau und echter Digitalisierung in relativ kurzer Zeit einige Milliarden Euro einsparen. Wir hätten da mal ein paar einfache Vorschläge. Aus Sicht der Heilmittelpraxen sind das schon ernst zu nehmende Bedrohungen: „Wir brauchen eine Bremse bei dem fortwährenden Ausgabenanstieg“ fordert Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, „und keine Preis- oder Honorarerhöhungen mehr, die über die laufenden Einnahmen hinausgehen.“ Natürlich sind es vor allem die Ausgaben für die stationäre Versorgung, die die aktuellen Finanzprobleme der GKV auslösen. Aber es sind auch die Heilmittelausgaben, die im ersten Halbjahr 2024 um rund 10,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind, während die Beitragseinnahmen im Gesamtjahr nur um 5,6 Prozent gewachsen sind. Die Folge: Anfang des Jahres 2025 mussten die Kassen wieder ihre Zusatzbeiträge erhöhen. So nachvollziehbar der Ruf der GKV nach einem Stopp der Leistungsausgaben rein wirtschaftlich ist, Verständnis darf die GKV bei den Heilmittelerbringer:innen nicht erwarten. Denn während die GKV die Heilmittelpraxen mit Rechnungskürzungen traktiert und damit zwingt, ihre internen Abläufe für Prüfung und Verwaltung von Verordnungen kontinuierlich zu optimieren, ist nicht zu erkennen, wie durch Kostenoptimierung innerhalb der GKV mögliche Einsparpotenziale gehoben werden. Dabei gibt es diese Einsparpotenziale: Einsparpotenzial im Bereich der Heilmittelversorgung IT-gestützte Verfahren bei der Abrechnung Seit 2021 erlauben die Versorgungsverträge zwischen GKV und den Heilmittelverbänden (z. B. § 19 Regelungen zu IT-gestützten Verfahren) vereinfachte Verfahren zur Abwicklung der Abrechnung, indem ALLE Prozesse auch digital gestaltet werden können. Umsetzung bislang? Nahezu Null, mit wenigen Ausnahmen in Modellvorhaben, wie z. B. das eLB-Verfahren von buchner mit der TK. Nach wie vor werden also unnötigerweise Papierbelege von A nach B geschickt, obwohl dies jede Kasse mit jeder Heilmittelerbringer-Praxis anders vereinbaren könnte, und das bereits seit über vier Jahren! Das Einsparpotenzial ist enorm, wenn alle Heilmittelerbringer:innen darauf verzichten könnten, nahezu 40 Millionen Papierverordnungen an die Krankenkassen schicken zu müssen. Dann wäre das Thema Abrechnung auf einen Schlag einfacher. Wir sprechen allein an dieser Stelle über einen Betrag in Höhe von ca. 200 Millionen bis 1 Milliarde Euro, je nachdem wie geschickt die neuen Abrechnungsprozesse gestaltet werden. Präventive VO-Prüfung durch Ärzte Aktuell müssen Heilmittel-Praxen ärztliche Verordnungen auf ihre Gültigkeit prüfen. Das ist absurd. Denn diese Prüfung gehört in die ärztliche Verordnungssoftware. Die Prüfung bindet Zeit bei den Therapeutinnen und Therapeuten, bei 40 Millionen Verordnungen sind das 40 Millionen Prüfungen. Auf Seiten der Heilmittelpraxen läge das Einsparpotenzial zwischen 100 bis 200 Millionen Euro. Hinzu kommen die vereinfachten Prüfungen bei den Dienstleistern der Kassen. Auch dort dürften noch einmal zusätzliche Einsparungen in Höhe von 250 bis 500 Millionen Euro zusammenkommen. Wenn diese Maßnahmen umgesetzt würden - und dazu braucht es natürlich den entsprechenden Willen aller Beteiligten, dann könnte die GKV im Heilmittelbereich gemeinsam mit den Praxen möglicherweise zwischen mindestens 0,55 und 1,7 Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Insgesamt läge das Einsparpotenzial hier bei 1,1 bis 3,4 Milliarden Euro jährlich. Allgemeine Einsparpotenziale bei den GKV-Verwaltungskosten Es gibt aber auch mehrere Ansätze, wie Krankenkassen ihre Verwaltungskosten senken könnten, ohne die Qualität der Leistungen oder den Service für Versicherte zu verschlechtern. Anzahl der Krankenkassen senken In Deutschland gibt es derzeit 94 gesetzliche Krankenkassen (Stand Anfang 2025). Durch weitere Fusionen könnten Verwaltungsstrukturen verschlankt und Effizienzvorteile genutzt werden. Und auch die Abrechnungsprozesse der Heilmittelerbringer:innen würden durch eine Konsolidierung der Krankenkassen einfacher werden. Einige Schätzungen gehen davon aus, dass durch eine Reduzierung der Anzahl der Kassen auf etwa 50 bis 60 eine Einsparung von 1 bis 2 Milliarden Euro jährlich möglich wäre. Optimierung externer Dienstleisterverträge (z. B. Abrechnungsstellen) Viele Kassen lagern Abrechnungen, IT-Leistungen und Callcenter an externe Anbieter aus. Nach Ansicht von Expert:innen könnten durch bessere Vertragsgestaltung und Bündelung von Aufträgen Kosten reduziert werden, das geschätzte Einsparpotenzial liegt hierbei zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde Euro pro Jahr. Digitalisierung, Automatisierung und Standardisierung Automatisierte Abrechnungssysteme könnten viele manuelle Abrechnungsprüfungen ersetzen, die heute in vielen Krankenkassen noch gang und gäbe sind. Mit der Einführung einer zentralen digitalen Gesundheitsplattform zur Vermeidung redundanter IT-Systeme pro Krankenkasse könnten vermutlich problemlos 1 bis 3 Milliarden Euro im Jahr nur auf Seiten der Kassen eingespart werden. Das würde gleichzeitig die Abrechnung für alle Leistungerbringer:innen vereinfachen (siehe oben). Streichung von Marketing- und Werbeausgaben Einige Krankenkassen investieren stark in Werbung, um neue Versicherte zu gewinnen (z. B. auf Social Media). Wenn Werbung denn notwendig ist, könnten Werbebudgets zumindest gedeckelt werden. Das würde in der Summe allerdings nur etwa 200 bis 500 Millionen Euro pro Jahr ausmachen. Wenn all diese Einsparmaßnahmen umgesetzt würden, und dazu braucht es natürlich entsprechende politische Vorgaben, könnte die GKV in Deutschland möglicherweise zwischen 4,7 und 9,5 Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Warum werden die Einsparmaßnahmen nicht umgesetzt? Alte Geschäftsmodelle erhalten Veränderungen finden nicht alle gut, vor allem nicht diejenigen, die von den alten Prozessen profitieren. Digitale Abrechnungsprozesse sind zukunftsweisend und stellen das Geschäftsmodell fast aller Abrechnungszentren nun endlich grundsätzlich infrage. Aber: Die Vorstände solcher Firmen engagieren sich z. B. bei der gematik, den Kassen und im Bundgesundheitsministerium und versuchen dort die neuen Prozesse so zu gestalten, dass sie weiterhin mit überflüssigen Dienstleistungen Geld verdienen können. Zu dieser Strategie gehört es auch, dass manche Abrechnungsdienstleister bestimmte Heilmittelverbände direkt oder indirekt mit Geld oder Leistungen sponsern, um über die Heilmittelverbände Einfluss auf die Ausgestaltung z. B. der elektronischen Heilmittelverordnung zu nehmen. Verbände haben politisch zu wenig Einfluss Die den Heilmittelverbänden vom Gesetzgeber zugeschriebene Rolle als maßgebliche Verbände scheint nicht auszureichen, um neue, vereinfachte Prozesse voranzubringen. Heilmittelverbände sind nicht in die Selbstverwaltung der GKV eingebunden und können sich in der Regel nicht auf gemeinsame Vorgehensweisen einigen, weil sie im ständigen Wettbewerb miteinander ihre gemeinsamen Ziele aus den Augen verlieren. Auch deshalb dauern Verhandlungen fast immer länger als im SGB V vorgesehen. Jüngstes Beispiel: Die TI-Finanzierungsvereinbarung für Ergotherapeut:innen und Logopäd:innen hätte laut Gesetz schon vor 14 Monaten vorliegen sollen. Obwohl solche Finanzierungsvereinbarungen schon für Physiotherapeut:innen und Hebammen mit fast identischem Wortlaut vorhanden sind, schaffen es GKV und Heilmittelverbände nicht, fertig zu werden. Das hat auch mit der starken öffentlich-rechtlichen Stellung der GKV gegenüber den rein privatrechtlich organisierten Heilmittelverbänden zu tun. Wir sehen: Es gibt enorme Einsparpotenziale in verschiedenen Bereichen, die mithilfe von Digitalisierung, Zentralisierung und Optimierung von Verwaltungsprozessen auf allen Seiten erreicht werden können. Ja, dafür müssen neue Prozesse geschaffen werden. Aber bevor die GKV die Leistungen ihrer Versicherten deckelt, wäre es nicht der richtige Ansatz erst einmal andere Möglichkeiten auszuschöpfen? Wir finden schon.