Mit Technologie in die Zukunft der Therapie

Wer die Praxis von Kathrin Neißendorfer im ostbayerischen Straubing betritt, wagt schon einen Blick in die Zukunft. Die Ergotherapeutin setzt auf computer- und gerätegestützte Therapie. Seit der Praxiseröffnung im Dezember 2018 hat sie in die Technologie investiert, um ihren Patientinnen und Patienten die möglichst beste und modernste Therapie zu ermöglichen. Inzwischen verfügt sie über sieben Spezialgeräte - vom Gangtrainer Lyra über Neurofeedback-Systeme bis zum dreiachsigen Therapiegerät SpaceCurl. Ihre erste Begegnung mit diesen Geräten hatte die 42-Jährige 2017 während ihrer Ausbildung zur Fachtherapeutin für Neurorehabilitation®. „Die Fortbildung legte damals großen Wert auf evidenzbasierte Therapie“, erinnert sie sich. „Diese wurde mit geräte- und robotikgestützter Therapie erreicht und abgedeckt.“ Ein Sprung ins kalte Wasser Kathrin Neißendorfer war fasziniert. Sie hatte das Glück, dass sie zu diesem Zeitpunkt den Umzug ihrer Praxis in ein Ärztehaus vorbereitete, das gerade in Planung war. „So konnte ich meine Wünsche zur räumlichen Gestaltung einfließen lassen und die Räume quasi um die Geräte herum planen.“ Sie wagte den Schritt und investierte in die technische Ausstattung - insgesamt ein Investitionsvolumen von rund 250.000 Euro, das ihr anfangs Bauchschmerzen bereitete. „Es war für mich ein Sprung ins kalte Wasser“, sagt sie rückblickend, „vergleichbar mit dem Wagnis eines Start-Ups.“ Unterstützt wurde sie von ihrem Ehemann, einem Controller: „Ohne ihn hätte ich es nicht gewagt!“ Drei Praxen unter einem Dach Rund ein Jahr dauerte die Planung der Praxisräume. Der größte Teil der Geräte wie die Thera-Trainer® waren von Anfang an Teil ihres Konzeptes. Aufgrund der steigenden Nachfrage baute die Ergotherapeutin ihre Praxis Stück für Stück aus - sowohl räumlich als auch mit Therapiesystemen. Sie startete im ersten Stock des Ärztehauses mit ihrem Fachbereich Neurologie und Orthopädie. Bedingt durch die Corona-Pandemie, in der andere Mieter ihre Studios im Haus schließen mussten, bot sich der Praxis-Chefin die Chance, weitere Räumlichkeiten anzumieten. „So entstanden im Laufe der Jahre drei Praxen unter einem Dach“, freut sie sich, „im Erdgeschoss der Bereich Hirnleistungstraining und Neurofeedback, im ersten Stock die neurologische und orthopädische Therapie und im dritten Stock die Pädiatrie. Insgesamt sind wir von 130 auf über 400 Quadratmeter gewachsen!“ Kooperation mit Klinikum St. Elisabeth Zum Praxisbeginn gab es einen Tag der offenen Tür im gesamten Ärztehaus. „Danach war der Terminplan so gut wie voll“, erinnert sie sich voller Freude. „Auch einige Fachärzte, vor allem aus dem neurologischen Bereich, haben sich damals angemeldet, um unsere Praxis zu besichtigen.“ Des Weiteren war sicherlich auch die Kooperation mit dem Klinikum St. Elisabeth hilfreich: Seit Mai 2020 ist ihre Praxis zuständig für alle ergotherapeutischen Leistungen auf der Stroke Unit. Fünf Tage pro Woche werden die Patient:innen dort von ihr und zwei Kolleginnen ihres achtköpfigen Teams betreut. So kommen viele von ihnen häufig direkt nach dem stationären Aufenthalt in ihre ambulante Therapieeinrichtung. „Wir haben zwar die freie Therapeutenwahl, aber die Betroffenen kommen von sich aus - sie kennen uns ja bereits aus dem Krankenhaus.“ Inzwischen hat sich die fachliche Qualifikation der Praxis nicht zuletzt auch durch Mund-zu-Mund-Propaganda herumgesprochen. „Unser Terminkalender ist nach wie vor gut gefüllt“, freut sich Kathrin Neißendorfer. „Aktuell haben wir bereits eine lange Warteliste, die wir streng der Reihe nach abarbeiten.“ Aber natürlich spiele auch die zeitliche Flexibilität der Patient:innen eine große Rolle. Standort als Erfolgsfaktor Entscheidend für den Erfolg ihrer Praxis sei der Standort mit ausreichend (Behinderten-) Parkplätzen, weiß die Praxisinhaberin. „Wir haben auch Patienten aus München. Sie nehmen lieber die Fahrzeit von über einer Stunde in Kauf, weil ihnen hier genügend Parkräume zur Verfügung stehen.“ Anfangs parkten öfter auch Fremde auf den Behinderten-Parkplätzen, aber nachdem gut sichtbare Schilder für Behinderten-Parkplätze aufgestellt worden waren, bekamen sie das Problem in den Griff. Lernen ist Wiederholung In der ersten Zeit hat Kathrin Neißendorfer die Geräte wie den Gangtrainer Lyra gemietet. Doch die Nachfrage nach gerätegestütztem Training wuchs. „Lernen ist Wiederholung“, sagt sie. „Man kann es mit einem Trampelpfad vergleichen: Je häufiger man ihn geht, desto ausgetretener und sichtbarer wird er.“ Mit dem Thera-Trainer Lyra erreichen Patient:innen eine bis zu 20-fach höhere Anzahl an Wiederholungen gegenüber Laufband- oder manuellem Gangtraining. „Durch die Geräte können die Übungen sukzessiv gesteigert werden. Nicht zu unterschätzen ist auch der Spaßfaktor, den sie über die Spiele erfahren und die sie stark motivieren. Somit profitieren sie durch schnellere und effektivere Behandlungserfolge.“ In einem Jahr von der Rollstuhlfahrerin zur Fußgängerin Die Ergotherapeutin erinnert sich an eine 60-jährige Patientin, die nach einem Schlaganfall im Rollstuhl in ihre Praxis kam. „Nach einem Jahr Gangtraining ist sie wieder zur Fußgängerin geworden, die mit Stock oder am Arm ihres Mannes gehen kann“, freut sie sich. Aber auch in der Hand- oder Schwindeltherapie lassen sich mithilfe von Biofeedback-Geräten Erfolge erreichen. So können nach einer Parese, sogar auch nach einer Plegie die Funktionen der Arme und Hände mithilfe des HandTutors™ wieder aktiviert werden. Bei der Behandlung von Schwindel, bei der neben dem Gangtrainer Lyra auch der SpaceCurl zum Einsatz kommt, erinnert sich die Praxis-Chefin an eine Patientin. „Sie ging nicht mehr aus dem Haus, stand sogar vom Sofa kaum noch auf - wir beobachteten einen kompletten Rückzug aus dem sozialen Leben. Selbst diese Patientin wurde schwindelfrei“, erzählt sie, „und fühlt sich wieder pudelwohl in der Mitte der Gesellschaft.“ Training nach Therapieende ohne Verordnung nicht möglich erGO konzept bietet ergotherapeutische Leistungen auf Kassen-, Privat- und BG-Verordnungen an. Ein Training nach Therapieende ist ohne Verordnung nicht möglich, da das Training an den Geräten beaufsichtigt werden muss. „Rein theoretisch bestünde die Möglichkeit eines Zirkeltrainings in der Gruppe“, erläutert die Ergotherapeutin. „Da aber bei vielen Patienten die körperliche Verfassung abhängig von der Tagesform ist, lässt sich dies schlecht planen.“ Allerdings trainierten die Patient:innen mit ihren Therapeut:innen öfter nebeneinander an den Geräten. „Das trägt zu einem sehr guten Klima bei und führt zu einer großen Motivation der Patienten.“ Sprung ins kalte Wasser nie bereut Kathrin Neißendorfer hat ihren Sprung ins kalte Wasser nie bereut. Das Feedback der Patient:innen und auch der angestellten Therapeut:innen bestätigen es ihr ebenfalls. Ihr Konzept „Therapieren - Aktivieren - Profitieren“ mit einer Kombination von robotik- und computergestütztem sowie gerätegestütztem Training und klassischen Therapiemethoden maximiert den Behandlungserfolg. Allerdings bedauert sie, dass sie für ihre moderne Behandlungsmethode die gleiche Vergütung wie für die klassische Therapie erhält. Daher wünscht sie sich für die Zukunft, dass die gerätegestützte Therapie aufgrund der hohen Investitionskosten auch höher vergütet werde. Sie ist der Ansicht, dass „Therapeuten, die viel Geld in Fortbildungen, Geräte und Therapiematerial investieren, andere Sätze zustehen sollten“.