Mehr Befugnisse, weniger Bürokratie

Im August 2025 hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege vorgelegt. Ziel: Pflegefachpersonen sollen künftig mehr Verantwortung übernehmen, eigenständiger arbeiten und so die Versorgung stärken. Damit setzt die Politik ein deutliches Signal: Fachberufe im Gesundheitswesen werden aufgewertet. EIGENSTÄNDIGE HEILKUNDE – die große Weichenstellung Besonders deutlich wird der Aufwertungsansatz bei einem zentralen Punkt des Entwurfs: Pflegefachpersonen sollen künftig „neben Ärztinnen und Ärzten eigenverantwortlich weitergehende Leistungen erbringen können, insbesondere – abgestuft nach der jeweils vorhandenen Qualifikation – bestimmte, bisher Ärztinnen und Ärzten vorbehaltene Leistungen“. Das bedeutet nichts weniger als die Ausübung eigenständiger Heilkunde. Ein historischer Schritt: Erstmals wird ein nicht-ärztlicher Heilberuf systematisch mit solchen Befugnissen ausgestattet. Für die Heilmittelbranche ist das der Maßstab. Wenn Pflegefachpersonen künftig eigenständig heilen dürfen, dann gilt: Das muss auch für Therapeutinnen und Therapeuten kommen. Ergo- und Physiotherapeut: innen, Logopädi:innen und Podolog: innen arbeiten längst auf Augenhöhe mit Ärztinnen und Ärzten, übernehmen Verantwortung in Diagnostik, Therapieplanung und Prävention. Die Kompetenzen sind da – es fehlt nur noch die rechtliche Grundlage. MITBESTIMMUNG bei zentralen Entscheidungen Der Gesetzentwurf geht noch einen Schritt weiter: Die Organisationen der Pflegeberufe sollen künftig systematisch an den sie betreffenden Aufgaben im SGB V und XI beteiligt werden. Explizit heißt es, dass ihnen „bei der Entwicklung des Muster-Scope of Practice für Pflegefachpersonen eine maßgebliche Rolle zukommt“. Das ist ein echter Paradigmenwechsel: Fachorganisationen erhalten nicht nur ein Anhörungsrecht, sondern gestalten aktiv mit, welche Leistungen Pflegefachpersonen künftig übernehmen dürfen.Und genau das brauchen auch die Heilmittelberufe. Es darf nicht länger so sein, dass Heilmittel-Richtlinien und der Heilmittelkatalog ohne die Expertise der Berufsgruppen entwickelt werden. Statt eines bloßen Rechts auf Kommentierung braucht es künftig ein Recht auf Gestaltung – und das Recht, im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) selbst Anträge einzubringen. SCOPE OF PRACTICE – was ist das eigentlich? Definition: „Scope of Practice“ beschreibt den gesetzlich und fachlich festgelegten Tätigkeitsrahmen eines Berufs. Er legt fest, welche Aufgaben Fachpersonen eigenverantwortlich übernehmen dürfen. Wie entsteht er? In der Pflege soll ein Muster-Scope of Practice erstellt werden, der bundesweit gilt. Er wird genau beschreiben, welche Leistungen Pflegefachpersonen selbstständig erbringen dürfen. An der Erstellung sollen die entsprechenden Fachorganisationen der Pflege beteiligt sein. Was bringt das? Rechtssicherheit: Alle Beteiligten wissen, was erlaubt ist. Kompetenzaufwertung: Fachpersonen können ihre Qualifikation voll ausschöpfen. Bessere Versorgung: Patient:innen profitieren von kürzeren Wegen und direkterer Hilfe. Für die Heilmittelberufe wäre ein eigener Scope of Practice ein riesiger Fortschritt: Endlich wäre verbindlich geregelt, welche heilkundlichen Aufgaben Therapeutinnen und Therapeuten eigenständig übernehmen dürfen. PRÄVENTION als Pflichtaufgabe Ein weiterer Meilenstein im Gesetzentwurf: Pflegefachpersonen dürfen künftig Präventionsempfehlungen aussprechen. Damit wird Gesundheitsförderung nicht mehr als „nice to have“ behandelt, sondern in den Versorgungsauftrag integriert. Das ist exakt das, was Heilmittelerbringende seit Jahren fordern. Ob Rückenschule, Sturzprophylaxe oder Sprachförderung – Prävention ist unser tägliches Geschäft. Wenn Prävention bei der Pflege jetzt systematisch verankert wird, muss sie auch bei den Heilmittelberufen als reguläre Kassenleistung gestärkt werden. Denn wer frühzeitig in Bewegung, Sprache oder Funktion investiert, spart später teure Folgekosten. MIT ATTRAKTIVEM BERUFSBILD gegen den Fachkräftemangel Hinter allen Maßnahmen des Gesetzentwurfs steht ein strategisches Ziel: den Fachkräftemangel bekämpfen. Mehr Verantwortung, mehr Mitbestimmung, eigenständige Heilkunde – all das macht den Pflegeberuf attraktiver. Für die Heilmittelbranche gilt dasselbe: Wenn wir wollen, dass junge Menschen sich für diese Berufe entscheiden, dann brauchen wir genau diese Aufwertung. Berufsbilder, die Gestaltungsspielraum bieten, Verantwortung ermöglichen und politisch ernst genommen werden, sind attraktiv. Und sie sind die einzige Antwort auf die Fachkräfteprobleme der Zukunft. FAZIT Das Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege ist mehr als ein Fachgesetz. Es ist ein politisches Signal, dass die Zeit der reinen Ärztezentrierung zu Ende geht. Fachberufe im Gesundheitswesen werden gestärkt, ihre Kompetenzen anerkannt, ihre Stimme gehört. Für uns Heilmittelerbringende heißt das: Wir dürfen nicht länger warten. Die Pflege hat es vorgemacht, jetzt müssen wir folgen. Eigenständige Heilkunde, verbindliche Mitbestimmung, Prävention als Pflichtaufgabe – das sind die Punkte, die auch unsere Zukunft sichern. Die Frage ist nicht mehr, ob das kommt. Die Frage lautet: Wann kommt der Gesetzentwurf für die Heilmittelberufe?