Mehr als eine lästige Pflicht

Jeder Praxisinhaber ist laut Arbeitsschutzgesetz dazu verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Sie hilft, potenzielle gesundheitliche Gefährdungen für Mitarbeiter zu erkennen und durch Schutzmaßnahmen zu minimieren – oder sogar ganz auszuschließen. Für Praxisinhaber ist die Beurteilung jedoch weit mehr als ein Dokument zur Verbesserung des Arbeitsschutzes. Christian Heesch vom Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) stand uns zum Thema Gefährdungsbeurteilung Rede und Antwort. Herr Heesch, es fällt uns viel leichter, Dinge umzusetzen, wenn wir wissen, was wir davon haben. Also: Welche Vorteile bringt eine Gefährdungsbeurteilung neben dem Arbeitsschutzaspekt für Praxisinhaber mit sich? HEESCH: In erster Linie dient die dokumentierte Gefährdungsbeurteilung dazu, Gefahren zu erkennen und sie zu vermeiden bzw. zu minimieren, die typischerweise in den jeweiligen Berufsbranchen auftreten – also in diesem Fall in Heilmittelpraxen. Ein ganz wichtiger Punkt ist aber auch die Rechtsicherheit im Schadensfall. Die Gefährdungsbeurteilung wird für den Praxisinhaber dann zu einem enorm wichtigen Dokument. Denn damit kann er nachweisen, dass er sich mit der möglichen Gefährdung auseinandergesetzt und entsprechende Maßnahmen zur Prävention ergriffen hat – etwa regelmäßige Wartungen und Arbeitsanweisungen –, um das Risiko für einen Unfall zu minimieren. So kann ihm keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Was viele zudem nicht auf dem Schirm haben ist, dass sich mit einer Gefährdungsbeurteilung auch Kosten einsparen lassen. Denn je sicherer der Arbeitsplatz, desto geringer ist das Risiko, dass Mitarbeiter auf Grund von Unfällen oder arbeitsbedingten Erkrankungen ausfallen. Wer sich zudem vorab Gedanken über mögliche Risiken macht, kann dies bei der Praxisausstattung berücksichtigen und vermeidet so teure Nachbesserungen, etwa weil die Liegen keine Sperrboxen haben. Zudem lassen sich Betriebsstörungen vorbeugen, indem Arbeitsabläufe an mögliche Gefährdungen angepasst sind und so deren Auftreten reduziert wird – das spart ebenfalls Kosten. Auch für weitere Arbeitsschutzmaßnahmen ist die Gefährdungsbeurteilung hilfreich, etwa als Grundlage für das Betriebliche Eingliederungsmanagement. Ist es notwendig, nach einer längeren Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters den Arbeitsplatz umzugestalten, ist es wichtig, mögliche Gefährdungen zu kennen und entsprechend zu berücksichtigen. Die Gefährdungsbeurteilung ist für Praxisinhaber verpflichtend. Welche Gesetze gelten als Grundlage dafür? HEESCH: Nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes muss sich jeder Arbeitgeber Gedanken darüber machen, welche Gefährdungen bei welcher Tätigkeit auftreten können und welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind, um sie zu minimieren oder ganz zu beseitigen. Dabei reden wir nicht nur von physischen, sondern auch psychischen Aspekten. Laut § 6 besteht zudem die Pflicht zur Dokumentation. Das heißt, die Praxisinhaber müssen die Maßnahmen und das Ergebnis der Überprüfung schriftlich festhalten. Die Gefährdungsbeurteilung ist also quasi die Dokumentation der Gedanken, die man sich zu den möglichen Gefährdungen gemacht hat. Mit welchen rechtlichen Konsequenzen muss ein Praxisinhaber rechnen, wenn er keine Beurteilung durchführt? HEESCH: § 25 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) legt fest, dass bei Ordnungswidrigkeiten ein Bußgeld von bis zu 25.000 Euro fällig werden kann. Dazu zählt auch, wer vorsätzlich oder fahrlässig keine ordnungsgemäße Gefährdungsbeurteilung erstellt. Hinzu kommt noch ein ganz anderes Problem: Bei einem Arbeitsunfall treten wir als Berufsgenossenschaft ein. Wir sprechen da von der Ablöse der Unternehmerhaftpflicht. Stellt sich heraus, dass keine Gefährdungsbeurteilung vorliegt und es somit keinen Nachweis gibt, dass sich der Praxisinhaber Gedanken über Gefährdungen und entsprechenden Schutzmaßnahmen gemacht hat, schauen wir, ob es sich um grobe Fahrlässigkeit oder sogar Vorsatz handelt. Ist das der Fall, nehmen wir den Arbeitgeber in Regress, sprich, die Unternehmerhaftpflicht erlischt dann zum Teil. Zudem fordern wir einen Teil der Heilbehandlungskosten zurück. Im Ernstfall kann es sogar sein, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt, wie im Fall eines Unfalls, bei dem eine Reinigungskraft ums Leben kam, weil sie in der Hydraulik einer Behandlungsliege eingeklemmt wurde. Die Sperrbox war nicht aktiviert und die Reinigungskraft nicht eingewiesen. Wenn es keine Dokumentation darüber gibt, dass sich der Inhaber der Praxis mit der Gefährdung auseinandergesetzt hat, drohen strafrechtliche Folgen wegen grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Wie gehe ich als Unternehmer am besten bei der Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung vor? Gibt es ein Schema, das dabei hilft? HEESCH: Der erste Schritt ist, sich Gedanken zu machen, wie ich die Gefährdungsbeurteilung vornehmen möchte. Es gibt drei Möglichkeiten: arbeitsbereichbezogen, tätigkeitsbezogen und personenbezogen. Das typische Modell ist die arbeitsbereichbezogene Beurteilung. Wie der Name schon sagt, betrachten Sie dabei einen Arbeitsbereich und nicht nur eine Tätigkeit, wodurch der Aufwand überschaubar bleibt. Eine personenbezogene Beurteilung kommt beispielsweise bei einer schwangeren Mitarbeiterin zum Einsatz. Darin ist festgelegt, welche Tätigkeiten sie noch ausführen darf und welche nicht. Jeder Arbeitgeber ist laut Mutterschutzgesetz dazu verpflichtet. Der Aufwand für die Beurteilung ist relativ gering. Es gibt ein vorgebendes Schema, an dem sich die Inhaber orientieren können (s. Kasten – Anm. d. Red.). Wie die Dokumentation erfolgt, ist übrigens jedem frei gestellt. Auch Verweise auf QM-Dokumente sind möglich. Wichtig ist, dass die Beurteilung folgende Aspekte beinhaltet: Die Gefährdungen, die Maßnahmen zur Vermeidung, den Zeitrahmen für die Umsetzung und Angaben dazu, wer für die Durchführung und Überprüfung verantwortlich ist. Wir empfehlen, die arbeitsbereichbezogene Beurteilung einmal im Jahr auf ihre Aktualität zu überprüfen. Treten in der Zwischenzeit Probleme auf, sollte natürlich sofort gehandelt und das Dokument angepasst werden. Gefährdungsanalyse in sieben Schritten Schritt 1: Arbeitsbereiche und Tätigkeiten erfassen (arbeitsbereich-, personen- oder tätigkeitsbezogen) Schritt 2: Gefährdungen ermitteln. Dafür bieten sich unter anderem Unterlagen wie Hygienepläne, Dokumentationen zu Geräteprüfungen und Betriebsanweisungen an. Binden Sie auch Ihre Mitarbeiter mit ein und machen Sie mit ihnen Arbeitsplatzbegehungen. Schritt 3: Gefährdung beurteilen (Risikoklasse 1 (gering), 2 (mittel), 3 (hoch)). Als Basis dafür bieten sich Sicherheitsnormen, Vorschriften und Grenzwerte an. Kommen diese nicht in Frage, beurteilen Sie die Gefährdung anhand folgender Fragen: Wie wahrscheinlich ist es, dass in einer Arbeitssituation ein Unfall passiert? Und wie gravierend wären die Folgen? Schritt 4: Maßnahmen festlegen. Schritt 5: Maßnahmen durchführen. Schritt 6: Wirksamkeit der Maßnahmen überprüfen. Beantworten Sie dafür folgende Fragen: Wurden die Maßnahmen termingerecht umgesetzt? Wurden die Ziele mit den Maßnahmen erreicht? Haben die Maßnahmen vielleicht neue Gefährdungen oder Belastungen hervorgerufen? Schritt 7: Gefährdungsbeurteilung fortschreiben. Passen Sie je nach Bedarf Maßnahmen an oder nehmen neue Gefährdungen auf. Tipp: Auf der Website der BGW finden Sie eine ausführliche Gefährdungsbeurteilung für Therapiepraxen. Informationen und Ansprechpartner Berufsgenossenschaften: Dokumente, Checklisten und Co. zum Thema Gefährdungsbeurteilung Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Arbeitsmedizinische Vorsorgethemen Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit: Arbeitsplatzbegehungen nutzen, um mögliche Gefährdungen herauszufinden Robert Koch Institut (RKI): Informationen zu Hygienethemen Außerdem gehören diese Artikel zum Themenschwerpunkt: Sicherheit in der Praxis: Arbeitsschutz, Unfallverhütung und Erste Hilfe Rechtliche Grundlagen zur Praxissicherheit Risiko erkannt, Gefahr gebannt: Maßnahmenkatalog als Basis für Ihre Gefährdungsbeurteilung Erste Hilfe in der Praxis: Damit im Notfall alle richtig handeln (können)