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„Erfolgreich bin ich, wenn ich mir vor Verhandlungsbeginn klare Ziele setze“

Ein Gespräch mit Florian Weh über Verhandlungsziele, Strategien und erfolgreiche Kommunikation
Vergütung, Leistungsbeschreibungen, formale Vorgaben – die Liste der Themen, über die Heilmittelerbringer regelmäßig mit den Krankenkassen verhandeln müssen, ist lang und es kommt immer mehr dazu. Gleichzeitig sind die Verhandlungsergebnisse häufig wenig zufriedenstellend. Wir haben mit Florian Weh, dem Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbandes der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (AGV MOVE), darüber gesprochen, worauf es bei Verhandlungen ankommt und wie man seinen Erfolg beeinflussen kann.
„Erfolgreich bin ich, wenn ich mir vor Verhandlungsbeginn klare Ziele setze“
© Florian Weh

Herr Weh, Sie haben viele Jahre Verhandlungserfahrung in verschiedenen Unternehmen gesammelt und diese auch in einem Buch zusammengefasst. Wovon hängt es ab, ob Verhandlungen aus meiner Sicht erfolgreich verlaufen?

WEH: Erfolgreich bin ich in aller Regel dann, wenn ich mir vor Verhandlungsbeginn klare Ziele setze, die ambitioniert, aber realistisch sind. Unrealistische Ziele führen zu schlechten Entscheidungen. Der nächste Schritt ist die Zielkonsolidierung. In komplexen Strukturen, wie sie auch im Heilmittelbereich vorliegen, ist das ein komplexer Prozess. Da muss man sich mehrmals treffen, bis man die Ziele auf dem Tisch hat.

Wir haben in den Verhandlungen viele verschiedene Punkte. Wie kann man die so organisieren, dass man seine wichtigen Themen durchbekommt?

WEH: Aus meiner Erfahrung ist es das Wichtigste, Struktur hineinzubringen, also die Punkte zunächst aufzulisten und dann zu priorisieren. Da hat sich zum Beispiel das Ampel-System bewährt. Rot muss ich durchkriegen, gelb wäre schön und grün kann ich hergeben. Ich stelle immer wieder fest, das darauf zu wenig Wert gelegt wird.

Was mache ich, wenn ich einen so einen starken Verhandlungspartner wie die GKV habe, die gefühlt eher auf Konfrontation setzt?


WEH: Wenn wir so eine strukturelle Übermacht haben, gilt es, zunächst alle informellen Wege zu nutzen, um zu sondieren und zu schauen, ob es nicht Bereiche gibt, bei denen die andere Seite auf uns angewiesen ist. Da ist es wichtig, die Öffentlichkeit herauszuhalten und informelle Kommunikationskanäle zu meinem Verhandlungspartner zu finden. Eine weitere Möglichkeit ist, sich abseits der Öffentlichkeit über grundsätzliche strategische Fragen auszutauschen: Win-Win Möglichkeiten auszuloten, gemeinsame Interessen zu finden, ein gemeinsames Zukunftsbild zu entwerfen etc.

Ein Problem ist, dass die Krankenkassen sagen, die Verhandlungen müssen geheim sein. Es darf also nicht nach außen getragen werden, worüber verhandelt wird. Stärkt das die Verbände, wenn sie über ihre Positionen gar nicht reden dürfen oder ist es etwas, was tendenziell schwächt? Sollten die Verbände ihre Ziele kommunizieren?

WEH: Das ambitionierte Ziel, das gerade noch realistisch begründbar ist, kann man kommunizieren. Man sollte im Zielfindungsprozess aber auch das Minimum festlegen, das man erreichen will. Und das kleine Einmaleins des Verhandelns ist, dass das Gegenüber niemals diese Bottom-Line kennen sollte. Zwischen dem ambitionierten Ziel und dem Minimum gibt es noch ein Zwischenfeld, wo ich denke, dass ich am Ende herauskomme, wenn ich gut bin. Auch das sollte ich nicht kommunizieren. Für eine Kampagne sind die ambitionierten Ziele wichtig. Man sollte aber professionell genug sein, um zu wissen, dass nicht jeder Wunschtraum im Rahmen einer Verhandlung realisiert werden wird.

Wie sollte ich meine Ziele in der Verhandlung kommunizieren? Erreiche ich mehr, wenn ich gleich hoch ansetze?

WEH: Der Anker-Effekt besagt: Die erste Forderung, vor allem wenn eine Zahl daran gebunden ist, hat einen starken Magnetismus, eine starke Auswirkung auf den weiteren Verlauf. Ich könnte also einerseits sagen, es schadet nichts, ambitionierte Ziele auf den Tisch zu legen. Andererseits hemmen Sie damit den zweiten Modus im Rahmen einer Verhandlung. Das ist der Modus der Kooperation.

Wenn Sie mit einer extremen Forderung in eine Verhandlung gehen, bereiten Sie ein Spielfeld, bei dem es um Preise, Durchsetzung und Wettbewerb geht. Wenn Sie aber ein Spielfeld bereiten wollen, bei dem es um Zusammenarbeit, Mehrwert-Lösungen und Win-Win-Lösungen geht, ist das der falsche Ansatz. Wenn man sich die Gewerkschaftslandschaft in Deutschland anschaut, ist die Branche, in der am meisten verdient wird, wo es am wenigsten Streiks gibt und die am erfolgreichsten ist, ist die Pharmaund Chemiebranche. Dort werden Verhandlungen nicht mit völlig überzogenen Forderungen begonnen, sondern mit Strategiesitzungen, bei denen sich beide Seiten die gegenseitigen Strategien erklären und sich gegenseitig versichern, dass sie langfristig kooperativ zusammenarbeiten wollen.

Die Frage ist also, habe ich auf der anderen Seite einen Partner, von dem ich glaube, dass ich am Ende mit ihm kooperativ erfolgreich sein kann? Denn das sind die Verhandlungen, bei denen ich den Kuchen vergrößern kann. Oder handelt es sich um reine Preisverhandlungen? Das ist verhandlungstechnisch immer am schlechtesten, denn es ist wie Armdrücken. Mein Gewinn ist dein Verlust.

Wie kann ich die Verhandlung beeinflussen, wenn sie nicht in meinem Sinn verläuft?

WEH: Es gibt drei Ebenen bei einer Verhandlung. Die erste Ebene ist der Verhandlungstisch, die zweite Ebene ist das Lösungsdesign und die dritte Ebene ist alles das, was abseits des Tisches läuft. Abseits des Tisches kann man versuchen, die Rahmenbedingungen zu beeinflussen. Allein der Versuch wirkt sich meist auf die Verhandlungen am Verhandlungstisch aus. In unserem Fall könnte man zum Beispiel Patienten darüber berichten, dass man schwierige Verhandlungen mit den Krankenkassen hat.

Wäre das auch ein akzeptables Vorgehen?

WEH: Absolut. Grundsätzlich wünsche ich mir für eine Verhandlung den Ausschluss der Öffentlichkeit, weil es von der Sache ablenkt, wenn alle nur auf ihre nächste Pressemitteilung schielen. Etwas anderes ist es, wenn ich die Rahmenbedingungen beeinflussen möchte. Dann habe ich gar keine andere Möglichkeit als es über eine öffentliche Kampagne zu machen.

Was macht man, wenn Verhandlungen feststecken?Ist es sinnvoll, zu versuchen einen Schiedsspruch per Gerichtsentscheid zu kippen? Lassen sich Verhandlungen so noch retten oder torpediert man damit bereits neue Verhandlung im Vorherein?

WEH: Eine gute Schiedsperson hat auch ein mediatives Talent. Aus dem Amerikanischen gibt es da zwei verschiedenen Formen, eine Schlichtung mit einer Mediation zu kombinieren. Entweder versucht man erst eine Mediation und wenn das nicht funktioniert, kommt die Schlichtung. Oder noch intelligenter: Erst erfolgt die Schlichtung, der Schlichterspruch bleibt
aber geheim und dann erfolgt die Mediation. Dann haben beide Seiten das Risiko, dass der Schlichterspruch gegen die eigenen Interessen geht, und sind in der Mediation sehr viel offener.

Gerade in einem so hoch regulierten Bereich, wie dem Heilmittelbereich, ist es aber auch wichtig, immer mal wieder in eine gerichtliche Überprüfung zu gehen – aber bitte nicht als Kampfmittel, sondern als Pflicht, die Rahmenbedingungen von Zeit zu Zeit überprüfen zu lassen.

 

Herr Weh, vielen Dank für das Gespräch.

[Das Gespräch mit Florian Weh führte Ralf Buchner]

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