up|unternehmen praxis

Vergütungsanhebungen angemessen weitergeben?

Wie man mit der Einmischung des Gesetzgebers in die Tarifautonomie sinnvoll umgeht
Mit der Einführung der bundeseinheitlichen Versorgungsverträge hat der Gesetzgeber festgelegt, dass in diesen Verträgen auch die „Vergütungsstrukturen für die Arbeitnehmer“ zu regeln sind. So verpflichten sich jetzt alle GKV-zugelassenen Heilmittelpraxen mit ihrer Zulassung, Vergütungsanhebungen an angestellte Mitarbeiter in angemessenem Umfang weiterzugeben. Offen bleibt, was das konkret bedeutet.
Vergütungsanhebungen angemessen weitergeben?
© Daria Kashurina

Das Aushandeln von Arbeitsverträgen bzw. Tarifverträgen ist eigentlich Aufgabe von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die sogenannte Tarifautonomie ist im Grundgesetz ausdrücklich verankert, allerdings wird dieser Freiraum durch gesetzgeberische Maßnahmen, z. B. den Mindestlohn, immer wieder eingeschränkt. Eine solche Einschränkung ist auch die Verpflichtung in § 125 SGB V, umgesetzt in § 16 Abs. 3 der GKV-Versorgungsverträge (siehe Box), wonach Praxisinhaber mit Anerkennung der GKV-Zulassung die mit der GKV vereinbarten Vergütungsanhebungen in einer angemessenen Höhe an ihre Mitarbeiter weiterzugeben haben.

Nun ist „angemessen“ keine sehr genaue Festlegung, aber wohin der Trend geht, wird schnell klar, wenn man z. B. den Heilmittelreport 2021 der BARMER liest: „Nicht einmal die Hälfte der Umsatzsteigerungen der Heilmittel-Praxen wurde als Gehaltssteigerung an die angestellten Therapeuten weitergegeben.“ Das ist definitiv ein Vorwurf in Richtung Praxisinhaber. Man hätte ja auch schreiben können, dass fast die Hälfte der Umsatzsteigerung der Heilmittel-Praxen an die angestellten Therapeuten weitergegeben worden sind. Das hört sich definitiv besser an!

Regeln fern der Realität

Die Vereinbarungen in den Versorgungsverträgen zum Thema Vergütung sind leider schon vom Ansatz her falsch formuliert. Denn die Weitergabe von vereinbarten Vergütungsanhebungen an angestellte Mitarbeiter ist betriebswirtschaftlicher Unsinn:

  • Eine pauschale Weitergabe von Mehrumsatz an angestellte Mitarbeiter – losgelöst von der individuellen Leistung und vom unternehmerischen Risiko des Praxisinhabers – widerspricht allen Regeln unseres Wirtschaftssystems.
  • Die Weitergabe von Mehrumsatz an die angestellten Mitarbeiter würde nur Sinn ergeben, wenn die Praxen schon vor der Vergütungserhöhung angemessen finanziert worden wären – was sie natürlich zu keinem Zeitpunkt waren.

Wie man sieht, sind die gesetzlichen und die vertraglichen Regeln von Menschen beschlossen worden, die fern jeder wirtschaftlichen Realität davon ausgehen, dass die angestellten Therapeuten von ihren Praxischefs ausgebeutet werden.

Dabei sind es gerade die Praxisinhaberinnen und -inhaber, die seit Jahrzehnten von den Krankenkassen skandalös knappgehalten werden. Nicht die Ausbeutung der angestellten Therapeuten ist das Problem, sondern die Ausbeutung einer ganzen Branche!

Proaktiv kommunizieren

Trotzdem entstehen auch aus falschen Regeln Erwartungen der angestellten Therapeuten, mit denen man sich als Praxisinhaber auseinandersetzen muss. Und diese Erwartungen werden zusätzlich durch den anhaltenden Fachkräftemangel verstärkt. Nicht reagieren ist für Praxisinhaber also keine Option, stattdessen gilt es, das Thema Gehalt immer wieder aktiv zu thematisieren, bevor die Mitarbeiter das Thema auf die Agenda bringen. Wenn Mitarbeiter das Thema Gehalt von sich aus ansprechen müssen, ist der Praxisinhaber sofort in der Rechtfertigung – keine gute Position für Gehaltsverhandlungen.

Angestellte sind keine Unternehmer

Es hilft bei Überlegungen zu Gehaltsverhandlungen, wenn man sich vor Augen führt, was der Unterschied zwischen Praxisinhaber und angestellten Therapeuten ist. Der Praxisinhaber trägt das volle wirtschaftliche Risiko der Praxis. Ist nicht so viel, finden Sie? Lassen Sie uns da mal kurz überschlagen: Sie haben als Inhaber einen Mietvertrag mit einer Laufzeit von mindestens fünf Jahren unterschrieben. Sie haften in der Regel persönlich mit Ihrem privaten Vermögen für Ansprüche aus Fehlabrechnungen mit der GKV, und zwar rückwirkend für vier Jahre. Dafür reicht es schon, wenn Sie die Mitarbeitermeldepflichten übersehen. Hinzu kommen die KFZ-Leasingraten, für das Fahrzeug, das Sie für Hausbesuche vorhalten müssen, Versicherungen, Haftung für Datenschutzverstöße etc.

Mit den neuen Versorgungsverträgen haben diese Verpflichtungen und Risiken noch einmal deutlich zugenommen: die Auflage eine bestimmte Öffnungszeit anbieten zu müssen, Mehraufwand durch Zuzahlungs-Exkasso etc. Alle diese Risiken und Aufgaben werden mit den Vergütungserhöhungen finanziert. Und der Spielraum, den Praxisinhaber jetzt haben, um Angestellte besser bezahlen zu können, ist sicherlich etwas größer geworden.

Arbeitsleistung ist relevant

Die Bezahlung von angestellten Therapeuten hängt natürlich nicht direkt davon ab, welchen Umsatz die Praxis macht, sondern maßgeblich davon, welche Arbeitsleistung ein Therapeut erbringt. Die Arbeitsleistung von Therapeuten kann man einfach messen, zum Beispiel so:

  • Auslastung: Wie viel Prozent seiner Soll-Arbeitszeit erbringt der Mitarbeiter abrechenbare Leistungen? Also wie viel seiner Arbeit bringt Geld in die Praxis? Wie viele Ausfälle hat der Mitarbeiter, wie managt er seine Ausfälle? Erscheinen seine Patienten öfter mal nicht zu ihren Terminen?
  • Leistungsarten: Hat der Mitarbeiter beispielsweise besondere Zusatzqualifikationen in Bereichen, die besser vergütet werden, wie zum Beispiel Manuelle Therapie? Oder erbringt er hauptsächlich weniger gut bezahlte Leistungen, wie Manuelle Lymphdrainage?
  • Nicht abrechenbare Arbeitszeit: Wieviel Zeit verbringt der Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die nicht abrechenbar sind, z.B. Therapieberichte schreiben, Handtücher waschen, Behandlungen vor- und nachbereiten?
  • Weitere Verantwortungsbereiche: Welche sonstigen, betriebswirtschaftlich relevanten Aufgaben übt der Mitarbeiter in der Praxis aus? Hat er beispielsweise die fachliche Leitung über einen bestimmten Bereich?

Kosten/Ertrag nachkalkulieren

Letztlich kann man Gehaltsgespräche nur führen, wenn man zum einen genau weiß, wie hoch die Kosten des betreffenden Mitarbeiters sind, also nicht nur Stundenlohn etc., sondern Vollkosten inkl. Arbeitgeberanteil. Zum anderen muss man wissen, was der betreffende Mitarbeiter an Umsatz erwirtschaftet hat. Und zwar ganz genau anhand von IST-Werten, die Ausfälle und Absetzung berücksichtigen.

Hinweis: Abonnenten können über die up|plus-Hotline eine Exceltabelle anfordern, in der Sie einfach die entsprechenden Werte für die einzelnen Mitarbeiter eintragen und sich so einen schnellen Überblick über Leistung und Kosten verschaffen können.

Faire Bedingungen schaffen

Und ganz zum Schluss der Hinweis, dass Sie das Thema Gehaltsgerechtigkeit nicht aus den Augen verlieren dürfen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels passiert es schon mal, dass man höhere Einstiegsgehälter für neue Kollegen zahlt und vergisst, dass langjährige Kollegen schlechter bezahlt werden. Irgendwann reden die Mitarbeiter untereinander über ihre Gehälter, und dann steht die Arbeitszufriedenheit innerhalb der Praxis auf dem Spiel. Studien zeigen, dass weniger die absolute Höhe des Gehaltes über die Zufriedenheit eines Mitarbeiters entscheidet als der Vergleich mit gleichrangigen Kollegen, die besser bezahlt werden.

Was hilft, sind klare Regeln, also z. B. eine Art „Haustarif“, sogenannte Gehaltskorridore, die dann auf alle Mitarbeiter der Praxis angewendet werden können. Oder die Anlehnung an fremde Tarife – aber dafür reicht die von der GKV gezahlte Vergütungserhöhung leider nicht.

Hinweis: Wenn Sie wissen wollen, welche Kriterien für einen Haustarif wichtig sind, dann empfehlen wir einen Blick in die up-Ausgabe 12/2019, Seite 10/11 „Was ist eine angemessene Bezahlung?“

16 Abs. 3 der bundeseinheitlichen GKV-Versorgungsverträge

„Die von zugelassenen Leistungserbringern angestellten Leistungserbringer sollen von Vergütungsanhebungen in einem angemessenen Rahmen partizipieren. Die zugelassenen Leistungserbringer sollen daher, soweit möglich, vereinbarte Vergütungsanhebungen in einer angemessenen Höhe an angestellte Leistungserbringer weitergeben.“

Diese Artikel gehören auch zum Themenschwerpunkt „Lifehacks rund um die Versorgungsverträge“:

Themenschwerpunkt 4.2022: Lifehacks rund um die Versorgungsverträge

Änderungsmöglichkeiten in der Therapie nutzen

Leistungsbeschreibungen im Kontext des Praxisalltags

Minutenpreise: Welche Behandlungen lohnen sich?

Zuzahlung organisieren

Neue Verträge = Neue Fristen

Forderungen, Behandlungsbeginn und Aufbewahrung

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all Kommentare
0
Wir würden gerne erfahren, was Du meinst. Schreibe Deine Meinung dazu.x