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Warum Zertifikats-Fortbildungen für Therapeuten ein Verlustgeschäft sind

Nur Physiotherapeuten, die sich entsprechend weiterbilden, dürfen sogenannte „besondere Maßnahmen“ abrechnen. Die Fortbildung kostet Zeit und Geld – und wer besondere Maßnahmen endlich abrechnen darf, verdient damit teilweise weniger als mit normaler Krankengymnastik. Wir haben untersucht, was sich rechnet.
Warum Zertifikats-Fortbildungen für Therapeuten ein Verlustgeschäft sind
© iStock, slphotography

Wenn Physiotherapeuten sich für „Besondere Maßnahmen“ qualifizieren, dürfen sie Behandlungen wie Manuelle Therapie, KG-Gerät, Lymphdrainage und KG-ZNS (Kinder und Erwachsene) durchführen und abrechnen. Manch ein Therapeut kennt diese Leistungen als „Zertifikatsbehandlung“. Dieser Begriff hat sich vermutlich eingebürgert, weil Leistungserbringer ein Weiterbildungs-Zertifikat nachweisen müssen, um die benötigte GKV-Zulassungserweiterung zu erhalten.

Wer die „Besonderen Maßnahmen“ für seine Patienten erbringen und mit der Krankenkasse abrechnen will, muss dafür eine Fortbildung mit Prüfung absolvieren, deren Inhalt und Dauer mit den Krankenkassen genau vereinbart ist. Diese Fortbildungen kosten natürlich Geld. Zum einen fällt eine Kursgebühr an, die sich zwischen € 440 (KG-Gerät) und € 4500 (Kinder-Bobath) für die gesamte Fortbildung bewegt. Zum anderen können Therapeuten während der Kurszeiten keine Patienten behandeln. Potentieller Umsatz geht also verloren. Dabei können sich ziemliche Summen anhäufen: Wenn Therapeuten die aufgewandte Zeit stattdessen für Krankengymnastik (KG) aufwenden, erwirtschaften sie dabei zwischen € 1460 (KG-Gerät) und € 21.158 (Kinder-Bobath).

Für bessere Therapie 225 Million Euro eingespart

Wer jetzt, wo er zum Beispiel KG-ZNS-Kinder (Bobath) abrechnen darf, glaubt, dass er dafür sicher auch besser vergütet wird als für KG ohne Zertifikat, der irrt allerdings. Für KG-ZNS-Kinder zahlen die Kassen im Bundesdurchschnitt pro Minute 70 Cent, das sind 6 Cent weniger als für eine Minute KG. Auch für die Zertifikatsposition KG-ZNS-Erwachsene ist der Minutenpreis im Vergleich zu normaler KG um 6 Cent pro Minute niedriger. Für Lymphdrainage (MLD-45) erhalten Physiotherapeuten sogar im Schnitt nur 53 Cent – also 23 Cent weniger als für KG. Hätten die Kassen diese drei Zertifikationspositionen mit den 76 Cent pro Minute der KG bezahlt, hätten sie im Jahr 2015 insgesamt 225 Millionen Euro mehr ausgeben müssen. Dieses Geld sparten sie stattdessen, indem sie Therapeuten für höherwertige Therapie niedrigere Honorare überwiesen.

Immerhin: Zwei Zertifikatsausbildungen bringen nach der Ausbildung höhere Minutenpreise. Die Manuelle Therapie kommt auf 84 Cent, also 8 Cent mehr also normale KG. Mit KG-Gerät können Therapeuten theoretisch auf € 1,36 kommen, also auf 60 Cent mehr pro Minute. Das klappt aber nur, wenn sie wirklich immer drei Patienten gleichzeitig behandeln.

Lohnt sich die Fortbildung?

Wer jetzt wissen will, ob sich eine Fortbildung lohnt, der kann das in zweierlei Hinsicht bewerten. Aus fachlicher Sicht führt wohl jede Fortbildung fast zwangsläufig zu einer besseren Therapie. Aus wirtschaftlicher Sicht wiederum rechnet sich die Fortbildung nur für KG-Gerät.

Denn in diese Rechnung muss auch einfließen, was die Weiterbildung gekostet hat. Die Ausbildung zur Manuellen Therapie etwa verursacht rund € 3.900 Kursgebühren, zuzüglich eines Umsatzausfalls von € 14.774. Das addiert sich zu einem Betrag von € 18.680. Um diesen Betrag wieder hereinzuholen, muss der weitergebildete Therapeut 11.000mal MT behandeln. Wenn er ab nun nichts mehr anderes tut, als MT-Behandlungen durchzuführen, dauert es ungefähr 2,5 Jahre, bevor die Praxis auch nur einen Cent Mehrumsatz erzielt.

Die einzige rentable Zertifikatsposition ist also KG-Gerät. Die Kosten von insgesamt 1.900 Euro hat eine Praxis nach 158 Behandlungen ausgeglichen. Einziger Wermutstropfen dabei ist, dass Ärzte dieses Heilmittel relativ selten verordnen. Nur 2,9 Million Einheiten KG-Gerät verschrieben sie 2015. Im Gegensatz dazu verordneten Ärzte die Position MT fast 33 Millionen Mal.

Warum sollen Therapeuten Zertifikationspositionen erbringen?

Irgendetwas läuft bei den Zertifikatspositionen schief: Von den 15 am häufigsten verordneten Heilmitteln sind fünf sogenannte Zertifikatspositionen. Mit diesen fünf Leistungen verdienen Therapeuten nach Abschluss der Ausbildung weniger, als wenn sie die Ausbildung nicht absolviert hätten und weiter normale KG erbrächten. Die Kosten für die Ausbildung sind so hoch, dass es in der Regel Jahre dauert, bis die Praxis überhaupt auf plus/minus Null kommt. Und die Position KG Gerät bringt nur dann wirklich mehr Geld, wenn die Ärzte so verordnen, dass ein Therapeut immer drei Patienten gleichzeitig behandeln kann.

Klar brauchen Patienten Lymphdrainage und KG-ZNS Behandlungen. Doch warum sollen Therapeuten teure Weiterbildungen durchlaufen, um dann niedrigere Honorare zu erhalten? Für Physio-Praxen stellt sich die berechtigte Frage, wie viele Patienten mit solchen Verordnungen sie in Zukunft noch behandeln möchten.


Preise unterschiedlicher Therapieformen vergleichen

Die Vergütungslisten, die Heilmittelverbände und Krankenkassen vereinbaren, umfassen eine ganze Reihe von Therapien. Diese Therapien unterscheiden sich nach der Länge der Therapiedauer (zum Beispiel bei Logopädie oder Lymphdrainage) oder auch nach notwendiger Qualifikation (zum Beispiel bei Manueller Therapie und Lymphdrainage).

Wer wissen will, welche Leistungen besser oder schlechter bezahlt werden, muss die Leistungen irgendwie vergleichbar machen. Dazu eignet sich der Minutenpreis. Das ist der Preis, den die Praxis für eine Minute Therapie erhält. Kenne ich den Minutenpreis von zwei Leistungen, kann ich diese unabhängig von einer möglicherweise unterschiedlichen Behandlungsdauer miteinander vergleichen.

Beispiel Krankengymnastik (KG): Im Jahr 2015 rechneten Physiotherapeuten in ganz Deutschland für 1,7 Milliarden Euro die Leistung KG ab. Dazu erbrachten sie rund 112 Millionen Behandlungseinheiten, die im Schnitt 20 Minuten dauern.

Daraus errechnet sich der Minutenpreis folgendermaßen:

€ 1,7 Milliarden / 112 Millionen = € 15,20 = der durchschnittliche Behandlungspreis

€ 15,20 / 20 Minuten = € 0,76 = der durchschnittliche Minutenpreis für KG

Die Grunddaten für solche Berechnungen können Praxisinhaber ihrer Praxis-Verwaltungs-Software entnehmen. Alternativ können sie Daten aus dem Heilmittel-Informations-System der GKV nutzen (www.gkv-his.de).

Behandlungszeiten sind nicht immer gleich

Minutenpreise lassen sich nur mit der Therapiedauer berechnen. Doch die Dauer für einzelne Leistungen ist nicht immer eindeutig. Einige Leistungen haben beispielsweise Zeitkorridore (wie 15 – 25 Minuten). In diesen Fällen haben wir für die Berechnungen immer den Mittelwert genommen (in diesem Fall also 20 Minuten). Als Basis für solche Zahlen dient die Leistungsbeschreibungen aus den Rahmenempfehlungen.

Kostenfaktor Umsatzausfall

Wer eine Fortbildung besucht, muss dafür Zeit aufwenden. Was diese Zeit kostet, können Praxisinhaber bestimmen. Dazu rechnen sie aus, welchen Umsatz sie in dieser Zeit hätten erzielen können.

Beispiel: Eine Fortbildung dauert 40 Stunden. Hätte ein Therapeut in dieser Zeit ganz normale Behandlungen durchgeführt, hätte das der Praxis einen Umsatz pro Stunde von € 45,60 gebracht. Insgesamt fehlen der Praxis dadurch also € 1.824 Euro Umsatz.

Der Hinweis auf Fortbildungstage, die am Wochenende stattfinden, zählt in dieser Rechnung nicht. Arbeitszeit am Wochenende (und dazu zählen Fortbildungstage nun einmal) sollte durch freie Zeit in der Woche wieder kompensiert werden.

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2 Kommentare
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Micha
09.09.2016 16:56

Manchmal zahlt sich eine Fortbildung auch dadurch aus, dass durch… Weiterlesen »

Horst Pieper-Patalas
08.09.2016 7:02

Sehr guter Artikel ! ??

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