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Losgelöst von Raum und Zeit

Anatomie-Plattform als Lernhilfe und virtuelles Klassenzimmer
Das Coronavirus hat viele Schulen vor große Herausforderungen gestellt. Von jetzt auf gleich mussten Lösungen zum digitalen Lernen her. Doch eine mangelnde Infrastruktur brachte viele Lehrer und Schüler an die Grenzen des Machbaren. Dass es auch anders geht, zeigt die Johannesbad Medfachschule. Seit 2018 arbeiten Lehrer und Schüler dort mit der digitalen Anatomie-Lernplattform und realisieren darüber jetzt in Corona-Zeiten auch das Homeschooling. Wir haben mit Robin Bauer, Physiotherapeut, Dozent und Mitgründer der Plattform darüber gesprochen, wie das Homeschooling genau funktioniert und welche Anwendungen noch möglich sind.
Losgelöst von Raum und Zeit
© Vac1

Seit 2017 arbeitet Robin Bauer als Dozent an der Johannesbad Medfachschule, unterrichtet dort Schüler in therapeutischen Berufen und leitet Kurse zu Themen wie Therapie-Taping und Akutversorgnung bei Sportverletzungen. „Es gibt zahlreiche Lehrinhalte, die sich von Kurs zu Kurs wiederholen. Daraus entstand folgende Idee: Wenn diese in digitaler Form vorliegen würden, könnten Schüler die Inhalte eigenständig und ortsunabhängig lernen und Lehrer sich im Unterricht beispielsweise verstärkt auf die Aneignung bestimmter Techniken konzentrieren.“ Der Grundstein für die Anatomie-Lernplattform war gelegt.

Von der Idee zum eigenen Unternehmen

Zusammen mit Sandro Wolfram, ebenfalls Physiotherapeut und Dozent an der Johannesbad Medfachschule, reifte die Idee weiter heran. Für die Entwicklung der geplanten Plattform inklusive eines 3-D-Anatomiemodells holten sie sich einen dritten Geschäftspartner mit ins Boot, der für die technische Realisierung zuständig ist. 2018 haben die drei dann offiziell die BWS-Education UG gegründet. Der Testbetrieb fand an der Johannesbad Medfachschule statt, mittlerweile nutzen auch andere schulische und therapeutische Einrichtungen die Plattform, ebenso wie Privatnutzer.

Besonderheit: 3D-Anatomie-Modell

„Das Herzstück der Lehrplattform ist ein 3D-Anatomie-Modell, das die Nutzer live bearbeiten können“, erzählt Herr Bauer. „Es stehen über 1.500 Anatomiemodelle zur Auswahl, anhand derer sie sich einzelne Strukturen aber auch Krankheitsverläufe und physiologische Prozesse wie den Blutkreislauf oder Muskelkontraktionen anzeigen lassen können – eine Funktion, die so keine andere Lehrplattform bietet.“ Zudem kann auf Extra-Videos zurückgegriffen werden, die mit einer Onlinefortbildung vergleichbar sind. Beim Thema Manuelle Therapie beispielsweise greifen Bauer und Wolfram Aspekte wie Faszien, Kopfschmerz und Triggerpunkte auf. „Das ersetzt natürlich nicht den persönlichen Kontakt, aber wir versuchen die Techniken so anschaulich wie möglich zu gestalten“, so der Gründer.

Großes Angebot an Lehrvideos

Neben dem 3D-Anatomie-Modell können die Nutzer der Plattform zudem aktuell auf über 1.000 Lehrvideos zugreifen. „Bei den Nutzern handelt es sich überwiegend um Schüler und Fachpersonal aus dem medizinisch therapeutischen Sektor, sprich Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Masseure und medizinische Bademeister sowie Sporttherapeuten“, so der Entwickler. „In unseren Anatomie-Lehrvideos erklären wir bestimmte Themenfelder bis ins Detail, wie zum Beispiel anatomische Strukturen oder Behandlungstechniken.“ Für jedes Themenfeld wird vorab ein detailliertes Drehbuch geschrieben, welches auf mehreren Quellen aufbaut. Zusätzlich gibt es einen Textkasten mit Zusammenfassungen und verschiedene weiterführende Fachtexte. Über eine Quizfunktion können die Schüler dann ihr Wissen überprüfen. Die bewegten Bilder erleichtern laut Bauer vielen Schülern das Lernen.

Homeschooling in Coronazeiten

Neben den Privatnutzern haben auch schulische und therapeutische Einrichtungen die Möglichkeit, mit der Lernplattform das Fachwissen zu erweitern. Über virtuelle Klassenzimmer, die individuell angelegt werden, können Schulen zusätzlich Unterrichtsinhalte digital anbieten. Die Lehrer übermitteln Herrn Bauer und Herrn Wolfram entsprechende Aufträge, die sie aufarbeiten und in das virtuelle Klassenzimmer einspeisen. Auch Videos und Dateien können ausgetauscht werden. „Die Johannesbad Medfachschule setzt die Lernplattform seit 2018 im Unterricht ein und profitierte während der pandemischen Lage immens davon“, berichtet Herr Bauer. „Wir mussten lediglich Kleinigkeiten anpassen, damit das Homeschooling wie gewünscht funktionierte.“ Sogar Prüfungen wurden über eine angepasste Quizfunktion realisiert.

Um die Nutzung der Plattform noch individueller zu gestalten, bieten die beiden zudem die Möglichkeit, mit einem mobilen Filmset Sequenzen mit eigenen Inhalten zu drehen. „Dieses Angebot nutzen nicht nur Schulen, sondern auch Unternehmen, die Fortbildungsmaterial zur Verfügung stellen möchten“, ergänzt der Physiotherapeut.

Lehrplattform 2.0

„Während der Pandemie sind die Nutzerzahlen insgesamt stark angestiegen“, berichtet der Gründer. „Die Rückmeldungen sind sehr positiv, auch nach Corona möchten viele die Plattform weiter nutzen.“ Die letzten Monate hätten den Gründern aber auch gezeigt, wo noch Optimierungsbedarf besteht – etwa in puncto intuitivere Anwendung und attraktiveres Design. Aktuell arbeitet das Team daher an einer Version 2.0, bei der auch das Quizformat weiter ausgebaut und der Zahlungsvorgang für Privatnutzer automatisiert wird.

„Die Weiterentwicklung der Plattform erfolgt neben unseren Berufen als Dozenten und Physiotherapeuten. Das ist gerade in dieser Zeit der großen Nachfrage sehr kräftezehrend, aber es lohnt sich, wenn man sieht, dass die Plattform bei den Anwendern so großen Anklang findet,“ ergänzt der Dozent. „Und über die kürzlich erhaltende Publikumsauszeichnung beim sächsischen Gründerpreis freuen wir uns natürlich sehr.“ Die BWS Education UG hat sich gegen 120 Konkurrenten durchgesetzt – allesamt Startups mit innovativen Geschäftsideen und Gründungskonzepten. Der Publikumspreis wurde am 8. Juli 2020 im Rahmen der futureSAX-Innovationskonferenz verliehen. „futureSax“ ist die Innnovationsplattform des Freistaates Sachsen für Firmengründer, die Gründenden und Unternehmen aus Sachsen Wachstumsimpulse gibt und Innovatoren aus Wissenschaft und Wirtschaft branchenübergreifend vernetzt.

Digitale Angebote als Ergänzung

Auch wenn das Thema Digitalisierung einen immer größeren Stellenwert in der Lehre einnehmen wird, so ist sich Bauer auch sicher, dass entsprechende Angebote den persönlichen Kontakt zwischen Ausbildern zu Schülern kaum ersetzen werden. Denn in Therapieberufen spielen neben fachlichem Wissen auch andere Kompetenzen wie Menschlichkeit, Empathie und Kommunikationsfähigkeit eine wichtige Rolle. „Bevor wir jedoch darüber reden, die Ausbildung digitaler zu gestalten, sollten wir erst einmal den Grundstein legen und in den allgemeinbildenden Schulen das Thema Digitalisierung voranbringen“, gibt der Geschäftsführer zu bedenken. Der Lehrplan sollte angepasst, Fächer wie Informatik stärker in den Fokus gerückt und Räume entsprechend ausgestattet werden. Von elementarer Bedeutung sei dabei die kontinuierliche Aus- und Weiterbildung der Kollegen im Bereich der medialen Kompetenzen.

Fakten zur Lernplattform

Die Videos können auf jedem Endgerät – ob Smartphone, Tablet, PC oder Laptop – abgespielt werden. Um darauf zugreifen zu können, ist ein eigenes Benutzerkonto erforderlich. Es gibt verschiedene Boxen, zwischen denen die Nutzer wählen können, zum Beispiel Anatomie 1, Manuelle Therapie oder Krankengymnastik. Die Nutzung kostet aktuell 9,99 Euro pro Monat und Nutzer. Zusätzlich bietet die Lernplattform die Möglichkeit der Interaktion, um Kontakt mit Lehrern und Mitschülern aufzunehmen und Dateien zu versenden. Dieser Datenautausch erfolgt verschlüsselt, die Server dafür stehen in Deutschland.

Schulen und Einrichtungen erhalten ein individuelles Angebot, je nach Laufzeit und Anzahl der Nutzer.

Mehr über die Lernplattform erfahren Sie unter: www.anatomie-lernplattform.de/

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