„Ich schluckte dieses negative Erlebnis runter und machte weiter“

Es wird aktuell viel über Rassismus diskutiert, auf Demonstrationen, im persönlichen Gespräch, im TV und in den Sozialen Medien. Wir haben uns daher in der Redaktion gefragt: Ist das Thema auch in Therapiepraxen präsent? Diese Frage haben wir Anfang Juni bei Facebook an Sie weitergegeben. Daraufhin hat uns unter anderem ein Leserbrief von Dilan Gökdemir Tierbach, Logopädin und Geschäftsinhaberin von RhetorikWelt, erreicht. Wir danken Frau Tierbach für die offenen Worte und möchten ihre Erfahrungen gerne mit Ihnen teilen. Liebe up-Redaktion, Es war vor ca. 9 Jahren, als ich mit dem ersten rassistischen Vorfall meines Lebens konfrontiert wurde. Ich war frisch im Therapeutenberuf und machte mir bei jedem einzelnen Patienten große Gedanken, um sie bestmöglich zu behandeln. Meine damalige Arbeitgeberin hatte ihre Praxis im tiefen Schwabenland ansässig. Eines Tages durfte ich eine Patientin von einer Kollegin übernehmen, welche die Praxis auf Grund von Schwangerschaft verlassen musste. Die Patientin war eine 68 jährige Rentnerin aus der schwäbischen Region, welche auf Grund von leichter Lese-& Zahlenverständnisschwäche nach einem Schlaganfall behandelt werden sollte. Sie war sehr kooperativ, arbeitete interessiert mit und schien sich wohl zu fühlen. Umso mehr schockierte mich eine Woche nach unserer zweiten Behandlung die Information, dass sie sich nicht mehr von mir behandeln lassen wollte. Ich war verwirrt und meine Kollegin versicherte mir, dass dieser Umstand nichts mit meiner Kompetenz oder meinem frischen Berufseinstieg zu tun habe und die Patientin nun bei ihr in Behandlung sei. Ich machte mir kurz Gedanken und fragte meine Kollegin, was denn der Grund sei? Meine Kollegin versuchte mit einer Gelassenheit zu reagieren, es fiel ihr sichtlich schwer und schilderte, dass der Grund des Therapeutenwechsels mit meiner Hautfarbe und Herkunft zu tun hätte! Ich wäre der Patientin zu dunkel, sie habe auf meine Hautfarbe und meinen Namen hin zurückgeführt, dass ich keine „Deutsche“ sein müsste, ich sei zwar nett gewesen doch sie hätte lieber einen Therapeuten, welcher der deutschen Sprache von Geburt an mächtig sei! Ich war baff, schockiert und verletzt zur selben Zeit. Und wissen Sie was die Pointe dieses Erlebnisses ist? Ich bin die hellste Türkin in meiner Familie! Ich spreche einwandfrei deutsch, andernfalls könnte ich niemals den Beruf zur Logopädin erlangen. Diese Erfahrung war sehr gewaltig, doch niemand griff das Thema erneut auf oder fragte mich, wie ich damit umginge. Ich mochte mein Team und meine Kollegen sehr und ich vermute, dass sie selbst verunsichert waren und das Thema also bewusst oder unbewusst nicht erneut angeschnitten hatten. Ich schluckte dieses negative Erlebnis runter und machte weiter. Einen Halt fand ich in meiner früheren Ausbildung. Unsere Dozenten sagten uns immer wieder, dass in Deutschland die freie Arzt- und Therapeutenwahl bestünde. Doch auch wird hätten immer eine Wahl und müssten uns nicht Respektlosigkeiten oder Anfeindungen gefallen lassen. Wir sind die wertefreie und offene Instanz vor dem Patienten, wir therapieren auch ohne einen hypokratischen Eid im Sinne der Patienten. Und so stark dieser Wille sich in unseren Therapien widerspiegelt so stark müssen wir auch zusammenhalten und zu unserer eigenen Persönlichkeit und unseren Menschenrechten stehen. Denn auch wir Therapeuten sind Menschen, vor, während und nach den Therapien. Mit freundlichen Grüßen Dilan Gökdemir Tierbach Geschäftsinhaberin RhetorikWelt Außerdem interessant: „Einvernehmliches Stillschweigen – das geht einfach nicht mehr“ - Die Logopädin Esmeralda Wachter spricht mit uns über Rassismus Mit gutem Beispiel voran - Für eine Praxiskultur mit Null-Toleranz für Rassismus