Grenzen Sie sich ab?
Bestimmt haben Sie das auch schon erlebt: Ein Konflikt im Therapiealltag raubt Ihnen viel Energie. Eine Auseinandersetzung mit einer Kollegin, eine Meinungsverschiedenheit mit einem Patienten, ein wiederkehrendes Verhalten ihrer Chefin oder eines Mitarbeiters? Zu Beginn denken Sie vielleicht: „Das wird schon wieder, so schlimm ist es ja gar nicht.“ Doch mit der Zeit nimmt das vermeintlich kleine Thema immer mehr Raum ein. Kritik zu äußern und sich dadurch gesund abzugrenzen, ist für viele Therapeuten gar nicht so leicht. „Sprich es doch einfach an“, könnte jetzt ein Außenstehender sagen. Einfacher gesagt als getan. Die individuellen Gründe, warum viele Therapeuten um den Bereich Kritikäußern einen großen Bogen machen, sind vielfältig. Wie ist das bei Ihnen? Möchten Sie auf eine wertschätzende Art und Weise kritisieren, ohne dass Sie Ihr Gegenüber verletzen? Möchten Sie lernen, für Ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen? Die folgenden Tipps unterstützen Sie dabei.
Coaching-Impuls
Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Rosenberg können Ihnen beim Äußern von Kritik behilflich sein. Schon bei der Gesprächsvorbereitung sind sie nützlich. So wissen Sie im Gespräch, was Sie wirklich bewegt und was Sie mitteilen möchten. Eine Situation zwischen Tür und Angel ist für ein Kritikgespräch nicht geeignet. Sorgen Sie dafür, dass es an einem ruhigen Ort mit ausreichend Zeit stattfinden kann.
Und dann geht‘s los: Im ersten Schritt, der Beobachtung, beschreiben Sie sachlich, welches Verhalten Sie konkret beobachtet haben. Wichtig dabei ist, nicht zu bewerten oder zu interpretieren. Im Umgang mit einer Kollegin könnte das zum Beispiel heißen: „Zu den letzten zwei Teamsitzungen bist du zehn Minuten zu spät gekommen, obwohl du sonst immer pünktlich bist.“ Im nächsten Schritt äußern Sie das Gefühl, das durch das Verhalten des Gegenübers bei Ihnen entsteht. Gefühle bemerken Sie wahrscheinlich auch auf körperlicher Ebene, etwa Wut und Enttäuschung. Im Fallbeispiel mit Ihrer Kollegin könnte das bedeuten: „Das wundert mich, und ich bin etwas genervt davon …“ Im dritten Schritt nennen Sie Ihrem Gegenüber das Bedürfnis, das durch sein Verhalten nicht erfüllt wird. Bedürfnisse sind beispielsweise Sicherheit, Zuverlässigkeit und Vertrauen. Sie könnten Ihrer Kollegin also erklären: „…, weil es mir wichtig ist, dass wir in der Teamsitzung genug Zeit haben, um alle Themen zu besprechen.“ Das Bedürfnis nach Ruhe und Zeit steht also im Fokus. Im vierten und letzten Schritt formulieren Sie eine Bitte, also einen persönlichen Handlungswunsch an Ihr Gegenüber. Dieser sollte so konkret wie möglich formuliert sein, zum Beispiel: „Bitte komm zu den nächsten Terminen wieder pünktlich.“
Dieses Formulierungsmuster können Sie auch auf Gespräche mit Patienten oder Angehörigen übertragen. Es braucht ein bisschen Übung, die Situation wirklich sachlich zu beschreiben, die eigenen Emotionen und Bedürfnisse zu identifizieren und einen konkreten Wunsch zu äußern, aber es lohnt sich. Viel Erfolg!
Einige Worte zur Gewaltfreien Kommunikation
Die Gewaltfreie Kommunikation wurde von Marshall B. Rosenberg (1934-2015) entwickelt. Als Handlungskonzept soll sie Menschen dazu befähigen, die Alltags- und Konfliktkommunikation auf eine wertschätzende und kooperative Weise zu gestalten. Im Zentrum des Ansatzes steht die Suche nach den individuellen Bedürfnissen der Gesprächspartner. Diese sollen im Gespräch empathisch aufgespürt und mitgeteilt werden.
Quelle: Rosenberg, Marshall B. (2016): Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Junfermann-Verlag, Paderborn
Ina Kimmel | Logopädin (B.Sc.), Sprechwissenschaftlerin (M.A.), Systemischer Coach (DGfC) aus Dortmund
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