Essstörungen behandeln

Magersucht, Bulimie, Binge-Eating-Störung – es gibt viele Arten von Essstörungen. Ob sie stationär oder ambulant behandelt werden, hängt von den Symptomen und der Situation des Patienten ab. Idealerweise ist die therapeutische Begleitung multiprofessionell und beinhaltet auch Ergotherapie. Die Praxis für Ergotherapie und Körpertherapie Korbinian Kaiser in Karlsruhe ist auf psychisch funktionelle Ergotherapie spezialisiert. Praxisinhaber Korbinian Kaiser, Ergotherapeut und Heilpraktiker für Psychotherapie, erzählt uns im Interview mehr. Mit welchen Diagnosen kommen Patienten zu Ihnen? Essstörungen werden selten direkt diagnostiziert, sie tauchen meistens als Teil anderer Diagnosen auf: bei Angststörungen, Depressionen, Posttraumatischen Belastungssyndromen und Persönlichkeitsstörungen, besonders beim emotional instabilen Typ. Was sind typische Symptome? Zusätzlich zu den bekannten körperlichen Symptomen sind zum Beispiel Menschen mit Anorexie häufig sehr leistungsorientiert und kontrolliert bis zwanghaft. Generell gelingt es Menschen mit Essstörungen, ihr Umfeld im Unklaren über ihre Erkrankung zu lassen. Das Verhalten ist mitunter so schambehaftet, dass sie sich aus ihrem Freundeskreis zurückziehen. Wann bzw. wie kommt Ergotherapie bei der Behandlung zum Einsatz? In den Kliniken ist Ergotherapie Teil einer interdisziplinären therapeutischen Behandlung. Ambulant kann sie bei der Erarbeitung von Tagesstruktur und stabilem Umfeld unterstützen. Mit einem Psychotherapeuten kann der Ergotherapeut beim Umgang mit dem Suchtdruck und dem daraus resultierenden Stress zusammenarbeiten, etwa mittels regulierender Übungen. Als Ergotherapeuten sind wir es gewohnt, diese Übungen zusammen mit dem Patienten zu erarbeiten und zu wiederholen. So schaffen wir Erfahrungen in einem sicheren Umfeld. Außerdem können wir gut auf den Wahrnehmungskanal unserer Patienten eingehen: ob kreativ-gestalterisch, als körperlicher und musikalischer Ausdruck oder über eine andere Methodik. Im optimalen Fall arbeiten alle Therapeuten eng zusammen und ergänzen sich gegenseitig. Ich erlebe häufig, dass ein Patient die Erkenntnisse aus der Gesprächstherapie in der Ergotherapie in praktische Erfahrung umwandeln kann. Essstörungen liegt häufig ein Trauma zugrunde. Was bedeutet das für die ergotherapeutische Behandlung? Alle unsere bisherigen Patienten hatten ein Trauma in unterschiedlicher Form und Stärke in ihrer Geschichte. Es ist sehr wichtig, entsprechend vorbereitet zu sein – also ein therapeutisches Setting zu schaffen, in dem sich der Patient sicher fühlt, nicht bewertet wird und in einer stabilen Beziehung offene, klare Rückmeldungen aushält. Der Therapeut sollte keine Angst davor haben, dass sich Traumata zeigen können und Handwerkszeug für sich und den Patienten in petto haben, um damit umzugehen. Rückschläge sind Teil der Therapie. Wichtig ist es anzuerkennen, wenn eine stationäre Behandlung nötig ist. Welche Therapieform ist wann sinnvoll? Bevor ambulante Therapie zum Erfolg führen kann, ist oft zu Beginn – je nach Ausprägung der Erkrankung – eine stationäre Behandlung sinnvoll. Unsere Aufgabe kann es sein, Patienten darauf vorzubereiten und ihre Krankheitseinsicht zu erreichen. Nach (und auch vor) einem Klinikaufenthalt sind in der Ergotherapie alle Therapiemethoden sinnvoll, die eine positive Körperwahrnehmung und das Selbstbewusstsein fördern und dem Patienten ermöglichen, sich selbst zu regulieren und den wahrgenommenen Stress niedrig zu halten. Auf dieser Basis können auch alte Erfahrungen besser verarbeitet werden. Ich nenne keine speziellen Therapieformen, da jeder Patient eigene Wahrnehmungskanäle besitzt, auf denen er besonders ansprechbar ist. Als hilfreich erweisen sich Selbsthilfegruppen. Allerdings kann hier die Gefahr bestehen, dass sich Betroffene gegenseitig in ihrer Struktur bestärken. Wie setzen Sie Therapieziele? Wie motivieren Sie Patienten? Die Therapieziele gibt der Patient vor. Ich erarbeite mit ihm zusammen die notwendigen Zwischenschritte, um das Ziel zu erreichen. Wichtig ist, dass nachhaltige Veränderungen lange Zeit brauchen und es kein Datum gibt, bis wann es erreicht sein muss. Die Motivation kommt aus der authentischen therapeutischen Beziehung, in der der Patient auch mal hoffnungslos und niedergeschlagen sein darf. In dieser Zeit trage ich die Motivation, und der Patient kommt einfach weiter zur Therapie. Ich lege den Fokus dann auf kleine Veränderungen. Der Erfolg ist der Fortschritt, nicht die Zielerreichung. Gibt es besondere Herausforderungen? Essstörungen sind durch Komorbidität und die Tatsache, dass wir Menschen jeden Tag mit Essen konfrontiert werden, schwer zu behandeln. Die Chancen sind eher gering, jemanden erfolgreich bis zur Heilung zu begleiten. Wir brauchen als Therapeuten Frustresistenz und die Einsicht, dass wir nur Begleiter sind. Die Hauptarbeit liegt beim Patienten. Wie ist die Zusammenarbeit mit anderen Therapeuten? Leider oft unterentwickelt. Ich habe Kontakt zu einzelnen Therapeuten. Da es aber keine Unterstützung für interdisziplinäre Therapieprogramme gibt, etwa finanzieller Art, hängt die Zusammenarbeit vom Willen und der Zeit jedes einzelnen Therapeuten oder Arztes ab. Korbinian Kaiser |Praxisinhaber, Ergotherapeut und Heilpraktiker für Psychotherapie. Die Praxis für Ergotherapie und Körpertherapie in Karlsruhe ist auf psychisch funktionelle Ergotherapie spezialisiert Über welches Thema möchten Sie schreiben? Einfach per E-Mail an uns wenden an redaktion@up-aktuell.de!