Therapie als Chance!

Ein strammes T-Shirt und ein hervorguckender Bauch – dieses Kind wird angeschaut, und viele denken sich: “So ein dickes Kind.“ Übergewicht und Adipositas sind ernstzunehmende chronische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Aufgrund ihrer Häufigkeit und ihrer Prognose verschreiben Ärzte zunehmend Physiotherapie, damit die Kinder therapeutische Unterstützung erhalten. Der Body Mass Index (BMI: Körpergewicht geteilt durch die quadrierte Körpergröße) bestimmt als Indikator darüber, ob eine Person übergewichtig oder adipös ist. Übergewicht ist die Anfangsstufe und kann zu Adipositas führen, einem krankhaften Übergewicht. Beides entsteht beispielsweise aufgrund einer unausgewogenen Ernährung und nicht ausreichender Bewegung. Der Bewegungsmangel ist von größerer therapeutischer Bedeutung. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) ist etwa jedes siebte Kind in Deutschland betroffen. Ursachen sind unter anderem Computerspiele, LAN-Partys, Fernsehen sowie Tablets und Handys, die Eltern oft als Beschäftigung einsetzen. Diese Ursachen führen dazu, dass sich Kinder im Alltag weniger bewegen. Die fehlende aktive Rotation bewirkt, dass sich Motorik und Koordination schlechter entwickeln. Behandlungsmöglichkeiten Betroffene Kinder benötigen Einzeltherapie. Abhängig von der Einschränkungsschwere stellt der Arzt eine Verordnung für Physiotherapie mit einem Neuro- oder KG-Indikationsschlüssel aus. Bewegungsmangel ist „noch“ keine Diagnose, weil es keine Erkrankung ist. Provokant geschrieben, wäre es jedoch denkbar. Kindertherapeuten behandeln bei Übergewicht oder Adipositas zunächst orthopädische Folgen wie Gelenkschmerzen oder Haltungsschäden und neurologische Erscheinungen wie fehlende koordinative und motorische Fähigkeiten, die symptomatisch begründet sind. Das Ziel einer erfolgreichen Behandlung ist die ursächliche Therapie. Daher ist es besonders wichtig, die Eltern miteinzubeziehen, Probleme wahrzunehmen, offen zu kommunizieren und interdisziplinär zu arbeiten, etwa im Zusammenspiel von Ernährungsberatung, psychologischer Betreuung und ärztlicher Unterstützung. Ein in der Kindheit entwickeltes Übergewicht wird oft ein Leben lang beibehalten: Aus adipösen Kindern werden adipöse Erwachsene. Laut dem RKI besteht im Erwachsenenalter ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre, metabolische und bestimmte Krebserkrankungen. Stärken fördern Neben der Behandlung von Defiziten werden in der Therapie vorhandene Fähigkeiten gefördert und Neugierde spielerisch geweckt. Denn Kindern fällt es durch positive Bestätigung leichter, Lernerfolge zu erzielen. In diesem Zusammenhang stellt die Therapie die Chance dar, fachliche Unterstützung zu erhalten und mit Veränderungen zu starten. Die Konsequenz und das Durchhaltevermögen der Kinder und ihrer Eltern bestimmen am Ende den Erfolg. Es ist wichtig, über eine ausgewogene Ernährung und Aktivitätsmöglichkeiten zu informieren. Das könnte zum Beispiel bereits während der Schwangerschaft geschehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Heranwachsenden mindestens 60 Minuten aktive Bewegungszeit pro Tag. Nur 22,4 Prozent der Mädchen und 29,4 Prozent der Jungen schaffen das – mit sinkender Tendenz. Bewegung kostet kein Geld: Einfach im Alltag die Treppe benutzen, kurze Strecken zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren. Dabei sollten Eltern als Vorbild fungieren. Wir Therapeuten können viel bewirken und Richtungen aufzeigen. Um den verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Körper müssen sich aber die Eltern und ihre Kinder selbst kümmern. Tipp: Kinder entwickeln schnell Strategien, wie sie Bewegungen vermeiden, die ihnen schwerfallen. Eltern fällt das zunächst nicht unbedingt auf. Als Physiotherapeut gebe ich Eltern den Tipp, ihr Kind genau zu beobachten. Sie müssen nicht Experten sein, um Defizite zu erkennen. Sie können beim Zugucken zum Beispiel darauf achten, wie das Kind klettert oder hüpft, ob es Bauklötze aufeinanderstapelt, ob es einen Ball fangen kann, ob es die Bewegungen mit beiden Seiten durchführt oder nur eine Seite benutzt. Meidet das Kind Spielgeräte? Und vor allem: Hat es Freude an dem, was es tut? Falls Eltern Auffälligkeiten entdecken, sollten sie diese unbedingt mit dem Kinderarzt besprechen. Tim Wenske | Physiotherapeut und therapeutische Leitung in der Sport-REHA-Kiel GmbH Über welches Thema möchten Sie schreiben? Einfach per E-Mail an uns wenden an redaktion@up-aktuell.de!