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Deine Meinung zu Videotherapie

Interview mit Thomas Pielmeier
Thomas Pielmeier arbeitet schon seit Langem per Videotherapie und kann die Vorbehalte nur teilweise nachvollziehen. Über seine Erfahrungen erzählt er im Interview.
Deine Meinung zu Videotherapie
© Anna Seibel

Die ambulante Versorgungssituation bleibt angespannt: Kolleg:innen fehlen, Patient:innen warten auf ihren Behandlungsbeginn. Gibt es Patientinnen und Patienten, die Du ohne telemedizinische Leistungen (TML) nicht langfristig hättest versorgen können?

Ich habe 2019, also schon vor dem Beginn der Corona-Pandemie, angefangen, einzelne Patienten per Videotherapie zu behandeln. Damals lief das noch auf Basis von Privatverordnungen. Da ich als einer der wenigen Physiotherapeuten Deutschlands, der für die Behandlung von Scapula-Alata-Patienten eine Zusatzqualifikation hat und die Patient:innen deutschlandweit verteilt wohnen, hätte ich sie ohne Videotherapie nicht versorgen können.

Können TML dabei helfen, Wartezeiten zu verkürzen und regionale Versorgungslücken abzumildern?

Wartezeiten werden nicht verkürzt. Aber im Alltag haben wir generell wenig Chancen, die Wartezeiten zu verkürzen. Regionale Versorgungslücken bezüglich spezialisierter Therapie können jedoch abgemildert werden.

Die Präsenztherapie gilt laut Heilmittel-Richtlinie als derzeit etablierter fachlicher Standard. Deshalb ist die Anzahl der Einheiten je vorrangigem Heilmittel begrenzt, die telemedizinisch erbracht werden dürfen. Kannst Du die Auflagen nachvollziehen?

Jein. Aus meiner Sicht ist es erstmal eine bürokratische, unbegründete Idee. Es scheint einen Vorbehalt gegenüber der Videotherapie zu geben. Das kommt ja noch aus der Zeit vor der Corona-Pandemie, als die allgemeine Meinung galt, Videotherapie sei ausnahmslos verwerflich. Ich fände es sinnvoll, wenn der Therapeut selbst entscheiden dürfte, wie viele Einheiten er virtuell erbringt. Warum wird uns die Verantwortung entzogen? Ich habe doch die fachliche Qualifikation, um das zu entscheiden. Für mich macht das keinen Sinn.

Ärzt:innen dürfen TML bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ausschließen. Kennst Du Patientinnen und Patienten, die davon betroffen waren?

Nein.

Was spricht aus Deiner Sicht bei Kleinkindern dafür bzw. dagegen?

Dafür spricht der organisatorische Aufwand, der mit Videotherapie gemildert wird. Außerdem ist das eigene Umfeld für Kinder im Gegensatz zum Therapieraum-Setting vertrauter. Das kann aber auch fallabhängig die Compliance verschlechtern. Ein genereller Vorteil ist die Tatsache, dass ich im Home-Setting überprüfen kann, wie die Übungen umgesetzt werden.

Auch Gruppenbehandlungen mit zwei bis fünf Patient:innen sind per Video erlaubt. Hast Du Erfahrung damit?

Ich habe zwar mittelfristig geplant, das umzusetzen, habe aber bis dato keine Erfahrungen damit sammeln können. Vor allem meine Schroth-Patienten dürften davon profitieren – nicht zuletzt durch die Gruppendynamik, die gerade die Compliance jugendlicher Patienten erfahrungsgemäß erhöht. Inwieweit dieser Effekt auch digital zustande kommen kann, wenn der direkte Austausch fehlt, kann ich nicht sagen. Vorteil ist aber, dass sich digital viel leichter Gruppen zusammenstellen lassen.

Seit 2020 sind in der Physiotherapie nun schon TML als Ergänzung der Präsenztherapie möglich.

Wie hast Du seitdem Deine Maßnahmen an das digitale Therapiesetting angepasst?

Hier musste ich nicht viel anpassen. Hausaufgaben waren vorher schon Bestandteil, die Suche nach geeignetem Equipment zu Hause auch. Nur das Angebot der Überprüfung „vor Ort“ hat sich geändert.

Welche therapeutischen Erfolge konntest Du bei TML bereits erzielen?

Ich habe bereits mehrere Skapula-Alata-Patient:innen so bis zum erfolgreichen Ende betreut. Besonders in Erinnerung ist mir eine Patientin geblieben, die sieben Jahre Hilfe suchte. Nach ca. einem Jahr (hier sind elf Monate bei Skapula-Alata Durchschnitt) war sie wieder fit. Das war ein bewegender Moment. Ohne die Videotherapie wäre das an der Entfernung gescheitert (ca. 400km Entfernung).

Zur Vermeidung eines Beschäftigungsverbots dürfen schwangere Logopädinnen bereits laufende Therapien in der eigenen Häuslichkeit fortführen. In der Ergotherapie gibt es andere Ausnahmefälle, die TML außerhalb der Praxisräume erlauben, z. B. bei häuslicher Quarantäne der Therapeutin oder des Therapeuten. Welche Regelung wäre in der Physiotherapie sinnvoll?

Ich finde diese Regelung sogar schon sinnvoll, wenn der Therapeut erkältet, also nicht zwingend an Covid erkrankt ist. Das kann aber nur funktionieren, wenn der Patient schon angeleitet wurde.

Die Bestätigung der TML durch Patient:innen kann in digitaler Form, per Fax oder nachträglich beim nächsten Präsenztermin erfolgen. Welche Bestätigungsform ist in Deiner Praxis Standard?

Da ich meinen Patienten vertraue, hole ich die Unterschrift fast immer in Präsenz nach.

2022 bis 2024 sollte es für die Anschaffung von Hard- und Software eine jährliche Pauschale geben. Weder die konkrete Umsetzung noch die Höhe der Erstattung sind bislang geklärt. Was musstest Du neu anschaffen?

Ich musste mir eine neue Kamera und ein neues Headset anschaffen. In der Praxis benötige ich ein Bluetooth-Headset, um mich im Raum frei bewegen und etwas zeigen zu können. Früher habe ich mit einer Software gearbeitet, die für Ärzte zugelassen war. Also musste ich eine für die Physiotherapie extra zertifizierte Software für Therapeuten anschaffen, obwohl der Datenschutz der Gleiche ist. Aus meiner Sicht eine reine Geldschneiderei. Interessant finde ich, dass mein Verband im Mai 2022 angekündigt hat, in den darauffolgenden Wochen über die Beantragung der Pauschale aufzuklären. Das ist bis heute nicht passiert.

Wie hoch müsste die Pauschale sein, um Deine Anschaffungskosten zu decken?

Die Kamera hat damals 160 Euro gekostet. Das ist das Einzige, was ich beziffern kann. Ich glaube, die Anschaffung an sich ist etwas sehr Individuelles. Bei dem einen reicht der etwas ältere Laptop noch, der es gerade noch so schafft. Beim anderen reicht der nicht mehr, und etwas Neues muss her.

Angenommen, die nächsten Verhandlungen für TML stünden bevor. Was wünschst Du Dir für die physiotherapeutische Versorgung?

Ich würde mich gerne von den Einschränkungen verabschieden. Das betrifft unter anderem die Tatsache, dass der Patient beim ersten Termin vorstellig sein muss. Bei mehreren Verordnungen macht das für mich keinen Sinn. So viel Eigenverantwortung muss uns zugestanden werden. Sonst kann uns auch gleich ein Arzt daneben gestellt werden, der alles kontrolliert. Am Herzen liegt mir vor allem, dass wir eine vergütete Konsil-Lösung wie die Ärzteschaft per Videotherapie erbringen dürfen. In bestimmten Abständen schaltet sich bei Bedarf ein spezialisierter Experte dazu. Dabei geht es mir um die Patienten. Durch das Dazuschalten von Experten profitiert vor allem der Patient, der so besser versorgt werden kann – aber auch der Therapeut, der seinen Horizont erweitert.

Thomas Pielmeier | Physiotherapeut, Nürnberg

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