Trojanisches Pferd der GKV


Wer hätte gedacht, dass der GKV-Spitzenverband die Situation der Heilmittelversorgung in Deutschland so wohlwollend beschreibt: „Die Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Heilmitteln [hat] einen nicht zu unterschätzenden und immer größeren Stellenwert.“ Das ist Balsam auf der Seele der immer noch zu schlecht bezahlten Therapeuten.
Dann soll auch noch die Ausbildung aufgewertet werden. Schluss mit unterschiedlichen Inhalten und Schwerpunkten. Schluss mit Ausbildungen, „die aktuell nicht alle Qualifikationen vermittelt, um das gesamte physiotherapeutische Leistungsspektrum der GKV erbringen zu können.“ Stattdessen sollen Lymphdrainage und Manuelle Therapie ein fester Teil der Ausbildung werden. Sogar eine gesetzlich normierte Spezialisierung der Therapeuten wäre nach Ansicht des GKV-Spitzenverbands möglich. Solche Forderungen dürften bei den meisten Therapeuten großen Beifall finden.
Das Positionspapier des GKV-Spitzenverbands sieht auf den ersten Blick wirklich gut aus. Beim Überfliegen entsteht der Eindruck, der Verband hätte richtig Ahnung von Heilmittelerbringern, sorgte sich um die langfristige Versorgung der Patienten mit Heilmitteln und engagierte sich für weniger Kosten bei der Aus- und Weiterbildung.
Worum es wirklich geht
Auf den zweiten Blick wird deutlich, worum es hier eigentlich geht. Dringend sei „die langfristige Finanzierbarkeit durch die Versichertengemeinschaft in den Blick zu nehmen“, heißt schon in der Einleitung. Um dann gleich das finanzielle Desaster an die Wand zu malen: „Überdurchschnittlicher Ausgabenanstieg,“ „zu teure Zertifikatsleistungen,“ „Anstieg der Verordnungsmenge“ und „erheblicher zusätzlicher Ausgabenanstieg“ führen, so die GKV, zwangsläufig zu höheren Krankenkassenbeiträgen.
Was hier elegant unter den Teppich gekehrt wird, ist die Tatsache, dass der vermeintlich überdurchschnittliche Ausgabenanstieg bei den Heilmittelausgaben ganz maßgeblich medizinisch begründet ist. Therapeuten können schwerlich etwas dafür, dass bei Versicherten mehr medizinische Indikationen für Heilmittelbehandlungen vorliegen.
Außerdem sind nicht Zertifikatsleistungen der Physiotherapeuten teuer, sondern alle anderen Heilmittelleistungen sind skandalös billig – ein Ergebnis der Heilmittel-Preisdumping-Strategie der GKV. Der im Positionspapier beschworene zusätzliche Ausgabenanstieg durch die Einführung von Preisuntergrenzen wird nach Ansicht des BMG gerade mal 90 Million Euro ausmachen, das entspricht einem Anteil an den Einnahmen der GKV von 0,04 Prozent! Und was die höheren Krankenkassenbeiträge angeht: Selbst eine Erhöhung der Heilmittelvergütung um 10 Prozent würde bei den Ausgaben der Krankenkassen nur mit 0,2 Prozent zu Buche schlagen. Unerwähnt bleiben die kompensatorischen Einsparungen durch Heilmittel in anderen Leistungsbereichen. Warnungen vor drohenden Beitragserhöhungen sind deshalb in keiner Weise angebracht.
Kosten wegschieben und drohen
Berechtigt erscheint die Kritik der GKV an der Ausbildungsqualität einiger Therapeuten. Die Idee, physiotherapeutische Zertifikatsausbildung in die Fachausbildung zu integrieren, ist klasse. Doch auch hier wird die Strategie der GKV nur allzu deutlich: Die Ausbildung ist Ländersache, die Finanzierung der Ausbildung also nicht das Problem der GKV. Gibt es nun keine Zertifikatspositionen mehr, können die Kassen endlich den Honoraraufschlag bei der Manuellen Therapie streichen. Sie würden die Kosten für MT auf diese Weise aus ihrem Zuständigkeitsbereich hinaus hin zu Ländern, Schulen und Schülern verschieben.
Doch was, wenn all das nichts hilft und der Gesetzgeber doch die Grundlohnsummenanbindung kippt und die Blankoverordnung einführt? Dann kommt die Drohgebärde: Evidenz nachweisen! Der Vorschlag, den Heilmittel-Katalog durch das IQWIG wissenschaftlich untersuchen zu lassen, ist nichts anderes als eine Drohung.
Der GKV-Spitzenverband weiß, dass es wenige bis keine entsprechend qualifizierte Studien gibt, die die Evidenz der Heilmitteltherapie so nachweisen, wie das für einige andere Leistungsbereiche vom G-BA vorgeschrieben ist. Als der G-BA den Heilmittel-Katalog 2001 einführte, planten GKV und Ärzte zunächst Studien. Doch statt Studien durchzuführen, sparten alle Beteiligten lieber Geld. Die von der GKV gezahlten Honorare sind so schlecht, dass die Heilmittelbranch selbst keinen Etat hat, um entsprechende Studien durchzuführen. Wer jetzt die Heilmittel-Richtlinie mit dem Argument der fehlenden Evidenz torpediert, der riskiert das, was er zu schützen vorgibt: Die Versorgung seiner Versicherten mit Heilmitteln.
Abwarten als Handlungsstrategie
Einerseits erkennt der GKV-Spitzenverband also Handlungsbedarf. Andererseits schiebt der Verband Reformen auf die lange Bank. Man möge, so das Positionspapier, doch erstmal abwarten: Auswirkung der Preisuntergrenze – abwarten und Grundlohnrate als Richtwert beibehalten. Modellversuche zu Blankoverordnungen – abwarten und keine „gesetzgeberischen Maßnahmen“ ergreifen. In Sachen Direktzugang fehle der berufsrechtliche Rahmen, also – abwarten und erst einmal diskutieren.
Alle Beteiligten müssen dieses Positionspapier ganz genau unter die Lupe nehmen. Einem Politiker etwa, der nicht mit der Materie vertraut ist, muss das Schreiben wie eine freundliche Geste vorkommen. Doch hinter dem schönen Schein verstecken sich harte wirtschaftliche Interessen – kalkuliert ohne Rücksicht auf Versicherte und Therapeuten.
Man muss schon in der Tat “ziemlich meschugge” sein, wenn… Weiterlesen »
Sehr geehrter Autor, bezüglich folgender Aussage: “Außerdem sind nicht Zertifikatsleistungen… Weiterlesen »
Das ist schon klar, von allen Zertifikatsleistungen werden nur MT… Weiterlesen »