G-BA verhindert Digitalisierung im Gesundheitswesen

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur digitalen Modernisierung von Vorsorge und Pflege (DVPMG vom 9. Juni 2021) einen Anspruch auf telemedizinische Leistungen eingeführt. Dies aufgreifend hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 21. Oktober 2021 Änderungen der Heilmittel-RL beschlossen, mit denen künftig Heilmittelleistungen auch per Video erbracht werden können. Ein echter Fortschritt, sollte man meinen. Aber weit gefehlt. Mit den Änderungen verhindert der G-BA vielmehr genau das, was die Politik mit dem DVPMG erreichen wollte. §11 Abs. 1 HeilM-RL beschränkt den Leistungsort für die Erbringung von Heilmitteln auf die Praxis der Therapeuten und die häusliche Umgebung der Patienten als Hausbesuch. Mit einem neuen Abs. 3 können nun Heilmittelleistungen auch als „telemedizinische Leistung in Echtzeit“ erbracht werden. Gut so, könnte man meinen. Jedoch definiert der ebenfalls neu eingefügte §16b Abs. 1 HeilM-RL, was künftig als „telemedizinische Leistung“ gilt. Danach ist eine telemedizinische Leistung im Sinne der Richtlinie eine „synchrone Kommunikation zwischen einer Heilmittelerbringerin oder einem Heilmittelerbringer und einer Patientin oder einem Patienten, vorrangig im Wege einer Onlinebehandlung per Videoübertragung in Echtzeit.“ Weiter heißt es, dass insbesondere aufgezeichnete Videofilme oder digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) keine Behandlung im Sinne dieser Richtlinie sind. Das bedeutet: Der G-BA reduziert telemedizinische Leistungen auf die Art und Weise der Kommunikation (Videotelefonat) zwischen Patienten und Therapeuten. Er stellt fest, dass keine neuen Leistungen, wie sie telemedizinische Behandlungen vielfach darstellen, geschaffen werden. Vielmehr gehe es nur darum, den Leistungsort ergänzend zu den bestehenden Regelungen (Praxis, Hausbesuch) festzulegen. Damit schrumpft indes der propagierte große Fortschritt im Heilmittelbereich auf Erbsengröße. Doch damit nicht genug der Beschränkungen Mit dem neuen § 16b Abs. 3 S. 3 HeilM-RL verlangt der G-BA ferner, dass die erste Behandlung im unmittelbaren persönlichen Kontakt erfolgen muss. Das mag vielleicht noch nachvollziehbar sein, weil eine fachgerechte Befundung und ein individueller Therapieplan eine ganzheitliche Erfassung des Gesundheitszustands der Patienten erfordern. Dass dann aber im Folgesatz außerdem verlangt wird, dass im Rahmen der Behandlung regelmäßige Verlaufskontrollen ebenfalls im unmittelbaren persönlichen Kontakt erfolgen müssen, führt eine telemedizinische Behandlung geradezu ad absurdum. Diese ist danach nämlich nicht durchgängig möglich, sondern stellt sich immer als eine kombinierte Behandlung in der Praxis und per Videoanruf dar. Auch wird den Patienten der weitere Vorteil einer telemedizinische Heilmittelleistung vom G-BA vorenthalten. Für viele ist es häufig schwierig, die Behandlung mit dem (Arbeits-)Alltag zu vereinbaren, da die An- und Rückfahrt, Zeiten im Wartezimmer und die eigentliche Behandlung viel Zeit in Anspruch nehmen. Bei einer telemedizinischen Behandlung, die auch zeitversetzt erfolgen könnte, und bei der die Patientensicherheit, ebenso wie die notwendige Supervision, durch die Therapeuten, gewährleistet ist, könnten Patienten frei wählen, wann sie die notwendigen Übungen durchführen. Zahlreiche Studien belegen, dass Patienten die Behandlung so deutlich häufiger bis zum Ende durchführen. Und was macht der G-BA? Durch eine völlig neue Interpretation des Begriffes „persönlich“ in § 2 Abs. 1 HeilM-RL verlangt der G-BA eine unmittelbare Kommunikation „in Echtzeit“ zwischen Patienten und Therapeuten. Damit schließt er nicht nur aus, dass Patienten die Behandlung flexibel und entsprechend ihrer zeitlichen Verfügbarkeit durchführen können, sondern beschränkt sie auch noch weiter in der Weise, dass die Therapeuten auch tatsächlich zeitlich verfügbar sein müssen. Urlaubs- und Krankheitsabwesenheiten oder Behandlungen außerhalb der üblichen Praxiszeiten minimieren das Zeitfenster für diejenigen, um die es doch eigentlich geht, nämlich die Patienten. Der G-BA ist offenbar nicht in der heutigen Zeit angekommen Der Umgang des G-BA mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Wirksamkeit von telemedizinischen Heilbehandlungen lässt tief blicken. Zum einen bestreitet er, dass es ausreichende Erkenntnisse zur Gleichwertigkeit von telemedizinischen und Präsenzleistungen gebe, obwohl insbesondere der Deutsche Bundesverband für Logopädie eine längere Liste von ebensolchen Studien mit seiner Stellungnahme vorgelegt hatte. Außerdem ignoriert der G-BA, dass die Rentenversicherungsträger im Bereich Reha-Nachsorge telemedizinische Behandlungen (insbesondere im Bereich der Physiotherapie) schon seit langem einsetzen, nachdem entsprechende Wirksamkeits- und auch Wirtschaftlichkeitsstudien deren medizinische Gleichwertigkeit bzw. deren positive weitere Effekte eindeutig nachgewiesen haben. Und wie geht es jetzt weiter? Bleibt also zu hoffen, dass das Bundesgesundheitsministerium in der nun anstehenden Prüfung dem Beschluss des G-BA seine Gefolgschaft verweigert und den Willen des Gesetzgebers durchsetzt, Patienten mit telemedizinischen Behandlungen neue Formen der Heilbehandlung zu ermöglichen, die die Bezeichnung auch verdienen. So jedenfalls wird die Erbringung von Heilmittelleistungen in Deutschland nicht digitaler und fortschrittlicher. Außerdem interessant: Umfrage: Nur jedes dritte Unternehmen nutzt soziale Medien G-BA erweitert Möglichkeiten zur telefonischen Krankschreibung