GKV-FinStG: Fünf verpasste Chancen, die zeigen, wo jetzt dringend Handlungsbedarf besteht

Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist am Donnerstag (20.10.2022) im Bundestag verabschiedet worden und betrifft Heilmittelpraxen zweifach. Zum einen wurde der ursprünglich im Gesetz vorgesehene späteste Abschlusstermin zur vertraglichen Umsetzung der Blankoverordnung (30. September 2021) ersatzlos gestrichen. Zum anderen wurden die Regeln zur Einleitung eines Schiedsverfahrens beim Thema Blankoverordnung so geändert, dass ein Schiedsverfahren nur dann angerufen werden kann, wenn sich dazu alle maßgeblichen Heilmittelverbände einig sind. Beide Punkte dokumentieren verpasste Chancen: Der Wegfall eines Enddatums zum Vertragsabschluss über die Blankoverordnung nimmt den Druck zur Einigung aus dem System. Damit dürfte der Abschluss über die Blankoverordnung vermutlich deutlich länger auf sich warten lassen (verpasste Chance Nr. 1). Vielleicht lässt damit sogar das Thema ganz aussitzen, denn der GKV-Spitzenverband hätte gern die Pflicht zum Abschluss über solche Verträge ganz gestrichen. Ohne verbindliches Enddatum klappt das vielleicht sogar. Verbände müssen gemeinsam Schiedsstelle anrufen Die Änderung der Schiedsverfahrensregel ist eine zwangsläufige Folge aus dem Wegfall des Abschlusstermins. Ursprünglich war im Gesetz vorgesehen, dass das Schiedsgericht innerhalb von drei Monaten nach dem Nichtzustandekommen eines Vertrages automatisch eine eigene Regelung über die Umsetzung der Blankoverordnung hätte verabschieden müssen. Darum hat sich aber leider niemand gekümmert, also ist auch diese letzte von Jens Spahn im TSVG geschaffene Regelung und Chance ungenutzt geblieben (verpasste Chance Nr. 2). Und jetzt sind die Voraussetzungen zur Anrufung der Schiedsstelle so geändert worden, dass nicht ein einzelner Verband (Vertragspartner), sondern nur eine gesamte Vertragspartei, also nur die maßgeblichen Heilmittelverbände als Vertragspartei der Leistungserbringer, gemeinsam die Schiedsstelle anrufen können. Die nächste verpasste Chance (Nr. 3) ist die Stellungnahme des sogenannten „Spitzenverbands der Heilmittelverbände e.V.“ (SHV) zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Die verzichtet nämlich auf eine Kommentierung der Streichung der Abschlussfrist und der Neuregelung der Schiedsklausel. Fast wirkt es so, als gäbe es die Blankoverordnung schon: „Mit dem TSVG wurde die Implementierung der Blankoverordnung im Heilmittelbereich als ein neues Delegationskonzept in die Regelversorgung initiiert“. Jetzt, so der SHV, „sollten nun mögliche Potenziale für Synergieeffekte in den Blick genommen werden, die ohne Abstriche der Behandlungsqualität die Versorgung mit Heilmitteln sichern und eine zügige Versorgung sicherstellen.“ Weiterhin fordert der SHV, „Modellprojekte zum Direktzugang für therapeutische Berufe auf den Weg“ zu bringen. Wenn der SHV die Blankoverordnung gar nicht umsetzen will, hätte man darüber sicherlich Einvernehmen mit dem GKV-Spitzenverband herstellen können und mit einer gemeinsamen Stellungnahme gegenüber dem Gesetzgeber eine entsprechende Änderung durchsetzen können. Uneinigkeit erschwert politische Einflussnahme Im Internet wird aktuell unter dem Hashtag #druckaufGKV auf den GKV-Spitzenverband geschimpft: Man müsse endlich „ernst genommen werden“, „auf Augenhöhe“ verhandeln und der GKV-Spitzenverband würde die Blankoverordnung „abwiegeln“. Und man möge doch bitte die „Verbände unterstützen“, heißt es auf der Internetseite der Aktion, die sich gerade auch durch Bezug auf die Stellungnahme zum GKV-Finanzierungsgesetz speist. Gut, dass Kolleginnen und Kollegen aktiv werden! Allerdings ist es erstaunlich, dass diese Aktion und ihre Argumente so gar nicht zur Stellungnahme des SHV passen. Die inhaltlichen Gräben innerhalb der Heilmittelbranche sind tief, gemeinsame Ziele, gemeinsame Strategien, diese Ziele umzusetzen sucht man vergebens. Und die Anhörung zum jetzt beschlossen GKV-Finanzierungsgesetz macht das den Politiker:innen, jeder Krankenkasse und auch jeder Praxisinhaberin und jedem Praxisinhaber schmerzlich deutlich. Und noch mehr verpasste Chancen: Eine einheitliche, gemeinsame Zusammenfassung der Forderung der Heilmittelbranche – und da wäre es fast schon egal, ob mit oder ohne Blankoverordnung, ob Modellvorhaben zum Direktzugang oder nicht – wäre eine Chance gewesen, dass die Politiker:innen im Gesundheitsausschuss und im Gesundheitsministerium auch diese Forderungen bei der Formulierung des Gesetzes berücksichtigt hätten (verpasste Chance Nr. 4). Stattdessen wird Uneinigkeit auf alle Ebenen offensichtlich, auf eine gemeinsame Strategie dürfen Praxisinhaberinnen und -inhaber wohl noch länger warten. Engagement der Heilmittelerbringer:innen sollte lösungsorientiert sein Die Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, sich politisch zu engagieren, hätte man besser für eine gemeinsame Zielsetzung aktiviert. Für eine Heilmittelbranche, die sich selbst gut und engagiert organisiert, die ihre Zukunft (und die ihrer Patientinnen und Patienten) auch während schwieriger Zeiten eigenverantwortlich gestaltet (verpasste Chance Nr. 5). Druck auf die GKV bzw. den GKV-Spitzenverband sorgt nicht dafür, dass Verbände mit abgestimmten Zielen in Verhandlungen gehen. Druck auf die GKV hilft auch nicht dabei, den Direktzugang zu bekommen. Und Druck auf die GKV und die damit verbunden Unmutsäußerungen geben kein schönes Bild ab, wenn es darum geht, junge Menschen für die Heilmittelbranche zu begeistern. Fachkräfte gewinnt man durch ein positives Zukunftsbild, nicht durch die Dokumentation der eigenen Hilflosigkeit. Lasst uns diskutieren Wie steht Ihr zu den Forderungen des GKV-Spitzenverbandes? Was sagt Ihr zu den Änderungen im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und welche Erwartungen habt Ihr nun an die Verbände? Das würden wir gerne mit Euch diskutieren. Am Mittwoch, den 26. Oktober 2022 um 20 Uhr, findet wie jede Woche unser up-stammtisch statt. Ich werde da sein und freue mich auf kontroverse, aber ebenso lösungsorientierte Gespräche mit Euch. Herzliche Grüße Euer Ralf Buchner Mehr zu dem Thema: Bundestag beschließt GKV-Finanzstabilisierungsgesetz Stellungnahme: GKV will effektivere Vertretung der Heilmittelpraxen Neue Verhandlungsstrukturen: Lieber eigene Vorschläge entwickeln Lösungsmöglichkeiten zur besseren Vertretung der Heilmittelerbringer