Insolvenz: Gesetzliche Änderungen in der Coronakrise

Durch die Coronakrise gelangen viele Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage – auch Therapiepraxen. Sei es, weil Selbstzahlerleistungen derzeit nicht angeboten werden dürfen, oder weil Patienten aufgrund der möglichen Ansteckungsgefahr nicht in die Praxen kommen dürfen oder wollen. Bei manchen Praxisinhabern schwebt sogar schon der Begriff „Insolvenz“ im Hinterkopf. Corona-bedingt gab es dazu nun gesetzliche Änderungen. Steuerberaterin Anette Hoffmann-Poeppel klärt auf, was Praxisinhaber darüber wissen müssen. Frau Hoffmann-Poeppel, die wichtigste Frage gleich vorneweg: Was hat sich beim Thema Insolvenz geändert? HOFFMANN-POEPPEL: An den Gründen für das vorliegenden eines Insolvenzgrundes hat sich nichts geändert – das sind nach wie vor Zahlungsunfähigkeit und bei Kapitalgesellschaften Überschuldung. Die gesetzlichen Änderungen anlässlich der Coronakrise beziehen sich auf die Antragspflicht bei Kapitalgesellschaften und die Antragsmöglichkeit von Gläubigern. Für Freiberufler, die als Einzelunternehmen oder Personengesellschaft tätig sind, gibt es keine Verpflichtung einen Insolvenzantrag zu stellen. Ein Insolvenzverfahren und damit die Antragstellung kann aber durchaus sinnvoll sein und sollte in Erwägung gezogen werden, um eine Restschuldbefreiung zu erreichen. Hier sollte immer ein Rechtsanwalt zu Rate gezogen werden. Sie sprachen von Änderungen bei Antragspflicht und Antragsmöglichkeit. Welche sind das? HOFFMANN-POEPPEL: Durch die Coronakrise haben sich folgende Vorschriften geändert: Erstens wird die Antragspflicht für Geschäftsführer bzw. Vorstände einer Kapitalgesellschaft bis zum 31. Dezember 2020 bei Kenntnis des Antragsgrunds ausgesetzt. Damit gibt es keine haftungs- und strafrechtlichen Konsequenzen. Freiberufler sind hiervon nicht betroffen – außer in der Rechtsform der als Kapitalgesellschaft geführten Praxen. Zweitens wird die Antragsmöglichkeit von Gläubigern (Lieferanten, Vermietern, Mitarbeitern) für drei Monate ausgesetzt. Was bedeutet das konkret? HOFFMANN-POEPPEL: Um die Änderungen zu verstehen, muss ich erst einmal ein wenig ausholen und die Grundzüge des Insolvenzrecht erklären. Die wichtigste Frage für den Praxisinhaber ist dabei, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt. Hierbei kommt es darauf an, in welcher Rechtsform die therapeutische Praxis betrieben wird. In der Regel erfolgt das als natürliche Person oder als Personengesellschaft (GbR oder BGB Gesellschaft). Der Antragsgrund bezieht sich dann auf die natürliche Person selbst oder bei der Personengesellschaft auf alle natürlichen Personen, da alle gesamtschuldnerisch haften. Antragsgründe sind Überschuldung bei Kapitalgesellschaften und Zahlungsunfähigkeit der Person bzw. der Personen mit ihrem gesamten Vermögen bzw. mit ihrer gesamten Liquidität. Bei einer Kapitalgesellschaft, z. B. einer GmbH, bezieht sich der Antragsgrund nur auf das Vermögen und die Liquidität der Kapitalgesellschaft – es sei denn, es gibt Bürgschaften der Gesellschafter. Was versteht man unter Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung? HOFFMANN-POEPPEL: Ein Therapeut ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die sofortigen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Die Betonung liegt dabei auf fälligen Forderungen. Werden also z. B. Stundungen mit Gläubigern oder Teilzahlungen vereinbart, sind die Forderungen nicht sofort fällig Eine Zahlungsunfähigkeit kann demnach nur vorliegen, wenn keine anderen Mittel wie Stundung, Teilzahlung, Kredite und Kontoüberziehungen ausgeschöpft werden können. Hierzu muss der Therapeut ggf. seiner sogenannten Sanierungsaufgabe nachkommen, das heißt, bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit aktiv durch Liquiditätsplanung alle Mittel und Möglichkeiten ausschöpfen. Eine Überschuldung liegt demnach vor, wenn bei gedachtem Verkauf aller vorhandener Vermögenswerte die Schulden nicht getilgt werden können und es keine positive Fortführungsprognose gibt. Wer kann eine Insolvenz beantragen? HOFFMANN-POEPPEL: Soweit also ein Eröffnungsgrund vorliegt, kann ein Insolvenzantrag durch den Praxisinhaber gestellt werden. Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages innerhalb von drei Wochen nach Kenntnis des Antragsgrundes gibt es nur bei Unternehmen, bei denen die Haftung eingeschränkt ist (GmbH, GmbH & Co KG). Hier kommt es zu haftungs- und strafrechtlichen Konsequenzen beim Geschäftsführer, sofern er dieser Verpflichtung nicht nachkommt. Den Eröffnungsantrag können im Übrigen neben dem Therapeuten auch die Gläubiger, d. h. Lieferanten, Mitarbeiter, Vermieter, stellen, sofern sie die Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung glaubhaft machen können. Hierzu muss i. d. R. ein erfolgloses Mahnverfahren geführt und die ebenfalls erfolglose Zwangsvollstreckung betrieben werden. Was passiert, nachdem der Insolvenzantrag gestellt wurde? Hat sich etwas am Ablauf des Insolvenzverfahrens geändert? HOFFMANN-POEPPEL: Nein, am Ablauf hat sich nichts geändert. Das Gericht prüft den Insolvenzgrund nach Antragstellung und eröffnet bei Vorlage der Gründe das Insolvenzverfahren. Im weiteren Verlauf erfolgen dann die Feststellung der Vermögenswerte und Schulden, ein Verteilungsplan und Beendigung durch Verteilung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens. Natürliche Personen können durch das Gericht das Restschuldbefreiungsverfahren beantragen. Durch dieses Verfahren wäre der Praxisinhaber nach einer Wohlverhaltensphase von drei Jahren schuldenfrei. Für Kapitalgesellschaften gibt es das Verfahren nicht. Wichtig: Wir können Ihnen hier nur einen allgemeinen Überblick zu den aktuellen rechtlichen Regelungen geben. Sollte das Thema Insolvenz bei Ihrer Praxis im Raum stehen, wenden Sie sich für eine individuelle Beratung immer an einen Rechtsanwalt. Außerdem interessant: Steuern: Anpassen, Stunden, Aussetzen Referentenentwurf zum Corona-Rettungsschirm Gut zu wissen... - Kennen Sie schon diese Corona-Hilfsmaßnahmen?