Von der Schockstarre in die Handlung

Wenn Uwe Harstes Notfallhandy klingelt, weiß er, dass jemand in Hamburg dringend seine Unterstützung benötigt. Der Physiotherapeut mit eigener Privatpraxis ist seit zehn Jahren ehrenamtlich im Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes tätig und leistet insbesondere bei plötzlichen Todesfällen „Erste Hilfe für die Seele“ bei Hinterbliebenen. Um mittelfristig aus so einer Krise wieder herauszufinden ist es wichtig, in die Handlung zu kommen – ein Aspekt, der uns auch bei der Bewältigung anderer Krisen, etwa der Coronakrise, hilft. „Wenn ein Mensch in die Handlung kommt, dann bewegt er sich in die Realität zurück, kann Lösungen finden und sich eine Interventionsstrategie erarbeiten“, erklärt Uwe Harste. „Im Falle eines plötzlichen Verlusts eines nahen Angehörigen kann das sein, zum Telefon zu greifen und einen guten Freund anzurufen. Und genauso müssen wir auch in der Coronakrise lernen, Wege zu finden, damit umzugehen.“ Doch bevor wir uns auf diese Sachebene begeben können, müssen wir die emotionale Ebene hinter uns lassen, die immer zu Beginn einer Krise steht. Eine große Sorge vieler Praxisinhaber ist aktuell das wirtschaftliche Überleben der Praxis. Uwe Harste zeigt anhand dieses Beispiels, wie wir mit dem Gefühl umgehen und ins Handeln kommen können: „Hilfe, ich gehe pleite!“ 1. Die Angst vor der Pleite kann ein lähmendes Gefühl sein. Fragen Sie sich, woran Sie es festmachen, dass Sie pleite gehen. Oft ist es das Gefühl, dass die Praxis sich nicht mehr lange halten kann, weil vielleicht vierzig oder fünfzig Prozent der Patienten für mehrere Wochen weggeblieben sind. „Das wird eine finanzielle Lücke hinterlassen, aber daran geht man in der Regel nicht pleite“, so Harste. 2. Nun gilt es, sachkundig zu werden. Was kann ich tun? Wo stehe ich? Ermitteln Sie den Status Quo der Liquidität. Wie lange bin ich in der Lage, so wie ich finanziell aufgestellt bin, zu überleben? Muss ich mir Sorgen in den nächsten Monaten machen oder habe ich so gut vorgesorgt, dass ich auch mit weniger Patienten noch ein halbes Jahr über die Runden komme? Wie sieht es mit Kurzarbeitergeld und Hilfsangeboten aus? 3. Machen Sie sich zudem schlau, wo Sie zuverlässige Informationen herbekommen – etwa zum rechtlichen Hintergrund zu den Themen Kurzarbeit, aber auch dahingehend, welche Schutzmaßnahmen für Mitarbeiter und Patienten gefordert sind. 4. Hinter der Angst, pleite zu gehen, stehen die fehlenden Patienten. Fragen Sie sich im nächsten Schritt daher, was Sie ganz konkret tun können, damit wieder mehr Patienten zu Ihnen kommen. Dafür müssen Sie die Gründe für das Wegbleiben herausfinden. Einige Patienten haben Angst, sich anzustecken, andere wissen vielleicht schlichtweg nicht, dass Sie geöffnet haben. Manchmal liegt es auch an den Ärzten, die weniger verordnen, weil sie beispielsweise selbst nicht wissen, was aktuell erlaubt ist. 5. Rufen Sie jeden Patienten an, der in den letzten beispielsweise drei Monaten bei Ihnen war, jetzt aber wegbleibt, und fragen Sie, was ihn davon abhält, zu Ihnen zu kommen. Treten Sie auch mit Ärzten in den Dialog, wenn sich herausstellt, dass Patienten weniger Verordnungen erhalten. 6. Wenn Sie die Gründe für das Fernbleiben analysiert haben, können Sie entsprechend gegensteuern. Wie kann ich meinen Patienten und den Ärzten vermitteln, dass sie das tun, was sie bisher auch getan haben? Sprich, in die Praxis kommen oder wieder mehr verordnen? Wer als Praxisinhaber weiß, was aktuell erlaubt ist und was nicht, kann selbstsicher handeln und Patienten und Ärzten Ängste oder Zweifel nehmen. Zudem rät Harste allen Praxisinhabern, die sich bis dato nicht mit dem Thema Liquiditätsplanung beschäftigt haben: „Lernt, kaufmännisch zu handeln oder sucht euch entsprechende Unterstützung! Findet Antworten auf die Frage, wo ihr mit der Praxis zukünftig hinmöchtet. Und kümmert euch auch um eure Mitarbeiter. Nehmt Ängste und Sorgen ernst und nutzt, sofern vorhanden, die freie Zeit, um euch zu überlegen, wie ihr eure Mitarbeiter in dieser Phase unterstützen und motivieren könnt.“ Denn der Praxisinhaber weiß aus eigener Erfahrung, dass man als Unternehmer nur so stark sein kann, wie es die Mitarbeiter sind. Coronakrise als große Chance? Trotz aller negativer Aspekte, die die Coronakrise mit sich bringt, bietet sie laut Uwe Harste auch eine große Chance, langfristig etwas voranzubringen. „Wir wurden von der Politik als systemrelevant eingestuft und dürfen zum Beispiel in bestimmten Fällen aktuell eigenständig Änderungen auf GKV-Verordnung vornehmen, ohne dass dafür eine Bestätigung durch den Arzt notwendig ist. Wir sollten die aktuellen Entwicklungen als Sprungbrett nehmen, um langfristig etwas zu ändern und gerade jetzt beispielsweise die Diskussion über den Direktzugang anregen. Wer systemrelevant ist, der kann auch dementsprechend den nächsten Schritt gehen.“ Außerdem interessant: Mit professioneller Hilfe durch die Krise Kostenlose psychologische Beratung in Corona-Krisenzeiten