Deine Meinung zu Videotherapie

Für den Ergotherapeuten Ulrich Joerg stecken die telemedizinischen Leistungen noch in ihren Kinderschuhen und haben großes Potenzial für die Patientenversorgung von morgen. Wie stehen Sie zur Videotherapie? Ich stehe der Videotherapie unbedingt positiv gegenüber. Vor allem aus dem Grund, dass ich Patienten erreiche, die sonst keine Möglichkeit zur Therapie erhalten. Der Erstkontakt in Präsenz ist schon eine aufwendige Leistung für Patientinnen und Patienten. Ich behandle teils immobile Patienten, die zu weit weg vom nächsten Therapeuten wohnen, oder bei denen ein Hausbesuch aufgrund der zu großen Entfernung nicht möglich ist. Ohne telemedizinische Leistungen können sie nicht versorgt werden. Videotherapie war vom 01.04. bis 30.09.2022 nicht erlaubt. Dennoch hatten die Krankenkassen die Möglichkeit zur Einzelfallentscheidung bei akuter Gefährdung des Patientenwohls. Kennen Sie Patient:innen, die diese Entscheidung eingefordert haben? Ja. Und die Krankenkasse hat die Leistung abgelehnt. Welche Auswirkungen hatte der zwischenzeitliche Wegfall der Videotherapie auf Ihre Praxis? Ich erinnere mich speziell an zwei Patientinnen, die zu weit weg von der Praxis wohnen. Durch den Wegfall waren therapeutische Maßnahmen für sie nicht mehr möglich. Ich habe mich damals dazu entschieden, sie ehrenamtlich zu betreuen. Viele, vor allem ältere Patienten, können sich Selbstzahlerleistungen nicht leisten, weshalb sie dann durch das gesundheitliche Raster fallen. Da konnte ich nicht wegsehen. Die Präsenztherapie gilt laut Heilmittel-Richtlinie als derzeit etablierter fachlicher Standard. Deshalb dürfen aktuell pro Quartal in der Praxis nicht mehr als 30 Prozent der Leistungen telemedizinisch erbracht werden. Deckt diese Grenze den tatsächlichen Bedarf ab? Das kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantworten. Die telemedizinischen Leistungen befinden sich meiner Meinung nach noch in der Einführungsphase. Dazu kommt, dass ältere Patienten immer jünger werden, also ihre mediale Kompetenz immer mehr steigt. Ich kann mir schon vorstellen, dass der Bedarf kommen wird, aber aktuell sehe ich die 30 Prozent als ausreichend an. Der erste Termin zwischen Patient:in und Therapeut:in muss in Präsenz stattfinden. Über weitere persönliche Treffen entscheidet die Therapeutin oder der Therapeut fallbezogen nach therapeutischer Notwendigkeit. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie über zusätzliche Präsenztermine? Das entscheide ich ausschließlich nach Absprache mit dem Patienten. Ich habe Patienten, die so ungünstig wohnen, dass ich nur im Notfall hinfahren würde. Ein Notfall wäre zum Beispiel, abgesehen von diagnosespezifischen Belastungssituationen, wenn mir ein Patient mitteilt, dass er überhaupt nicht mit seinem Computer zurechtkommt und mich bittet, ihm bei der Einrichtung zu helfen – das ist dann aber meine Freizeit und wird nicht abgerechnet. Telefonische Beratung ist nun im Umfang von bis zu zwei Einheiten je Verordnung möglich. So können Sie auch mehr als zwei Telefonate führen, sofern die Gesamtdauer der beiden Einheiten nicht überschritten wird. Welche Vorteile sehen Sie hierin? Die telefonische Beratung habe ich bis jetzt nur dafür genutzt, um organisatorische Dinge zu klären. Einige meiner Patienten hatten Probleme, Accounts einzurichten oder wussten nicht, wo sie persönliche Angaben in der Software eintragen müssen. Vor allem sehe ich den Vorteil darin, dass es ein kurzer Weg ist, zwischen Präsenz- und Videotherapietermin das Wohlbefinden abzufragen und zu justieren. Das schafft Vertrauen. Ärzt:innen dürfen TML bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ausschließen. Kennen Sie Patientinnen und Patienten, die davon betroffen waren? Nein, so ein Fall ist mir nicht bekannt. Auch telemedizinische Parallel- und Gruppenbehandlungen sind erlaubt. Haben Sie Erfahrung damit? Ja, ich behandle ehrenamtlich in Gruppen Schlaganfallpatienten. Die Gruppengröße beträgt dabei zehn bis zwölf Personen. Ich erstelle die eingesetzten Medien selbst in Form von interaktiven PowerPoint-Präsentationen und ordne sie in unterschiedliche Kategorien wie Sprache, Handlung oder Aufmerksamkeit ein. Jeder arbeitet dabei autark an seinem Bildschirm und bekommt im Nachgang – wenn erwünscht – ein Reflexionsgespräch. Die Bestätigung der TML durch Patient:innen kann in digitaler Form, per Fax oder nachträglich beim nächsten Präsenztermin erfolgen. Welche Bestätigungsform ist in Ihrer Praxis Standard? Die Option der E-Mail, die der Patient zur Bestätigung in die Praxis schickt. Momentan habe ich jedoch zwei Patienten, bei denen sich dieser Ablauf als schwierig darstellt, da sie an einer begleitenden Aphasie nach einem Schlaganfall leiden und große Probleme haben, etwas zu formulieren. In diesen Fällen hole ich die Angehörigen ins Boot, die einen von mir ausgefüllten Vordruck zum Patienten bringen, der diesen dann unterschreibt. Zur Dokumentation der Behandlung trägt die Therapeutin oder der Therapeut “TM” als Kürzel auf der Rückseite der Verordnung ein. Gleiches gilt in der Physiotherapie, in der Logopädie dagegen “TML”. Können Sie sich erklären, warum es unterschiedlich geregelt ist? Nein, darum mache ich mir auch keine Gedanken. Eine Erklärung wäre vielleicht, dass die Krankenkasse die Leistungen später zwischen den Berufsgruppen unterscheiden kann. 2022 bis 2024 sollte es für die Anschaffung von Hard- und Software eine jährliche Pauschale geben. Weder die konkrete Umsetzung noch die Höhe der Erstattung sind bislang geklärt. Was mussten Sie bis jetzt für die Durchführung von telemedizinischen Leistungen neu anschaffen? Eigentlich nichts Besonderes. Unsere Praxis war schon digital gut aufgestellt. Wenn diese Mittel dann bereitgestellt würden, würden wir sicherlich einige leistungsstärkere Laptops besorgen. Wie hoch müsste dann die Pauschale sein, um diese Anschaffungskosten zu decken? Bei der Beschaffung von neuen Headsets, Webcams und leistungsstarken Rechnern können die Kosten schnell in die Höhe steigen. Mit starker Hardware können wir gewährleisten, dass der digitalen Ausführung von unserer Seite aus nichts im Wege steht. Ich rechne damit, dass pro vollständig ausgestattetem Arbeitsplatz ein Betrag von 1.500 bis 2.000 Euro vonnöten sein werden. Die Anschaffung von Tablets als leihweises Endgerät wäre auch in Erwägung zu ziehen. Welche therapeutischen Erfolge konnten Sie bei telemedizinischen Leistungen bereits erzielen? Was mir vor allem aufgefallen ist, ist dass der Kompetenzerwerb, die Leistungen digital durchzuführen, einen positiven Effekt auf meine Patienten hatte. Sie haben das Gefühl, etwas Neues gelernt zu haben. Das schafft Zufriedenheit und führt dazu, dass sie motivierter an den Therapieprozess herantreten. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich in erster Linie im Bereich des Hirnleistungstrainings und der sensomotorisch-perzeptiven Behandlung tätig bin. Angenommen, die nächsten Verhandlungen für telemedizinische Leistungen stünden bevor. Was wünschen Sie sich für die ergotherapeutische Versorgung? Ich wünsche mir einen vorgegebenen, gemeinsamen Standard der Videotherapie-Anbieter, der die Option bereitstellt, noch interaktiver mit meinen Patienten zu arbeiten. Ich denke zum Beispiel an die Möglichkeit der Bildschirmfreigabe. So entspannt sich die Situation, da ich aktiver bei Problemen helfen kann und der Patient noch weniger Hürden zu überwinden hat. Ulrich Joerg | Ergotherapeut, Theley