Deine Meinung zu Videotherapie

Florian Lisch arbeitet in einer physiotherapeutischen Privatpraxis. Welche Chancen Videotherapie für diese bietet, verrät er uns im Interview. Was halten Sie denn von Videotherapie? Ich stehe VT grundsätzlich offen gegenüber. Natürlich ist es so, dass wir im Bereich der Physiotherapie vor der Situation stehen, die Patientin oder den Patienten gerne befunden zu möchten. Daher sehe ich VT eher als Folgebehandlung. Viel Potenzial scheint meiner Meinung nach in der Arbeitsplatzergonomie und der Kontrolle von Übungen zu stecken, die Patientinnen und Patienten alleine zuhause durchführen. Die Patientin oder der Patient macht in der Praxis alles richtig, und zu Hause funktioniert es aus unterschiedlichen Gründen nicht, die Übungen eigenständig fortzuführen. Per VT habe ich dann einen Einblick. Es ist spannend, in einem anderen Setting zu landen. Ich sehe in VT noch mehr, das ausgeschöpft werden kann: Wenn sich jemand krank fühlt und das Haus nicht verlassen möchte oder Kinder zuhause hat, dann ist VT eine sehr gute Alternative. Ich glaube, es ist wichtig, hier voranzugehen und das Thema ins Gespräch zu bringen – die Sache nicht bei einem Hinweis auf der Webseite zu belassen, sondern mit den Menschen darüber zu reden. Wir sind gefordert, Vorreiter zu sein. Was versprechen Sie sich von Videotherapie? Für unsere Patientinnen und Patienten geht es darum: Einerseits sich behandeln zu lassen und sich in die Hände eines Therapeuten zu begeben, andererseits eigenverantwortlich zu üben und dabei kontrolliert zu werden. Hier sehe ich einen sinnvollen Einsatz für VT: Weg von Therapie hin zu mehr Training. Wir sehen die Therapie als Grund dafür, dass die Menschen den Weg zu uns suchen. Wenn die Therapie vorbei ist, könnte es mit VT weitergehen – nicht als telemedizinische Leistung, sondern als Bestandteil unseres Kursplans. Wir können für Prävention sorgen und dafür, dass Patientinnen und Patienten „dranbleiben“, dass sie etwas tun, obwohl sie nicht kommen können. Für uns liegt die Chance darin, die Menschen engmaschig betreuen zu können. Bei all den Vorteilen – warum setzen Sie Videotherapie noch nicht um? Weil wir eine Privatpraxis sind, haben wir viele Patientinnen und Patienten, die live in der Praxis behandelt werden wollen. Nichtsdestotrotz spreche ich immer wieder mit ihnen darüber, damit sie verstehen, warum wir VT auf den Weg bringen. Eventuell finden sie sich irgendwann in einer Situation vor, in der sie denken: „Jetzt wird es interessant, VT zu machen.“ In unserer Praxis bieten wir auch Osteopathie an. Hierbei ist VT noch seltener nötig oder möglich, weil die Menschen in erster Linie die osteopathische Behandlung genießen wollen. Haben Patientinnen und Patienten schon einmal gezielt nach VT gefragt? Ja. Mittlerweile haben wir auch Anfragen zur Durchführung von VT erhalten. Es kommt also langsam ins Rollen. Bei welchen Indikationen macht Videotherapie in Ihren Augen am meisten Sinn und bei welchen keinen? Bei Indikationen rund um den Bewegungsapparat, also orthopädischer Natur, bei denen es auf Eigenübungen ankommt, die per Video gut kontrolliert werden können. Das sind klassische Mattenprogramme und Dinge, die man im Stand machen kann. Das ist das Feld, in dem Behandelte kognitiv in der Lage zur Umsetzung sind. Das ist ein wichtiger Punkt. VT ist auch da sinnvoll, wo kleinste Hilfsmittel wie ein Gymnastikball integriert werden können. Der orthopädische Bereich erscheint mir als der einfachste Einstieg für Patientinnen und Patienten, um in die VT zu finden. Von einer Kollegin weiß ich, dass VT schon in der Kindertherapie Anklang findet, gerade wenn ein Elternteil dabei ist. Im neurologischen Bereich könnte es schwierig werden, weil dort viel mit taktilen Reizen gearbeitet wird. Haben Sie Ideen für Ihre Umsetzung? Wir sind in der Aufbauphase. Wir arbeiten an individuellen und auf verschiedene Indikationen bezogenen Trainingsprogrammen. Das Internet ist voller Übungen. Es gibt Patientinnen und Patienten, die dieses Angebot nutzen. Die Schwierigkeit ist, sich das individuell Passende herauszusuchen. Wir wollen als Schnittstelle fungieren und den Patientinnen und Patienten die Sicherheit geben: Das kannst du machen, das hilft dir wirklich und ist effektiv. Daraus kann eine Betreuung erwachsen. Das Spektrum an Möglichkeiten ist unerschöpflich, bis hin zu Gruppenangeboten ist vieles machbar. Wir sind es, die den Rahmen setzen. Wir müssen gezielt überlegen, wen wir ansprechen und was wir anbieten wollen. Florian Lisch | Physiotherapeut, Lütjenburg