Assistent auf vier Pfoten …

Ihre Assistenten auf vier Pfoten möchte die Kieler Logopädin Carolin Möller nicht missen: Der Golden Retriever „Kalle“ und der Bolonka „Pommes“ sind ihre ständigen Begleiter in ihrem Praxisalltag. „Sie erleichtern meine Arbeit und motivieren die meisten Patienten“, sagt die 46-Jährige, die schon seit 2005 die tiergestützte Therapie praktiziert. Ihre Praxis war die erste in Kiel, die gezielt und als Team ausgebildet einen Hund in der Behandlung einsetzte. Auf den Hund gekommen ist Carolin Möller Ende 2003, als sie in Florida ein dreimonatiges Praktikum in der Delfin-Therapie absolvierte. Als sie sich 2005 selbstständig machte, setzte sie die Idee mit ihrem damaligen acht Wochen alten Welpen „Henry“ in die Praxis um. Sie blieb ihrem Weg treu und baute die Arbeit mit Therapiebegleithunden immer mehr aus. Mittlerweile hat sie drei interdisziplinäre Praxen in Kiel mit insgesamt 20 Therapeut:innen und 18 Vierbeinern. Ihre „Co-Therapeuten“ unterstützen die Arbeit der Therapeutinnen und Therapeuten an allen drei Standorten und in allen vier Professionen, der Logopädie, der Ergo- und Physiotherapie und seit November 2021 auch der Osteopathie. Anforderungen an einen Therapiebegleithund beachten Gerade Hunde eignen sich für die Therapie, so die Inhaberin. Sie begegnen ihrem Gegenüber völlig unvoreingenommen und reagieren sensibel auf Stimmungen und Gefühle. Daher werden sie vielfach zum Therapiebegleithund ausgebildet und in Therapien eingesetzt, um Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zu unterstützen. Der Hund muss den Menschen gelassen gegenübertreten und darf keine Angst oder Scheu zeigen. Das erfordert bestimmte Anforderungen an einen geeigneten Therapiebegleithund. Eine Grundvoraussetzung ist, Lust an dem Kontakt zu Menschen zu haben. Nicht nur die Rasse, auch der Charakter spielt eine Rolle Doch nicht alle Rassen kommen gleichermaßen infrage. Rassen, die über starkes Territorialverhalten oder einen Schutzinstinkt verfügen, sollten eher nicht als Therapiebegleithunde eingesetzt werden. Darüber hinaus spielt der Charakter des Hundes eine entscheidende Rolle. Lebhafte Hunde wie der Border Collie oder der Australian Shepherd sind Hütehunde und daher im Kindergarten eher nicht zu empfehlen. Allerdings ist auch nicht jeder Golden Retriever geeignet. „Viele Menschen sehen ihn fälschlicherweise als Familienhund an, doch in jedem Wurf gibt es unterschiedliche Typen, den eher schüchternen Welpen oder den Draufgänger – und darauf müssen die Hundetrainer:innen bei der Auswahl achten.“ Hunde erleichtern Kontaktaufnahme Wer in eine der Praxen von Carolin Möller tritt, wird in den Behandlungsräumen immer einem Hund begegnen. „Wir binden die Hunde fast immer in die Behandlung ein“, erklärt die Praxisinhaberin, „es sei denn, der Patient lehnt es ausdrücklich ab.“ Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich bei den Patient:innen um Kinder, Erwachsene oder alte Menschen handelt. Sie sind daher in allen Professionen gleichermaßen hilfreich – sei es in der Physiotherapie, wo die Hunde bei einem Parcours die Hütchen ersetzen können oder in der Logopädie, wo Hunde die Leckerli von den phonologischen Lautsymbolen aufsammeln. Durch den Hund erhält die Therapeutin oder der Therapeut schneller Kontakt zu seinem Gegenüber – er wirkt häufig als Türöffner oder sogar Eisbrecher, besonders bei Kindern oder traumatisierten Menschen. Tiergestützte Therapien im Trend, aber Qualität nicht gewährleistet Therapien mit tierischen Helfern boomen auch in Deutschland. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Anbieter für tiergestützte Therapien stark gestiegen. Fachleute aber befürchten, dass die Qualität bei einem Großteil nicht gewährleistet ist. Diese Gefahr sieht auch Carolin Möller: „Jeder meint, sich einen Hund anschaffen und ihn mit in die Therapie nehmen zu können“, klagt sie. „Das ist aber in den meisten Fällen weder zum Wohl der Patienten noch zum Wohl des Hundes.“ Denn in Deutschland gebe es keine geregelten Normen zur Ausbildung eines Therapiebegleithundes. „Es gibt lediglich nach § 11 des Tierschutzgesetzes die Pflicht, den Therapiebegleithund beim zuständigen Veterinäramt zuzulassen, aber auch das ist in jedem Landkreis unterschiedlich.“ Gründung einer Akademie für tiergestützte Therapie Aus diesem Grund gründete die Praxischefin mit den Hundeexperten Marc und Corinna Lindhorst 2011 die "Akademie für tiergestützte Therapie“, um das Therapieteam auf ihre künftige professionelle Tätigkeit entsprechend vorzubereiten. Die Ausbildung dauert 15 Monate und schließt mit einer praktischen Prüfung ab. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten eine Bescheinigung, die sie beim zuständigen Veterinäramt vorlegen müssen. Mittlerweile fällt ihr die Arbeit in der Akademie aber immer schwerer. „Es ist unglaublich anstrengend“, erklärt sie, „mit Menschen zu arbeiten, die sich uneinsichtig zeigen: Sie erklären mir, dass ihr Hund ihr Baby sei und sie schließlich selbst am besten wüssten, was gut für ihn sei ...“ Signale des Hundes verstehen und respektieren Jeder Hundebesitzer müsse aber die Signale verstehen, die ihre Hunde aussenden. „Wenn die Kinder im Kindergarten den Hund streicheln und er den Kopf abwendet, ist das ein sicheres Zeichen, dass er genug hat“, sagt die Logopädin. „Und das müssen wir res- pektieren.“ Ihr Hund „Kalle“ sei jetzt zehn Jahre alt, und sie lässt ihn manchmal tageweise zu Hause – er braucht einfach mehr Ruhe. „Wenn mich meine Patienten nach Kalle fragen, antworte ich einfach: Kalle geht jetzt in Rente!“ Nach Therapiesitzungen brauchen Hunde Freiraum Für die Hunde seien die Therapiesitzungen überaus anstrengend – besonders in der Schmerz- und Palliativmedizin. „Sie riechen den Krebs früher als wir Menschen“, sagt die Praxischefin. „Wenn wir merken, dass der Hund überfordert ist, müssen wir ihn vom Patienten wegnehmen, um ihn zu schützen.“ Sie erinnert sich an einen Fall mit ihrem Schoßhündchen „Pommes“: Ein Mann lag im Sterben, seine Frau war völlig verzweifelt. Als sie den Hund streichelte, wurde sie ruhiger und konnte auch wieder mit ihrem sterbenden Mann sprechen. „Für Pommes war diese Situation fast kaum zu ertragen, und nach dem Besuch brauchte er seinen Freiraum, tollte wie wild durch die Gegend und war anschließend völlig fertig.“ Wenn man die Praxisräume und Mitarbeiter:innen mit Liebe zu Hunden hat, ist die Arbeit mit den Therapiebegleithunden grundsätzlich zu befürworten und eine echte Bereicherung, so Carolin Möller, aber auch nur dann. Für die Zukunft wünscht sie sich, dass es in Deutschland endlich ein standardisiertes Verfahren für die Anerkennung von Therapiebegleithunden geben möge – wie in der Schweiz und in den USA. „Momentan kann sich jeder einen Hund nehmen und tiergestützte Therapie anbieten ...“ Tiere galten schon früh als heilsame Begleiter für Kranke Schon früh wurden Tiere zur Verbesserung des menschlichen Wohlbefindens eingesetzt. Bereits Florence Nightingale erwähnte in ihren „Notes on Nursing“ (1860), dass kleine Tiere oftmals heilsame Begleiter für Kranke seien, besonders für schwere und chronische Fälle. Der Beginn der modernen tiergestützten Therapie wird auf das Jahr 1962 datiert. Damals erschien das Buch „The dog as a co-therapist“ („Der Hund als Co-Therapeut“) des amerikanischen Kinderpsychotherapeuten Boris M. Levinson. In Deutschland wird die tiergestützte Therapie vor allem in der Behandlung von Menschen mit geistigen und körperlichen Handicaps, aber auch zum Erhalt von Alltagskompetenzen in Senioren- und Pflegeheimen oder zur Stärkung von Sozialkompetenzen in Kindergärten und Schulen eingesetzt.