Kinder sind unsere Zukunft

Kinder brauchen von Geburt an unsere Unterstützung. Die kindliche Bewegungsentwicklung kompetent begleiten zu dürfen, war und ist das größte Anliegen der Kinderphysiotherapeutin Anke Döpper. Daher fordert sie bereits im Säuglingsalter eine qualifizierte Behandlung durch spezialisierte Kinderphysiotherapeuten im interprofessionellen Kontext. „So könnten viele negative Folgen der kindlichen Entwicklung minimiert oder gar abgewendet werden.“ Anke Döpper ist überzeugt: In den ersten anderthalb Jahren haben nicht behandelte und erkannte Einschränkungen, wie Asymmetrien der oberen HWS, Auswirkungen auf die gesamte motorische Bewegungsentwicklung wie auch auf die Neurozeption. Doch in der Praxis bleibt eine kompetente Therapie oftmals Wunschdenken, wie die Kinderphysiotherapeutin aus dem nordrhein-westfälischen Erftstadt im Laufe ihrer Berufsjahre erkennen musste. In der Realität scheitert nämlich die vielversprechende Therapie auf neurophysiologischer Grundlage an Richtlinien und fehlendem Wissen vieler Kinderärzte. „Die sensomotorische Entwicklung ist kein Teil des Curriculums zum ‚Facharzt Pädiatrie‘“, bedauert die Therapeutin, „Kinderärzte kennen sich in Krankheiten bestens aus, aber nicht in der sensomotorischen Entwicklung der Aufrichtungsontogenese.“ Sätze wie ‚Das wächst sich aus“ zeigen fehlendes Wissen So bekommen viele kleine Patienten mit neurophysiologischen Auffälligkeiten entweder kein oder lediglich ein Rezept über eine normale physiotherapeutische Behandlung (KG) statt der erforderlichen Verordnung neurophysiologische Krankengymnastik für Kinder (KGS-ZNS Kinder). In der Pädiatrie scheint die Meinung vorzuherrschen, dass „sich das auswächst“ oder „es leider nicht in der Heilmittel-Richtlinie verankert sei“. Das macht die Kinderphysiotherapeutin, die sich auf die Behandlung von Säuglingen und Kindern mit neurologischen Auffälligkeiten spezialisiert hat, wütend und fassungslos. Die Folgen für diese nicht behandelten Kinder sind u. a. Unruhe, Konzentrationsstörungen, Tics, LRS, Verweigerungsverhalten mit Wutanfällen sowie motorische Ungeschicklichkeit – und sie landen daher nicht selten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. „Das ist falsch und vor allem der Kindergesundheit nicht dienlich!“ KG ZNS auf gesamte kindliche Entwicklung ausweiten Sie sieht das Dilemma, denn in der Heilmittel-Richtlinie ist diese spezielle Therapie für Kinder mit den obengenannten Auffälligkeiten auf den ersten Blick nicht vorgesehen. „Bei fehlender Umsetzung der Richtlinien bleiben aber genau diese sensomotorisch auffälligen Kinder auf der Strecke und erhalten stattdessen andere Therapien wie Logopädie. „Logopädie ist absolut wichtig, aber zunächst muss die Grobmotorik stimmen, um die Sprachentwicklung sinnvoll zu etablieren.“ So sei die notwendige fachliche Begleitung, welche Kinder in der motorischen Entwicklung der Aufrichtungsontogenese benötigen würden, unzureichend. Ihre Forderung: Die Position KG ZNS müsste auf die gesamte kindliche Entwicklung, welche die Pubertät mit einschließt, im Sinne einer „nicht näher umschriebenen Entwicklungsstörung“, wie sie der ICD-10 vorsieht, ausgeweitet und spezifiziert werden. Und vor allem müsse dies von Pädiatern wahrgenommen und verordnet werden. Mit Direktzugang wäre eigene Diagnose möglich Ein Direktzugang würde das Problem verkürzen – und das ist es, was sich Anke Döpper wünscht. Mit ihm könnte die fachliche Kompetenz der Kinderphysiotherapie besser genutzt werden. „Dann kann ich meine Diagnose direkt stellen und bin nicht länger auf die fehlende Expertise der Pädiater angewiesen.“ In der Corona-Pandemie habe sich die Situation noch verschärft. Zwischenzeitlich hatte sie sogar überlegt, ihre Kassenzulassung abzugeben. Nur in der Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie mit der Kinderosteopathin Leandra Scharff habe sie diese Kinder unterstützen und begleiten können – „die Therapie haben die Eltern größtenteils aus eigener Tasche bezahlt“. Die Osteopathin hat schon viele Säuglinge zur kinderphysiotherapeutischen Nachbehandlung geschickt – allesamt ohne Rezept! „Ich weiß um die Wichtigkeit in der Begleitung der neurophysiologischen Bewegungsentwicklung im ersten Lebensjahr und schätze die effiziente Zusammenarbeit und die Therapieerfolge“, so die Osteopathin. „Umso trauriger ist es, dass wir nicht auf die, den Kindern zustehende Behandlung als Mitversicherte zugreifen können. Genau wie die Vorsorgeuntersuchungen ist dies ein wichtiger Baustein der Gesundheitsvorsorge unserer Kleinsten.“ Außerdem wäre es auch wirtschaftlich sinnvoll und lohnenswert, sind sowohl Osteopathin als Therapeutin überzeugt, „denn die Folgekosten für Kinderpsychiatrie, Psychopharmaka oder auch kieferorthopädische Behandlungen sind bei weitem höher“. Reizarme Praxisräume in der Natur In ihrer Praxis verzichtet sie ganz bewusst auf zu viele Reize von außen. „Das brauche ich nicht, denn ich habe das Glück, in einer alten Landsburg zu praktizieren – um mich herum ist nur Natur.“ Weniger Reize ermöglichen die Konzentration auf sich selbst und somit auch auf die eigene Wahrnehmung wie beispielsweise die Atmung. Auch Spielzeug gibt es nur wenig. „Ich habe die Erfahrung gemacht, weniger ist mehr, und mit allem lässt sich etwas bauen, erfinden und improvisieren.“ Die wöchentliche Behandlungszeit dauert in der Regel 45 Minuten. Jede Therapiesitzung ist auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes ausgerichtet und passt sich dem jeweiligen Entwicklungsstand sowie auch den Bedürfnissen der Eltern an. Frühe Intervention schützt und stärkt Anke Döpper ist mit Leib und Seele Kinderphysiotherapeutin. „Die Arbeit der Kinderphysiotherapeuten bildet die Basis für gesunde, motorische Entwicklung“, so die Therapeutin. Sie beobachtet, dass sich die Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen häufen – Tendenz steigend. „Viele Erkrankungen, die das Gesundheitssystem extrem belasten, wie beispielsweise LRS, ADHS und weitere Verhaltensauffälligkeiten, zeigen das unausgereifte Fundament. Frühe Intervention dagegen schützt und stärkt die kindliche Entwicklung!“ Brief an den Bundesgesundheitsminister Doch inzwischen kapituliert sie zunehmend – vor den gesetzlichen Vorgaben wie beispielsweise den Voraussetzungen für eine Kassenzulassung. „Mit dem unverständlichen, unsinnigen, bürokratischen und offensichtlich nicht am Wohle des Patienten orientierten weisungsgebundenen sowie kassendominiertem System sehe ich bei der jetzigen, sich zuspitzenden Lage der Dinge für mich ein wenig sinnvolles Weiterkommen“, schrieb die engagierte Therapeutin im Januar an den Bundesgesundheitsminister. Die Vorgaben seien nicht auf die Bedürfnisse der Praxisinhaber zugeschnitten, sagt sie. Eine Praxis für Kinder habe nun einmal andere Anforderungen, und so sollte die Praxisgestaltung auch an dem Wohl der jungen Patienten angepasst sein. „Das haben alle Beteiligten inzwischen auch erkannt, aber geändert hat sich nichts!“ Grundlegende berufspolitische Veränderungen sind nötig Wenn sich berufspolitisch nicht grundlegend etwas ändert, könne sie jeden verstehen, der sich gegen diesen so wichtigen Beruf des Kinderphysiotherapeuten entscheidet. „Kinderphysiotherapie ist die Arbeit an den Grundlagen unserer kindlichen Bewegungsentwicklung und somit der wichtigste Grundstein für die körperliche Gesundheit unserer Gesellschaft.“ Das müsse auch den Pädiatern klar werden. Mit ihrem Brief an Karl Lauterbach hofft sie, dringend notwendige Veränderungen anzustoßen. Einen konkreten Gesprächstermin habe sie noch nicht, aber sie stehe auf der Warteliste, hieß es aus dem Ministerium. Außerdem interessant: Logopäde besucht Therapiepraxen in ganz Deutschland Physiotherapeutin schreibt Übungsliteratur für Patienten