Gefährdungsbeurteilung: „Wichtig ist, die Gefahr zu dokumentieren, nicht, sie sofort zu beseitigen“

„Wenn ich ein Risiko in meiner Praxis vermute, das ich aber nicht direkt abstellen kann, befasse ich mich lieber nicht näher damit.“ Das ist keine gute Idee, sagt Laura Albrecht. Sie ist Justiziarin bei buchner und erklärt im Gespräch mit Ralf Buchner, warum es gut ist, Risiken auch dann zu identifizieren, wenn man sie nicht sofort beseitigen kann, und warum bei der Gefährdungsbeurteilung generell Vorsicht besser ist als Nachsicht. Laura, wenn ich das Wort Gefährdungsbeurteilung höre, bin ich schon direkt genervt. Dennoch sind Praxisinhaberinnen und -inhaber nach dem § 5 Arbeitsschutzgesetz dazu verpflichtet, diese durchzuführen. Welche Folgen hat es denn, wenn ich das einfach nicht mache? Was passiert, wenn ein Schaden eintritt, und ich habe keine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt? Wenn ein Schaden eintritt und zum Beispiel ein Mitarbeiter verletzt wird, kann das ein Fall sein, der über die Berufsgenossenschaft abgewickelt wird. Die könnte dann Regressansprüche für die Behandlungskosten gegen mich als Arbeitgeberin stellen. Die Versicherungzahlt gegebenenfalls nicht. In einem solchen Fall hafte ich als Praxiseigentümer, als Geschäftsführerin, als Arbeitgeber gegebenenfalls auch mit meinem Privatvermögen. Das möchte man natürlich vermeiden. Das möchte ich natürlich auf jeden Fall verhindern. Ich mache also zähneknirschend das, was ich machen muss, um nicht belangt werden zu können. Und das sollte auch mein Ziel sein? Es sollte nicht der Anspruch sein, es perfekt zu machen. Die Pflicht ist, die formaljuristischen Vorgaben zu erfüllen, damit uns im Schadensfall keine Ansprüche drohen. Alles über die Schadensabwehrmaßnahmen hinaus, ist dann die Kür. Darum kümmere ich mich, wenn die Basics erledigt sind. Halten wir fest: Gefährdungsbeurteilung muss ich machen! Aber was mache ich denn, wenn ich nun gar keine Ahnung habe, wie ich das angehen soll? Wenn ich davon gar keine Ahnung habe – was übrigens überhaupt nicht schlimm ist – wende ich mich zuerst mal an die Berufsgenossenschaft. Bereits auf der Internetseite gibt es ganz viele Informationen, die ich nutzen kann. Zudem stellt die BG – abhängig von der Mitarbeiterzahl – eine Betreuung sicher. Die Gefährdungsbeurteilung muss jeder machen, aber die Standards der Betreuung orientieren sich dann an der Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: sind es weniger als zehn, weniger als 50 oder mehr. Die BG stellt dann eine entsprechende Fachkraft zur Verfügung, die Ansprechpartner:in für alle Fragen rund um Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz ist. Und die Person muss ich dann bezahlen? Wenn Du an richtigen Schulungen teilnimmst, musst Du dafür schon etwas bezahlen. Einen Ansprechpartner zu haben, kostet aber kein Entgelt. Die Person wird Dich dann wahrscheinlich auf die passenden Vordrucke hinweisen. Ich habe sie mir einmal angeschaut. Die sind Step by Step aufbereitet und auch wirklich verständlich. Tipp: Online-Angebote der BGW nutzen Auf der Website der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) findet Ihr viele nützliche Hilfen und Informationen zur Gefährdungsbeurteilung. Dazu gehören u. a. Dokumentationshilfen und ein branchenspezifischer Handlungsleitfaden für die Gefährdungsbeurteilung in therapeutischen Praxen. Du bist Juristin und verstehst sowas. Werde ich als normaler Mensch auch schlau daraus? Ja, auf jeden Fall. Das ist ein Prüfkatalog mit handfesten Dingen, die ich mir anschauen kann. Dazu gehört etwa, zu schauen, ob an einigen Stellen der Praxis Kabelsalat herrscht, der zur Stolperfalle wird, oder ob ich mir an einer Liege die Finger klemmen kann. Solche praktischen Dinge gehören dazu. Das erfordert kein juristisches Fachwissen. Bei Liegen denke ich direkt daran, dass die technische Einweisung ja durch den Hersteller erfolgen könnte. Das kann ich dann dokumentieren. Sowas kann ich doch sicher für die Gefährdungsbeurteilung nutzen, oder? Absolut. Damit wäre der erste Schritt schon erfüllt: Wenn ich eine Einweisung mache, dokumentiere ich diese. Egal, ob die vom Hersteller durchgeführt wird oder von mir selbst. Sollte sich dann tatsächlich mal jemand den Daumen in der Liege einklemmen, kann ich nachweisen, dass ich meinen Mitarbeiter:innen gezeigt habe, wie die Liege richtig funktioniert. Das Problem ist also nicht, dass sich jemand den Daumen einklemmt, mein Problem entsteht dann, wenn ich nicht nachweisen kann, dass ich sie davor gewarnt habe, dass man sich an dieser Stelle den Daumen klemmen kann. Es wäre also schlau, wenn man für alle Geräte so eine Einweisungsprozedur macht. Ja, genau. Und das mache ich eben ein Mal. Wenn dann eine neue Mitarbeiterin bei mir anfängt, oder ich mir ein weiteres Gerät des gleichen Typs kaufe, hole ich diese Einweisung wieder heraus und kann sie erneut verwenden. Zudem gehört die Arbeitssicherheit zwar zu meinen Aufgaben als Chef, ich kann aber auch jemanden benennen, der sich um solche Aufgaben kümmert. Als grundsätzlich fauler Mensch mache ich ungerne Dinge doppelt. Wäre es auch okay, wenn ich solche Einweisungen filme und in Zukunft neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Video zur Verfügung stelle? Wenn das für den Hersteller und die Person, die da gefilmt wird, in Ordnung ist, ist das eine gute Lösung. Was Du sonst noch zum Thema Gefährdungsbeurteilung wissen musst, erfährst Du im up-podcast. Hier kannst Du Dir das Gespräch in voller Länge anhören: www.up-aktuell.de/podcast-gb