Leicht lesbar für Kinder

Die Abenteuer von Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews begeistern junge Leserinnen und Leser schon seit Ende der 1960er Jahre. Immer wieder geraten „Die drei ???“ in turbulente Kriminalfälle, die sie mit Mut und Köpfchen lösen. Nun können auch Kinder mit Leseschwäche die spannenden Erlebnisse des Junior-Detektivteams lesen – dank der beiden Logopädinnen Christine Michel und Veronika Pfitzenreiter: Sie schrieben die Bücher der Kultreihe um.Die Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler in Deutschland hat sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Das geht aus der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2021 hervor. Demnach kann jedes vierte Kind in Deutschland nach vier Grundschuljahren nicht richtig lesen und erreicht nicht das Mindestniveau beim internationalen Standard. Das erleben auch die beiden Logopädinnen Christine Michel und Veronika Pfitzenreiter in ihrem Praxisalltag: Schon seit Jahren fördern sie Kinder mit Lesebeeinträchtigungen. Allerdings stellten sie in ihrer täglichen Arbeit fest, dass es auf dem Jugendbuch-Markt wenig geeigneten Lesestoff für ihre Klientinnen und Klienten gibt. Auch „Die drei ??? Kids“, die der Franck-Kosmos-Verlag ab 1999 auf den Markt gebracht hat, überfordern noch viele ihrer Kinder: Zu lange Sätze, zu viele komplizierte Wörter, zu viel Inhalt auf einer Seite – selbst in der Kids-Version, die sich gezielt an jüngere Kinder richtet, haben Kinder mit Leseschwäche Schwierigkeiten, erklären die Praxisinhaberinnen. Kinder wünschten sich „Die drei ??? Kids“ Die Logopädinnen wollten das ändern und entschieden sich, Bücher für ihre Klient:innen umzuschreiben. Also machten sie unter ihren Kindern und Jugendlichen eine Umfrage. „Sowohl die Jungen als auch die Mädchen sprachen sich einhellig für ‚Die drei ???‘ aus“, erinnert sich Veronika Pfitzenreiter. „Es war anfangs eine große Bastelarbeit, denn wir haben die Texte umgeschrieben, ausgeschnitten und in die Originalbücher eingeklebt.“ Das war umständlich, aber die Kids waren begeistert. Die Nachteile: „Die Bücher wurden einfach zu dick, und es gab auch immer nur ein Exemplar!“ Gute Kooperation der Verlage vereinfachte die Umsetzung So nahmen die beiden 2016 Kontakt zum Franck-Kosmos-Verlag auf und fragten nach, ob sie die Bücher umschreiben und für Kinder mit Leseschwächen herausbringen durften. Der Verlag war einverstanden. Einzige Bedingung: Die Umsetzung sollte in einem Fachverlag erscheinen. So wandten sich die Logopädinnen an den ProLog Verlag, bei dem sie ihre Weiterbildung zu zertifizierten Dyslexietherapeutinnen nach BVL absolviert hatten. Der Verlag stimmte sofort zu und übernahm die weiteren Verhandlungen mit dem Kosmos-Verlag – zum großen Vorteil der frischgebackenen Autorinnen, denn der Verlag übernahm sowohl das Lektorat als auch den Vertrieb. Inzwischen sind in der Reihe EditionLesenPlus bereits sechs Bände der „Die drei ??? Kids“ zum Preis von jeweils 9,90 Euro erschienen. Ob noch weitere folgen werden, ist noch nicht geklärt – die beiden Logopädinnen aber wären offen für weitere Ausgaben. Positive Resonanz auch bei Erwachsenen Als 2020 die sechs Bände als Gesamtpaket erschienen, gab es unter den jungen Leserinnen und Lesern nur positive Rückmeldungen. Aber auch die Erwachsenen waren begeistert. Gerne erinnert sich Veronika Pfitzenreiter an den Urlaubsgruß eines Vaters: Er schickte ihr ein seltenes Foto seines Sohnes – völlig vertieft in sein Buch. Eine Mutter hatte ein Exemplar der EditionLesenPlus zufällig auf einer Messe gesehen und mitgenommen – das erste Buch überhaupt, das ihr Kind las. Inzwischen hat es auch die Originale gelesen. Selbst einige Eltern, die gleichfalls an einer Leseschwäche litten, gestanden den Therapeutinnen, dass sie voller Vergnügen die spannenden Bücher gelesen hätten. Bücher sehen von außen aus wie das Original Nach Ansicht der Autorinnen ist das Besondere an der EditionLesenPlus-Reihe, dass die Bücher dem Original zum Verwechseln ähnlich sehen. „Auf den ersten Blick werden sie nicht als Förderlektüre erkannt“, sagt Christine Michel, „und so wird eine Stigmatisierung vermieden.“ Sowohl die Bilder als auch der Text, der für eine bessere Lesbarkeit reduziert wurde, gleichen dem Original. Allerdings wurde der Text bei gleichem Inhalt vereinfacht und in der Fibelschrift „Schulbuch Nord, 13 Punkt“ gedruckt. Diese Druckschrift erleichtert das Lesen und wird auch in den Schulbüchern für ABC-Schützen verwendet. Hinsichtlich des Setzens der Texte gibt es in der EditionLesenPlus-Reihe mehr Absätze und an den Zeilenenden keine Wörtertren- nungen. Bestimmte Buchstabenfolgen, die beim Lesen durch einen Laut realisiert werden, wie oder , sind im Schriftbild enger zusammengerückt. Kurze Wörter und solche, die häufig im Sprachgebrauch vorkommen Bei der besseren Lesbarkeit haben sich die beiden Logopädinnen an den Empfehlungen der S3-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und/oder Rechtschreibstörung“, dem Basiskonzept „Lesen“ von Thomé, dem Lesbarkeit-Index nach Lenhard und dem Wortschatz-Portal der Uni Leipzig orientiert: Sie verwendeten vorwiegend kurze Wörter und solche, die häufig im Sprachgebrauch vorkommen. So wurde beispielsweise „haufenweise“ durch das gebräuchlichere „viele“ ersetzt, statt „Fotoapparat“ steht in den Büchern „Kamera“. „Die Kinder müssen sich somit weniger auf die Worte konzentrieren und können dem Inhalt besser folgen“, erklärt Veronika Pfitzenreiter. Die Dialoge wurden beibehalten, allerdings wurde der Name des Protagonisten stets vorangestellt oder direkt nach einer Äußerung genannt. „Der größte Vorteil allerdings besteht darin“, da sind sich beide Therapeutinnen einig, „dass die Kinder mit Lesebeeinträchtigungen nun die gleichen Bücher lesen wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler und sich hierüber austauschen können.“ Von den drei ??? Kids über PotsBlitz zu Storms Novelle Die Arbeit an der Buchreihe „Die drei ??? Kids“ haben die beiden Praxisinhaberinnen in ihrer Freizeit gemacht. „Es fühlte sich quasi wie ein berufsbegleitendes Studium an, was wir beide ja bereits kennen“, erklärt Christine Michel. Parallel zu diesem Projekt arbeiteten sie an einer Erweiterung von PotsBlitz, dem Potsdamer Lesetraining, ab der Klasse 5. Gemeinsam mit den Autorinnen Christiane Ritter und Gerheid Scheerer-Neumann schrieben die beiden Logopädinnen hierzu sechs neue Frage- und Lösungsbogen sowie Texte zum Üben des Lesetempos. Und weitere Projekte sollen folgen, möglicherweise eine lesbare Lektüre für Erwachsene mit Leseschwäche. Im Auge haben die beiden dabei Storms Novelle „Der Schimmelreiter“. Wunsch: Stiftung Lesen sollte auch Kinder mit Leseschwächen berücksichtigen Für die Zukunft wünschen sie sich, dass die Kultreihe „Die drei ??? Kids“ in der EditionLesenPlus einem größeren Publikum bekannt gemacht werden würde. „Es wäre sehr schön, wenn die Stiftung Lesen auch Lektüren für Kinder und Jugendliche mit Lesebeeinträchtigungen in ihr Programm aufnehmen würde“, träumen die beiden Logopädinnen. Ihr weiterer Wunsch: Der Logopädie möge in Deutschland bei den Konzepten im Bildungswesen jenseits der föderalen Grenzen eine größere Bedeutung zukommen, wie es im europäischen Ausland schon Realität sei. Denn: Bildung fängt mit Lesen an, und ein gutes Lese- und Sprachvermögen erleichtert den Zugang zu Bildung und einem erfolgreichen Berufsleben.