Risiko erkannt, Gefahr gebannt

Mit dem nötigen theoretischen Background zum Thema Gefährdungsbeurteilung widmen wir uns nun dem Herzstück: der praktischen Umsetzung. Zunächst gilt es, Risiken für Ihre Mitarbeiter und Patienten ausfindig zu machen. Danach überlegen Sie, welche Maßnahmen geeignet sind, um die Gefährdungen zu minimieren oder ganz auszuschalten. Als Hilfestellung dafür haben wir Ihnen einen Maßnahmenkatalog zu häufig auftretenden Gefährdungen zusammengestellt. Dieser orientiert sich an den Empfehlungen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Ob eine Fußmatte als Stolperfalle, eine Handcreme, die nicht vertragen wird oder der Bürostuhl, der nicht höhenverstellbar ist und zu Verspannungen führt: Es gibt viele potenzielle Gefährdungen, die ganz unabhängig von der Fachrichtung in nahezu jeder Heilmittelpraxis auftreten können. Wir haben diese für Sie zusammengetragen. Wählen Sie einfach aus den unten aufgeführten Punkten die auf Ihre Praxis zutreffenden Gefährdungen aus und bilden Sie daraus das Gerüst Ihrer Beurteilung. Im zweiten Schritt geht es dann an die Kür: Ergänzen Sie die Beurteilung durch individuelle Gefährdungen und Maßnahmen – etwa den Umgang mit Gefahrenstoffen wie speziellen Lacken und Farben in Ergotherapiepraxen oder die Wartung von Therapie- und Sportgeräten. Prioritäten richtig setzen Oft gibt es nicht nur eine Maßnahme, die das Auftreten einer Gefährdung minimiert, sondern es kommen mehrere in Frage. Ein Beispiel: Bei einer Mitarbeiterin treten durch häufiges Händewaschen Hautekzeme auf. Zu den möglichen Maßnahmen zählen, die Seife auszutauschen, vermehrt Handschuhe zu tragen oder die Art und Weise des Händewaschens zu verändern. Doch welche raten Sie ihr als erstes? Entsprechend den Anforderungen des Arbeitsschutzgesetztes empfiehlt das BGW folgendes Vorgehen: Versuchen Sie als aller erstes, die Gefahrenquelle zu beseitigen. Ist dies nicht möglich, überprüfen Sie, ob Sie durch technische Maßnahmen die Gefährdung minimieren können. Darunter fällt auch der Austausch von Pflege- und Reinigungsprodukten. Ist das Ergebnis nicht zufriedenstellend, schauen Sie, welche organisatorischen Maßnahmen helfen können, beispielsweise das Anpassen von Arbeitsabläufen. Die allerletzte Option sollten immer personen- und verhaltensbezogene Maßnahmen sein, also beispielsweise das Tragen von Handschuhen. Hinweis: Die folgenden Gefährdungen und Maßnahmen stammen aus dem Dokument „Gefährdungsbeurteilung in therapeutischen Praxen“ der BGW. Gefährdungen Haut und Atemwege Ziel: Gesunde Haut und Vermeidung von Atemwegsreizungen/-erkrankungen Gefährdung Mögliche Folgen Zielgruppe Massageöle, Cremes und Lotion Duft-, Farb- und Konservierungsstoffe können zu Hautirritationen, Reizungen der Atemwege oder Allergien führen Mitarbeiter und Patienten Häufiges Händewaschen Auf Grund der gestörten Hautbarriere können Ekzeme entstehen Mitarbeiter Latexhandschuhe Allergische Reaktionen sind möglich Mitarbeiter und Patienten Reinigungs- und Desinfektionsmittel Es können Ekzeme entstehen, auch allergische Reaktionen sind möglich Mitarbeiter Mögliche Maßnahmen: Technisch: Gefahrstoffe (Öle, Cremes, Lotion, Desinfektionsmittel, ...) ermitteln und durch Produkte mit Ersatzstoffen ersetzen Latexfreie Handschuhe zur Verfügung stellen (bspw. Nitrilhandschuhe) Lotionen und Cremes ohne Duft-, Farb- und Konservierungsstoffe verwenden Organisatorisch: Hautschutz- und Händehygieneplan erarbeiten Desinfektions- und Reinigungsplan erstellen Vermehrte Händedesinfektion anstelle häufigen Waschens Personenbezogen: Schulungen zum Thema Hautschutz und Händehygiene Medizinische Einmalhandschuhe nutzen Haushaltshandschuhe für Reinigungs- und Desinfektionsarbeiten benutzen Gefährdungen Muskel-Skelettsystem Ziel: Entlastung des Bewegungsapparates Gefährdung Mögliche Folgen Zielgruppe Einseitige Belastung des Bewegungsapparates Verspannungen, Gelenk- und Rückenschmerzen Mitarbeiter Mögliche Maßnahmen: Technisch: Ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze. Dazu zählen beispielsweise höhenverstellbare Behandlungs- und Massageliegen und individuell verstellbare Arbeitsstühle Hilfsmittel, die Hausbesuche erleichtern, wie kleine Tritte o.ä. Organisatorisch: Arbeitstag so vielseitig wie möglich gestalten. Etwa die Termine so legen, dass sich die Behandlungstechniken, die der Therapeut anwendet, abwechseln Arbeitsutensilien ergonomisch bereitlegen Persönlich: Regelmäßige Pausen, in denen Zeit für Lockerungsübungen ist Infektionen Ziel: Infektionserkrankungen vermeiden Gefährdung Mögliche Folgen Zielgruppe Ansteckungsrisiko: Hepatitis B, C, Influenza, HIV Im Umgang mit Kindern: Mumps, Masern, Röteln, Windpocken und Keuchhusten Infektionserkrankungen Mitarbeiter und Patienten Mögliche Maßnahmen: Technisch: Armhebelspender für Seife und Desinfektionsmittel gesonderte Toiletten- und Pausenräume für die Mitarbeiter Leicht zu reinigende Fußböden, Arbeitsflächen und Oberflächen Organisatorisch: Desinfektions- und Reinigungsplan erstellen mit Maßnahmen zum Infektionsschutz durchstichsichere Entsorgungsboxen infektiösen und normalen Müll getrennt sammeln arbeitsmedizinische Vorsorge und Schutzimpfungen – je nach Patientenklientel –, etwa gegen Hepatitis B Sofortmaßnahmen nach einer Schnittverletzung festlegen und Notfallplan aushängen Personenbezogen: Mitarbeiter mindestens einmal jährlich in die Schutzmaßnahmen unterweisen und dies entsprechend dokumentieren Latexfreie, ungepuderte medizinische Einmalhandschuhe und Mund-Nasen-Schutz verwenden Stolper-, Rutsch- und Sturzunfälle Ziel: Das Risiko für Unfälle und Verletzungen auf ein Minimum reduzieren Gefährdung Mögliche Folgen Zielgruppe Typische Gefahrenquellen: Stress und Zeitdruck herumliegende Gegenstände oder ungesicherte Kabel nasse und rutschige Böden ungeeignete oder fehlende Leitern und Tritteungeeignete Schuhe Schwere Verletzungen Mitarbeiter und Patienten Mögliche Maßnahmen: Technisch: rutschhemmende Böden (Rutschhemmklasse R9) sichere Leitern und Tritte Organisatorisch: Stolperfallen beseitigen Arbeitswege und -flächen freihalten Abstellmöglichkeiten für mobile Geräte und Arbeitsmittel schaffen Arbeitsabläufe anpassen Personenbezogen: Mitarbeiter anweisen, Schuhe mit rutschhemmender Sohle zu tragen, die zudem Halt geben und hinten und vorne geschlossen sind Brandschutz Ziel: Brände verhüten bzw. im Falle eines Brandes Verletzte vermeiden Gefährdung Mögliche Folgen Zielgruppe Typische Gefahrenquellen: defekte Elektrogeräte überlastete Elektroinstallationen alkoholhaltige Desinfektionsmittel Rauchvergiftung, Verbrennungen und im schlimmsten Fall Tod Mitarbeiter und Patienten Mögliche Maßnahmen: Technisch: größere Mengen alkoholhaltige Desinfektionsmittel in geschlossenen Räumen lagern Organisatorisch: Feuerlöscher gut erreichbar platzieren und alle zwei Jahre prüfen lassen Flucht- und Rettungswegeplan erstellen Flucht- und Rettungswege kennzeichnen und freihalten brennbare Flüssigkeiten getrennt von leicht entzündlichen Materialien wie Papier lagern keine brennbaren Materialien unter Treppen oder vor Notausgängen lagern Personenbezogen: Mitarbeiter auf Brandrisiken hinweisen, zum Beispiel brennbare Desinfektionsmittel Mitarbeiter über vorhandene Schutzmaßnahmen informieren und im Umgang mit Feuerlöschern schulen Elektrischer Strom Ziel: Vermeiden, dass es zu einem Stromschlag kommt Gefährdung Mögliche Folgen Zielgruppe Typische Gefahrenquellen: Schadhafte Isolierungen an Geräten, elektrischen Anschlüssen oder Geräteabdeckungen, aufgrund derer elektrischer Strom durch den Körper fließen kann Atem-, Herzstillstand oder Herzkammerflimmern. Dann besteht Lebensgefahr Mitarbeiter und Patienten Mögliche Maßnahmen: Technisch: Ausschließlich elektrische Geräte mit CE- oder GS-Kennzeichnung nutzen Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (FI-Schalter) installieren Organisatorisch: Elektrische Anlagen, Geräte, Kabel und Stecker regelmäßig durch eine Fachkraft überprüfen lassen (Hinweise dazu u.a. in der DGUV Vorschrift 3) Bestandsverzeichnis für Medizinprodukte anfertigen Personenbezogen: Mitarbeiter im sachgerechten Umgang mit elektrischen Geräten schulen Mitarbeiter anweisen, elektrische Geräte vor Inbetriebnahme auf sichtbare Schäden zu kontrollieren keine beschädigten Geräte verwenden Psychische Gefährdungsanalyse: kein Kann, sondern ein Muss Seit 2013 müssen alle Arbeitgeber nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchführen. So steht es im § 5 des Arbeitsschutzgesetzes. Ziel ist es, belastende Arbeitsbedingungen zu erkennen und sie so zu verändern, dass das Risiko für das Auftreten psychischer Belastungen so gering wie möglich ist. Folgende Bereiche sieht die BGW dabei als besonders wichtig an: Arbeitsinhalte und Arbeitsaufgabe – zum Beispiel Handlungsspielräume, Verantwortung und Qualifikation Arbeitsorganisation – zum Beispiel Arbeitszeit, Arbeitsabläufe und Kommunikation Soziale Beziehungen – mit Kollegen und dem Chef Arbeitsumgebung – etwa Faktoren wie Lärm und Ergonomie am Arbeitsplatz Arbeitsformen – wie befristete Arbeitsverhältnisse Auch diese Gefährdungsanalyse führen Sie anhand der sieben Schritte durch. Doch Anders als physische Belastungen, lassen sich psychische nicht oder nur sehr schwer objektiv messen, etwa anhand von Richtwerten. Daher ist es wichtig, dass Sie die Mitarbeiter mit ins Boot holen, um an entsprechende Informationen zu gelangen. Wie das am besten gelingt, lesen Sie in der BGW-Broschüre „Psychische Gesundheit im Fokus“. Infektionsschutz: Die Grundlagen eines guten Hygieneplans Je höher die Hygienestandards in Ihrer Praxis, desto geringer ist das Risiko, dass sich Ihre Mitarbeiter und die Patienten anstecken. Achten Sie darauf, dass der Hygieneplan vollständig und aktuell ist, alle Mitarbeiter über die Maßnahmen im Bilde sind und diese anwenden. Nehmen Sie entsprechende Regelungen auf zur: Händehygiene (vor und nach Arbeitsbeginn, bei Bedarf, Besonderheiten Patientenkontakt) Reinigung und Desinfektion von Flächen und Therapiegeräten Entsorgung von praxisspezifischem Abfall Beantworten Sie für alle Punkte folgende Fragen: Was, wie, wann, womit, wer? Die Antworten bilden den Inhalt des Plans. Außerdem gehören diese Artikel zum Themenschwerpunkt: Sicherheit in der Praxis: Arbeitsschutz, Unfallverhütung und Erste Hilfe Rechtliche Grundlagen zur Praxissicherheit Mehr als eine lästige Pflicht: „Eine Gefährdungsbeurteilung gibt Rechtssicherheit im Schadensfall.“ Erste Hilfe in der Praxis: Damit im Notfall alle richtig handeln (können)