Digitale Versorgung-Gesetz: Das steht drin!

„Wir machen die Patientenversorgung digitaler und damit auch patientenfreundlicher und besser“, mit diesem Satz verkündete Jens Spahn am 7. November 2019 den Beschluss des Digitale Versorgung-Gesetzes (DVG) im Bundestag. Es soll im Januar 2020 in Kraft treten. Viele damit einhergehenden Änderungen betreffen vorerst in erster Linie Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten. Doch mit dem Gesetz ist der Startschuss gefallen, dass auch in Therapiepraxen die Digitalisierung zunehmend Einzug hält. Der erste Schritt ist die freiwillige Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI) für Physiotherapeuten ab Juli 2021. Doch was ist eigentlich konkret geplant? Und wie könnten sich die Änderungen in naher Zukunft auch auf Therapeuten auswirken? 1. Gesundheits-Apps auf Rezept „Wir beschließen hier heute eine Weltneuheit. Wir werden das erste Land sein, das das Wildwest bei den Apps beendet“, sagte Spahn. Gemeint ist damit, dass sich Patienten künftig bestimmte Gesundheits-Apps vom Arzt verschreiben lassen können – etwa zur Unterstützung bei der Arzneimitteleinnahme. Für die Kosten kommt die gesetzliche Krankenversicherung auf – zunächst begrenzt auf ein Jahr. Das gilt jedoch nur für jene Apps, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Datensicherheit, Datenschutz und Funktionalität geprüft wurden. Während dieser Zeit muss auch der Nachweis über positive Versorgungseffekte erfolgen, sofern diese noch nicht vorliegen. Sprich: Auch Apps, bei denen der Nachweis fehlt, können verschrieben werden. Vision: Nicht nur Patienten mit Bluthochdruck können von Apps auf Rezept profitieren, sondern auch jene im Bereich der Physio-, Ergotherapie und Logopädie. Das Smartphone erinnert Patienten zum Beispiel daran, ihre Therapieübungen regelmäßig durchzuführen, dokumentiert die Fortschritte und leitet die Daten über eine sichere Verbindung zur Auswertung an die Therapiepraxis weiter. In abgespeckter Form gibt es so etwas bereits: u.a. die Sprachtherapie-App Neolino. Das Programm ergänzt die Therapie bei einem Logopäden und soll Kindern zwischen drei und sieben Jahren dabei helfen, Sprechfehler abzubauen. Kritik: Es besteht das Risiko, dass vermehrt Apps anstelle von Heilmittetherapie verschrieben werden. Zudem behalten Ärzte weiterhin die Verschreibungshoheit. Das Problem dabei ist, dass sie können den Nutzen der App auf den Therapieerfolg oftmals gar nicht bewerten können. Apropos Nutzen: Der Nachweis dafür kann für digitale Gesundheitsanwendungen laut DVG durch Fallberichte, Expertenmeinungen, Anwendungsbeobachtungen, Studien oder sonstige valide Erkenntnisse erfolgen. Wie spezifisch diese Beweismöglichkeiten sind, darüber lässt sich streiten. Ein weiterer Punkt ist der Datenschutz. Entsprechende Apps stehen immer wieder in der Kritik. So berichtet unter anderem die Organisation Privacy International regelmäßig über die Weitergabe von Daten durch Gesundheitsapps. 2. TI: Ein Netzwerk für alle Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten mussten sich bis zum 29. Juni dieses Jahres an die Telematikinfrastruktur (TI) anschließen lassen, weitere Berufsgruppen folgen nach und nach bis Januar 2021. Freiwillig können sich auch Physiotherapiepraxen voraussichtlich ab Juli 2021 anbinden lassen. Diese flächendeckende Anbindung an die TI soll den Austausch der Gesundheitsberufe untereinander fördern, indem eine Art virtuelles privates Netzwerk zur nichtöffentlichen Kommunikation geschaffen wird. Zudem sollen Abläufe digitalisiert werden. Vision: Die gesamte Krankengeschichte eines Patienten ist an einem Ort zentral gespeichert. Ärzte, Therapeuten und andere Angehörige des Gesundheitswesens können darauf zugreifen. Therapeuten können durch die dort hinterlegten und frei zugänglichen Informationen des Arztes zielgerichteter behandeln. Ein weiterer Punkt: Sie können die mündlich geschilderte Krankengeschichte des Patienten mit der hinterlegten Krankengeschichte abgleichen und bei Unklarheiten gezielt nachfragen. Kritik: Im Zuge der TI wird zwar immer von einer flächendeckenden Vernetzung zwischen den Gesundheitsberufen gesprochen, Fakt ist jedoch, dass wir davon noch meilenweit entfernt sind. Und auch in puncto Datenschutz macht die TI immer wieder Negativschlagzeilen – mit ein Grund dafür, warum viele Ärzte die Anbindung verweigern. 3. Für Videosprechstunden werben Dass Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen Videosprechstunden anbieten dürfen, ist nicht neu. Im DVG ist nun jedoch geregelt, dass Ärzte künftig auf ihrer Internetseite über solche Angebote informieren dürfen. Auch die Aufklärung für eine Videosprechstunde kann jetzt online stattfinden und nicht mehr wie bisher persönlich im Vorfeld. Vision: Physio-, Ergotherapeuten und Logopäden können über die Videosprechstunde Übungen zeigen und überprüfen, ob die Patienten sie richtig ausführen – eine Art virtueller Hausbesuch. Gerade ältere und chronisch kranke Patienten müssten so seltener den Weg in die Praxis auf sich nehmen. Auch für Familien mit mehreren Kindern ist diese Lösung interessant (Stichwort: Vereinbarkeit), ebenso für die Betreuung von Patienten auf dem Land. Kritik: Generell findet das Thema Videosprechstunde unter der Ärzteschaft Zuspruch. Seit dem 1. Oktober 2019 wurden dahingehend nun auch die Abrechnungspauschalen angepasst. Doch die Nachbesserungen stoßen auch auf Kritik. Die Medical Tribune bezeichnete diese kürzlich in einem Artikel als Mogelpackung. Der Ansatz der Versichertenpauschale sei keine Verbesserung. Bei alleinigen Videokontakten würden Abschläge vorgenommen, die mit den jetzt zusätzlich berechnungsfähigen Leistungen erst einmal aufgeholt werden müssten. Kürzungen könnten auch Therapeuten blühen. 4. Mehr digital, weniger Papier Durch finanzielle Anreize soll es für Ärzte attraktiver werden, den Arztbrief elektronisch zu übermitteln. Besonders interessant für Therapeuten: Neben der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und dem E-Rezept kommt nun auch die elektronische Heil- und Hilfsmittelverordnung. Vision: Bereits jetzt befinden sich auf Heilmittelverordnungen aus Papier Barcodes, mit denen Therapeuten Zugriff auf die Verordnungen haben. Scannt man diesen ab, bekommt man die für einen relevanten Daten angezeigt, ebenso wie die Nachricht, dass die Krankenkasse die Verordnung genehmigt hat. Hier wäre eine Erweiterung möglich: Wie es bei den Verordnungen von häuslicher Pflege im Blankobedruckungsverfahren schon heute Standard ist, lässt sich der Barcode um die vollständigen Verordnungsinformationen erweitern. Ein weiterer Schritt wäre dann, dass der Patient das Rezept nicht mehr in Papierform erhält, sondern als QR-Code direkt auf sein Smartphone. Sie scannen den Code ab, erhalten alle Informationen auf einen Blick und im Idealfall erfolgt ganz automatisch die Abrechnung im Hintergrund. Kritik: Laut PraxisBarometer Digitalisierung 2019 der KBV stufen 60 Prozent der Arzt- und Psychotherapiepraxen den elektronischen Arztbrief als sinnvolle Anwendung ein. Dennoch werde er kaum genutzt, so KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Die praktische Umsetzung sei zu kompliziert. Es fehle an geeigneten Schnittstellen und es sei umständlich, die qualifizierte elektronische Signatur für jedes einzelne Dokument zu generieren. Ein ähnliches Problem bestehe mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Zudem kritisiert der KBV-Chef die bestehenden Hybridlösungen für viele Prozesse – halb digital und halb analog. Ob Flugticket, Eintrittskarte oder Bahnticket: Digitale Lösungen gibt es bereits viele. Warum tut sich der Gesundheitssektor so schwer? 5. Gesundheitsdaten für die Forschung Dass Daten von den Krankenkassen erhoben und ausgewertet werden, ist per se nichts Neues. Nun soll dies jedoch deutlich umfangreicher geschehen. In einer zentralen Forschungsdatenbank werden zukünftig Informationen von gesetzlich Versicherten gesammelt und für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt. Es geht unter anderem um Angaben zum Alter, Geschlecht, Vitalstatus und Behandlungsleistungen. Diese werden in pseudonymisierter Form an den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen übermittelt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik soll dafür bis spätestens Ende 2021 ein schlüsselabhängiges Verfahren festlegen. Vision: Gesundheitsdaten sind ein wertvoller Schatz und bieten großes Potenzial für innovative Medizin. So können Patienten etwa individueller und präziser diagnostiziert und behandelt werden. Die Daten können für die Entwicklung neuer Therapien genutzt werden. Aber auch bestehende Therapiekonzepte können personalisierter gestaltet werden – etwa unter Einbindung von Risikofaktoren. Gleiches gilt für Vorsorgeprogramme. Möglich wäre zudem, die Versorgungsengpässe auf dem Land detaillierter zu erfassen und diesen unter anderem ergänzend mit digitalen Lösungen wie Videotherapien entgegenzuwirken. Kritik: Warum haben nur Krankenkassen Zugriff auf die Daten? Sollten diese im Hinblick auf die Forschung kein Gemeingut für alle Angehörige der Gesundheitsberufe sein? Die Deutungshoheit liegt wieder einmal nur bei den Krankenkassen. Diese Tatsache könne laut Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, zu einem weiteren Problem führen: Sie könnten Druck ausüben, kostengünstigere Medikamente zu verschreiben. Die Finanzlage der Krankenkasse könne dann noch viel mehr darüber entscheiden, welche Versorgung der Versicherte bekommt. Hinzu kommt, dass die Daten – Stand November 2019 – ganz ohne vorherige Einwilligung durch die Versicherten gesammelt und weitergegeben werden. Widersprechen ist nicht möglich. Die Digitale Gesellschaft e. V., ein gemeinnütziger Verein, der sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 für Grundrechte und Verbraucherschutz im digitalen Raum einsetzt, warnt in einem öffentlichen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags ganz deutlich vor der zentralen Massenspeicherung von sensiblen Gesundheitsdaten. Sie sei extrem anfällig für Missbrauch und Sicherheitslücken. Gesundheitsdaten müssten grundsätzlich dezentral und nach Zwecken getrennt verarbeitet werden. Zudem widerspreche sie dem Grundrecht auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung und damit den Prinzipien der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Und selbst der Bundesrat übt Kritik an der geplanten Datensammlung. Die Krankenkassen könnten in großem Umfang individuelle Gesundheitsprofile erstellen, wodurch die Persönlichkeitsrechte der Versicherten verletzt würden. Zudem bestehe die Gefahr der Diskriminierung von einzelnen oder bestimmten Risikogruppen. Es gibt aber auch einige, denen die geplante Datennutzung noch nicht weit genug geht. Die Bitkom e. V., der Digitalverband Deutschlands, etwa, spricht sich in einer Pressemeldung dafür aus, die Gesundheitsdaten auch für private Forschung sowie für die Hersteller von Medikamenten und Gesundheitsdaten verfügbar zu machen. Außerdem gehören diese Artikel zum Themenschwerpunkt: Themenschwerpunkt Digitale-Versorgung-Gesetz Digitale-Versorgung-Gesetz: Das steht drin Meinungsbild zum DVG Telematikinfrastruktur: Darum geht’s „Wir versuchen, Therapeuten niederschwellige Alternativen zur TI anzubieten.“ - Interview mit Dr. Ulf Maywald, Leiter des Geschäftsbereichs Arznei- und Heilmittel bei der AOK PLUS TI: Sorgenkind Datenschutz