Physiotherapie-Praxis auf Rädern

Ein umgebauter Rettungswagen ist die mobile Praxis von Erfan Barogh. Damit fährt der Physiotherapeut aus dem hessischen Taunusstein seit 2018 zu Kunden, Firmen und Veranstaltungen und bietet den Menschen direkt vor Ort seine Dienste an. Die Idee dazu entwickelte der 34-jährige Praxisinhaber während seiner Zeit als Rettungsassistent und entdeckte damit eine Marktlücke. „Wenn ein fahrendes Krankenhaus möglich ist, dann wäre doch auch eine fahrende Physiotherapie-Praxis denkbar“, überlegte sich Erfan Barogh vor fünf Jahren und setzte den Gedanken gleich in die Tat um: Er erwarb einen gebrauchten Rettungswagen und baute ihn gemeinsam mit seiner heutigen Ehefrau Tamara zu einer mobilen sechs Quadratmeter großen Physiotherapie-Praxis um. Der Wagen bietet das gesamte Equipment, das er für die Behandlung braucht: Eine moderne Therapieliege, ein Waschbecken, Schränke für Öle, Tapes sowie Sport- und Gymnastikgeräte und sogar eine spezielle Musik- und Lichtanlage für individuelle Kundenwünsche. „Ein einmaliges Angebot“, so Barogh, „das es in der näheren Umgebung so noch nicht gibt.“ Mailing-Aktion brachte den ersten Kunden Nach der Fertigstellung des Trucks 2018 kümmerten sich Barogh und seine Frau darum, die rollende Physiotherapie-Praxis bekannt zu machen: Sie entwarfen Flyer und Visitenkarten, machten Werbung in den sozialen Medien und schrieben mehr als 50 Firmen direkt an. „Eine frustrierende Erfahrung“, erinnert sich Barogh heute, „denn es kam keine einzige Antwort.“ Erst sein Angebot über vier Stunden kostenlose Physiotherapie für Mitarbeiter lockte das eine oder andere Unternehmen, den „physiotruck“ zu buchen. Das Lebensmittelunternehmen Lizza wurde sein erster Kunde, das Einrichtungshaus IKEA sein größter und die Stadtverwaltung von Taunusstein ist mittlerweile sein Stammkunde. Physio-Praxis kommt zu den Kunden Mit seiner Praxis auf Rädern wollte der Praxisinhaber besonders Firmen ansprechen, die zum Wohle ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein betriebliches Gesundheitsmanagement anbieten. Er ist überzeugt, dass die Menschen sich freuen, für eine kurze Zeit dem Büroalltag entfliehen zu können, ohne dabei einen eigenen großen Aufwand zu haben. „Und das ist unser großes Plus – wir bringen die Physio-Praxis zu ihnen“, so Barogh. Der Bedarf sei groß, viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätten gesundheitliche Probleme, oft verursacht durch eine ungesunde Körperhaltung. Daher sei die betriebliche Gesundheitsfürsorge wichtig - denn davon profitieren sowohl Angestellte als auch Arbeitgeber. Vielleicht könne er mit seinem Angebot einen kleinen Beitrag dazu leisten, die Krankenstände in den Firmen zu senken und für mehr Motivation und Arbeitsfähigkeit bei den Mitarbeitern zu sorgen. Vielfältiges Angebot aus dem Bereich Wellness und Prävention Hat er einen „Einsatz“, parkt Barogh seinen Truck auf dem Firmengelände und bietet in seinem mobilen Behandlungsraum qualifizierte physiotherapeutische Leistungen. Dazu gehören neben Krankengymnastik und Massagetherapie auch Wärme- und Kältetherapie, Kinesiologie-Taping sowie auch ein Personal Training, das Tipps und Tricks für den täglichen Sport und eine gesunde Ernährung verrät. „Ich möchte einfach die Lebensqualität meiner Kunden steigern“, so sein Credo. Tätig werden darf er allerdings nur im Bereich Wellness und Prävention, die Behandlung akuter Erkrankungen und frisch Operierter ist ausgeschlossen. „Die häufigsten Beschwerden, die ich in meinem Truck behandle, sind Wirbelsäulen- und Nackenprobleme.“ Auch Künstler nutzen die rollende Praxis Mittlerweile buchen acht Unternehmen den „physiotruck“ regelmäßig, vier davon nutzen die Leistungen sogar einmal in der Woche. In der Regel parkt die rollende Physiotherapie-Praxis dann sechs bis acht Stunden auf dem Firmengelände. Heute werden die Kund:innen nicht mehr vom Praxischef persönlich betreut, das übernimmt nun einer seiner Mitarbeiter. „Ich habe mir die Rosinen herausgepickt“, schmunzelt Barogh, „und behandle nur noch die Künstler.“ Zu seinen Kunden zählt er Rapper, Comedians, Sänger und Sportler. Und Backstage bietet er dann dem Künstler alles an, was diesen vor und nach dem Auftritt gut tut. Gleiche gute Behandlung für Jeden In seiner physiotherapeutischen Arbeit legt der Praxisinhaber sehr viel Wert auf Qualität - was sich auch in der Ausstattung der Räume widerspiegelt, die sehr individuell gestaltet sind (s. Hausbesuch in der September-Ausgabe von up). Getreu dem Motto „Gesundheit beginnt im Kopf`“ wollen er und sein Team Orte schaffen, an denen sich jeder direkt wohl fühle. Er vertritt die Philosophie, dass jeder – „ob Penner oder Prinz“ – die gleiche gute Behandlung verdient – hin und wieder auch zu einem reduzierten Preis. „Eine langjährige Kundin, die Hartz IV empfängt, zahlt bei mir statt 60 Euro pro halbe Stunde nur 15 Euro. Und meistens legt sie noch etwas Trinkgeld oben drauf“, was ihn sehr berührt hat. Kein Verständnis hat er dagegen für Menschen, „die sich den Stundensatz durchaus leisten können, aber anfangen mit mir zu feilschen…“. Zweites Standbein empfehlenswert Bezogen auf die Gesamteinnahmen der Privatpraxis macht der „physiotruck“ als zweites Standbein bisher personalbedingt nur einen geringen Anteil aus – etwa 20 Prozent. Dennoch ist Barogh von seinem Konzept nach wie vor überzeugt. Grundsätzlich kann er jedem Kollegen nur empfehlen, sich ein zweites Standbein aufzubauen. „Dazu muss man aber eine gehörige Portion Motivation mitbringen, einen langen Atem haben und auch Rückschläge wegstecken können.“ Wer jedoch für eine Idee brennt und bereit ist, sich 200-prozentig einzubringen, bei dem kann es, so Barogh, sicherlich funktionieren. Beim „physiotruck“ hat es funktioniert: Neben einer Förderung seines Start-Ups durch das PIONEER LAB der Hochschule Fresenius erreichte „physiotruck“ beim Hessischen Gründerpreis 2020 das Halbfinale in der Kategorie „Innovative Geschäftsidee“. Weitere Trucks als Leasing-Modell? Doch der Weg des „physiotruck“ soll noch weitergehen: Die Baroghs haben ein etwa 350 Quadratmeter großes Bürogebäude plus Lagerhalle angemietet. Mit der Eröffnung eines weiteren Standortes geht der Physiotherapeut seinem Wunsch nach, nun auch eine Kassenpraxis aufzubauen. Als er startete, fehlten ihm die finanziellen Mittel: „In der ersten Zeit der Selbständigkeit gab es nur einen Raum, eine Liege und ein Bad. Damit erfüllte ich die räumlichen Mindestvoraussetzungen für die Kassenzulassung einfach nicht.“ Das wird nun anders. Und außerdem träumt er davon, „weitere Trucks umzubauen und sie interessierten Kollegen zur Verfügung zu stellen – quasi als ein Leasing-Modell…“ Außerdem interessant: Kinder sind unsere Zukunft Logopäde besucht Therapiepraxen in ganz Deutschland