Sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz Praxisinhaber müssen ihre Mitarbeitenden schützen

„Sie sehen heute wieder so gut aus“, „Die Hose betont Ihre Reize aber auch perfekt“, ein Klaps auf den Hintern oder eine ungewollte Berührung – Befragungen zufolge kennen 70 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen solche sexuellen Übergriffe durch Patient:innen, Kolleg:innen oder Führungskräfte. Sexuelle Belästigung ist nicht nur unangenehm, sie kann zu psychischen Problemen führen und ist zudem verboten. In Heilmittelpraxen bleibt es nicht aus, dass sich zum Beispiel eine Patientin und ein Therapeut nahekommen. Problematisch wird es, wenn dabei Grenzenbüberschritten werden. Es gibt drei Arten von sexuellen Übergriffen: Nonverbale sexuelle Belästigung: Dies können unangemessene Gesten und Mimiken sein, aber auch das Zeigen pornografischer Bilder. Entblößt sich ein Patient vor Euch, zählt das auch dazu. Verbale sexuelle Belästigung: Anspielungen, anzügliche Bemerkungen, sexuelle Witze und übergriffige Komplimente fallen darunter. Körperliche sexuelle Belästigung: Hierzu zählen ungewollte Berührungen, Küssen, Streicheln bis hin zu Vergewaltigungen. In einer Umfrage der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) aus dem Jahr 2021 wurden die Antworten von 900 Beschäftigten aus Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Werkstätten und Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung ausgewertet. Etwa 63 Prozent der Mitarbeitenden gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal nonverbale sexuelle Belästigung erfahren zu haben. In Kliniken kamen verbale Belästigungen häufiger vor und in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen kam es öfter zu körperlichen Übergriffen. Laut der Umfrage werden Frauen häufiger verbal und körperlich belästigt als Männer, Männer dafür häufiger nonverbal. Für den niedergelassenen Bereich gibt es keine Zahlen, es sei aber davon auszugehen, dass die Lage dort ähnlich sei. Belästigungen haben Folgen Wie eine Person mit sexueller Belästigung umgeht, ist ganz unterschiedlich. Unangemessene Übergriffe können jedoch zu Depressionen, Konzentrations- und Schlafstörungen sowie Erschöpfungszuständen führen. Findet die Belästigung immer wieder statt, zum Beispiel weil der Stammpatient sich bei jedem Termin anzüglich verhält, kann es dazu kommen, dass die Therapeutin nicht mehr zur Arbeit kommen mag – häufige Fehlzeiten können ein Anzeichen sein. Als Chefin oder Chef seid Ihr verantwortlich für das Wohl Eurer Mitarbeitenden. Ihr habt eine Fürsorgepflicht. Dazu gehört auch, Angestellte vor Belästigungen zu schützen. Nach § 3 Abs. 4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) liegt eine sexuelle Belästigung vor, wenn ein „unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird“. Beobachtet Ihr selbst also ein unpassendes Verhalten von einem Mitarbeiter oder einer Patientin, greift ein. Zudem solltet Ihr Euren Mitarbeiter:innen Glauben schenken, wenn sie Euch von unangemessenen Situationen berichten. Im Zweifel macht Ihr Euch schadenersatzpflichtig, solltet Ihr Eurer Team nicht ausreichend vor sexueller Belästigung schützen. Im Team Regeln aufstellen Um sexuellen Übergriffen vorzubeugen, könnt Ihr gemeinsam im Team Verhaltensregeln im Umgang mit Patientinnen und Patienten, aber auch Kolleg:innen aufstellen. Diese können je nach Persönlichkeit der Mitarbeitenden völlig unterschiedlich aussehen. Innerhalb des Teams könnt Ihr zum Beispiel folgende Fragen klären: Sind Komplimente untereinander erwünscht? Wie sieht es mit Umarmungen aus? Wie gehen wir mit anzüglichen Witzen um? Es gibt nur einen Mann im Team? Was empfindet er als unangenehm? Wer mag Berührungen, zum Beispiel am Arm, während einer Unterhaltung und wer nicht? Wichtig: Macht allen im Team klar: „Ich toleriere keine Form der sexuellen Belästigung in meiner Praxis. Jeder, der sich belästigt fühlt, findet bei mir ein offenes Ohr. Ich stehe hinter Euch und unterstütze Euch, wenn Ihr in eine missliche Lage geratet.“ Wenn Ihr merkt, dass Ihr nicht die richtige Ansprechpartner:in für Euer Team seid, dann bestimmt gemeinsam eine Vertrauensperson. Welche Regelungen möchtet Ihr im Umgang mit Pati- enten aufstellen? Beispiele: Wir siezen unsere Patientinnen und Patienten. Wir kommunizieren konkret, welche Kleidungsstücke sie für die Behandlung ausziehen müssen und welche am Körper verbleiben. Wir kündigen Berührungen immer vorab an und fragen um Erlaubnis. Kommt es zu einer unangenehmen Situation mit einem Patienten, sprechen wir direkt darüber und suchen nach Lösungen. Ist der Patient „nur“ etwas vernarrt in einen bestimmten Mitarbeiter, kann ein Therapeutenwechsel helfen. Wiegen die Vorwürfe gegen eine Patientin oder einen Patienten schwerer, könnt Ihr als Praxisinhaber:in ein Hausverbot aussprechen. Hinweis: Dokumentiert jede Form der sexuellen Belästigung, die an Euch herangetragen wird mit Namen, Datum, Uhrzeit und einer kurzen Beschreibung der Belästigung. Das hilft zum einen, wenn es um straf- und arbeitsrechtliche Belange geht, und hilft Euch auch, zu überblicken, wie gefährdet Eure Mitarbeiter:innen im Alltag sind. Unterstützung anfordern Wenn Ihr sexueller Belästigung im Team vorbeugen und Eure Mitarbeitenden für das Thema sensibilisieren möchtet, findet Ihr im Internet verschiedene Coachings. Solltet Ihr Hilfe bei einem bestimmten Fall benötigen, könnt Ihr Euch auch an Eure Berufsgenossenschaft wenden.