„Alle großen Verbände in der Physiotherapie sind sich einig, dass wir die grundständige Akademisierung haben wollen und haben müssen“

Im Mai hat das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen eine neue Kampagne gestartet, um die Akademisierung voranzutreiben. Kürzlich gab es einen offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, in dem u. a. die Probleme aufgezeigt werden, die eine Teilakademisierung mit sich bringen würde. Wir haben mit Andrea Rädlein über die Hintergründe der Kampagne gesprochen. Sie ist Vorsitzende von PHYSIO-DEUTSCHLAND und mit ihrem Verband Mitglied im Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen. Frau Rädlein, können Sie uns zum Einstieg kurz erklären, was das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen eigentlich ist? Das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen ist ein Zusammenschluss von Verbänden und Institutionen, die sich für die Akademisierung aussprechen, weil wir glauben, dass sich die Politik hier sehr schwer tut. Es gibt zu viel Meinungs- und Stimmungsbildung, sodass wir als Bündnis ein Zeichen setzen wollen. Innerhalb der Logopädie ist sich der Berufsstand einig, dass man akademisiert werden will. Den gleichen Eindruck habe ich in der Ergotherapie. In der Physiotherapie ist das hingegen nicht so eindeutig. Stimmt das? Ja, bei der Logopädie und Ergotherapie stimme ich Ihnen zu. Aber auch in der Physiotherapie sind sich alle großen Verbände in der Sache einig, dass wir eine grundständige Akademisierung haben wollen und haben müssen. Was bedeutet denn grundständige Akademisierung? Müssen jetzt alle Therapeuten akademisch werden? Wir haben einen Bestand von Physiotherapeuten, die wirklich gut qualifiziert sind, durch Weiterbildungen und Berufserfahrung und, und, und. Da muss man sich Gedanken machen, wie man alle mitnimmt in ein neues System, Stichwort: Bestandsschutz. Aber die Ausbildung an sich muss akademisch werden. Da führt kein Weg dran vorbei. Und da nützt auch kein Weg, wie ihn die Politik derzeit plant, mit einer sogenannten Teilakademisierung, also mit einem Weg über die fachschulische Ausbildung und dem anderen Weg über die akademische Ausbildung. Warum sind Sie für die grundständige Akademisierung und gegen die Teilakademisierung? Die grundständige Akademisierung wäre die Lösung für alle Probleme, die derzeit in der Politik diskutiert werden. Die Politik versucht hier gerade, Unterschiede zwischen fachschulisch und akademisch ausgebildeten Therapeuten zu finden und Aufgaben zuzuordnen. Das ist aber eigentlich unmöglich. Es gibt zum Beispiel Diskussionen, ob der Bachelor eine Voraussetzung für den Direktzugang sein soll. Dabei haben wir bereits die rechtliche Grundlage für den Direktzugang über den sektoralen Heilpraktiker – auch ohne Bachelor-Abschluss. Ich habe kürzlich mit dem Vorsitzenden des Verbands Leitender Lehrkräfte an Physiotherapieschulen gesprochen. Er meinte, alle Lehrkräfte an Therapieschulen sind für die Vollakademisierung. Ja, denn das, was wir dem BMG vorgeschlagen haben, beinhaltet eine Transformationszeit von zehn bis fünfzehn Jahren. Dabei werden alle Schulen mitgenommen, denn wir brauchen auch weiterhin die praktische Ausbildung. Es geht darum, die theoretische Ausbildung an den Hochschulen und die praktische Ausbildung an den Fachschulen miteinander zu verknüpfen. Es geht nicht darum, zu sagen, das eine ist besser und das andere schlechter. Wenn sich doch alle einig sind, wo kommt dann überhaupt die Idee zur Teilakademisierung her? Hört die Politik nicht zu? Im Moment werden in der Politik viele Sachen beschlossen, ohne dass die eigentlichen Berufsvertretungen eingebunden sind. Das sehen wir bei der Krankenhausreform, da sitzt die DKG nicht mit am Tisch; die Ärzte beklagen massiv, an den Prozessen der medizinischen Versorgung nicht beteiligt zu werden, und genauso ist es jetzt, wenn über die Länder Begleitgremien gebildet werden, in denen die Berufsverbände nicht mit dabei sind. Wir haben zum Glück eine Vorstandsvorsitzende, die als Expertin in einem Begleitgremium sitzt, aber die Diskussionen sind da doch sehr verhalten. Man muss sich also schon fragen, aus was heraus hier Veränderung entsteht. Was hat das Bündnis denn als weitere Maßnahmen für die kommenden Wochen und Monate geplant? Wie kann man die Kampagne unterstützen? Es ist eine Kampagne, die sich vor allem im Social Media-Bereich bewegt. Man kann sie also unterstützen, indem man die Beiträge teilt und kommentiert. Wir geben zudem gezielte Mitteilungen an die Politik, den Bund und die Landespolitik, und stehen auch gern zur Verfügung, wenn es um inhaltliche Fragen dazu geht, warum wir die grundständige Akademisierung wollen. Denn ich denke, dass grundsätzlich politische Entscheidungen mit den Entscheidern vor Ort getroffen werden müssen. Irgendwie scheint es aktuell jedoch gang und gäbe zu sein, dass Menschen entscheiden, die mit dem Beruf vielleicht gar nicht so viel zu tun haben. Zudem ist der tatsächliche Grund, warum sich die Länder gegen eine Akademisierung wehren, die Finanzlage. Denn dann wäre es Landesaufgabe und auch die Finanzierung müsste über die Länder laufen. Da stimme ich Ihnen zu. Das ist der Grund, warum es immer noch keine Akademisierung gibt und das Thema seit Jahren vor sich hergeschoben wird. Ja, das sehe ich auch so. Frau Rädlein, vielen Dank für das Gespräch. Hörtipp: Vollakademisierung im up-podcast Das komplette Gespräch mit Andrea Rädlein könnt Ihr Euch hier im up-podcast anhören: www.up-aktuell.de/bündnis Hinweis: Den offenen Brief an den Bundesgesundheitsminister findet Ihr hier: https://tinyurl.com/brief-bmg