Kommunikation – auch ohne Sprache

Auch Menschen mit Beeinträchtigungen ihrer Sprache kommunizieren, nur anders – beispielsweise mit ihren Augen oder mit Gesten. „Es sind kleine Zeichen, die das Umfeld verstehen lernen muss“, sagt die Logopädin Sabrina Beer, die schon als Intensivkrankenschwester die Unterstützte Kommunikation (UK) für sich und ihre Patientinnen und Patienten entdeckte. In der Logopädie war die UK noch ein wenig beachteter Bereich, also etablierte die Therapeutin 2013 die Praxis LogBUK mit dem Schwerpunkt UK. Während ihrer Zeit in einer Klinik für Neuropädiatrie arbeitete Sabrina Beer im UK-Team. Sie lernte viele therapeutische Maßnahmen kennen, die unter dem Begriff „Unterstützte Kommunikation“ gefasst werden, um die kommunikativen Möglichkeiten ihrer kleinen Schützlinge ohne Lautsprache zu erweitern. Neben körpereigenen Ausdrucksweisen wie Gestik, Mimik, Blickbewegungen oder Gebärdensprache gehörten dazu auch körperfremde Hilfsmittel wie Bilder, Fotos oder Symbole. Zudem kamen elektronische Medien wie sprechende Tasten, Tablets und spezielle Kommunikationsgeräte zum Einsatz, um die Kommunikation zu erleichtern und/oder zu ermöglichen und damit die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Kaum ambulante Angebote nach Klinikentlassung Das lief gut, solange die Kinder in klinischer Behandlung waren. Diese erstreckte sich teilweise über Monate oder sogar Jahre. Aber nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus war es sehr schwierig, eine ambulante Anbindung an Praxen zu finden, um die begonnenen Maßnahmen im Bereich UK erfolgreich weiterzuführen. „Bei meinen Recherchen stieß ich lediglich auf einzelne Beratungsstellen“, erinnert sich die 44-jährige Logopädin. „Diese kümmerten sich jedoch vorwiegend um Kinder im schulischen Umfeld und boten lediglich Beratung und selten begleitende Therapien an.“ Erstes Angebot von einer Inklusionsschule Zu dieser Zeit begleitete Sabrina Beer den achtjährigen Jungen Maxi, der eine Zerebralparese hat und bereits technische Hilfsmittel für die Kommunikation nutzte. Er besuchte eine inklusive Grundschule, die der Logopädin anbot, UK in der Schule mit 20 Stunden in der Woche zu etablieren. Die Logopädin nahm das Angebot mit Freude an – ein erster Grundstock für den Aufbau der Schwerpunktpraxis. Vor Ort begleitete sie fünf Kinder mit UK-Bedarf und schulte gleichzeitig die Fachkräfte. Erleichtert wurde ihr Start durch ihre langjährige Erfahrung und das profunde Wissen, das sie sich in vielen Fortbildungen angeeig- net hatte. Außerdem hatte sie sich einen Pool an einfachen Hilfsmitteln zugelegt, wie spezielles Spielzeug und Tablets mit entsprechenden Apps. Nachfrage nach UK war riesig Schnell merkte sie, dass die Nachfrage nach UK sehr groß war. „Nach nur drei Monaten war der Zulauf in der Praxis riesig. Nicht nur Eltern suchten die Kooperation, sondern auch zunehmend Einrichtungen, wie beispielsweise Frühförderstellen und heilpädagogische Tagesstätten.“ Sabrina Beer suchte weiteres Personal, das sich für UK interessierte. Sie entwickelte ein spezielles Schulungskonzept, das alle Neuen im Team in den ersten drei Monaten in der Einarbeitung in diesen Fachbereich unterstützt und leitet. Gleichzeitig baute sie ihr Seminarprogramm kontinuierlich aus. Inzwischen bietet das Praxisnetzwerk auf seiner Website neben klientenspezifischen Präsenzseminaren Online-Seminare, Zertifikatskurse, individuelle Fortbildungen, Weiterbildungen und UK-Intensivwochen an. Auch die Fortbildung der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist ein großes Anliegen der Praxis. „Wir haben ein Fortbildungsbudget für unser Team, und unsere Mitarbeiterinnen können jederzeit auch an den (Online-)Fortbildungen und Weiterbildungen für den Fachpersonenkreis teilnehmen.“ LogBUK mittlerweile an drei Standorten Zunehmend wurden auch Kolleginnen und Kollegen auf die UK aufmerksam. Einige von ihnen traten an LogBUK heran und baten, beim Aufbau einer Schwerpunktpraxis für UK in ihrer Region behilflich zu sein. Dieser Bitte kam die Logopädin sehr gerne nach. Mittlerweile gibt es die Schwerpunktpraxis LogBUK an drei Standorten. Nach dem Start in Rosenheim im November 2013 folgten 2018 die Praxen in Bremen und Aachen. Aktuell sind 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Praxen beschäftigt, wobei die Teams inzwischen interdisziplinär sind. Es gibt einen regelmäßigen Austausch zwischen den Standortleitungen, regelmäßige Fallbesprechungen und Materialaustausch sowie einmal pro Jahr treffen sich alle Teams vor Ort. Therapieeinheit dauert 45 bis 60 Minuten Auf die Frage an die Erwachsenen mit erworbenen Kommunikationsschwierigkeiten, was sie sich wün- schen, antworten die meisten: „Es soll so werden, wie es vor der Erkrankung war.“ Das ist in den meisten Fällen allerdings unrealistisch, weiß die Therapeutin aus ihrer langjährigen Erfahrung. Ziel der UK ist es, die Fähigkeiten des Betroffenen herauszufinden und mit den entsprechenden Hilfen zu fördern. Eine Therapieeinheit dauert in der Regel 45 bis 60 Minuten, sie findet entweder in der Praxis oder in der Kita, in der Schule, in Betrieben oder im häuslichen Umfeld statt. Einmal kam ein 58-jähriger Mann in ihre Praxis, der fünf Jahre zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte. „Er war sehr verbittert und misstrauisch“, erinnert sich die Logopädin. „Bis auf seine Lebensgefährtin und seine Therapeuten waren alle Kontakte weggebrochen.“ Anfangs lehnte er die Behandlung kategorisch ab. „Dabei war das Problem nicht die UK, sondern die lange Zeit, in der nichts passiert war.“ Sabrina Beer erprobte einiges, und allmählich begann er sich zu öffnen. UK sollte ins Curriculum integriert werden „Leider ist die Existenz von UK noch zu wenig im Bewusstsein von Ärzten und Therapeuten vorhanden“. Eigentlich gehöre diese Therapie in jedes Lehrprogramm, ist Sabrina Beer überzeugt, aber es gibt nur einzelne Schulen bzw. Universitäten, die UK vermitteln. „Es wäre wünschenswert, wenn UK ins Curriculum der Logopädie-Ausbildung/Studium integriert würde!“ Denn mit den technischen Möglichkeiten sei heute viel mehr möglich, um die Kommunikation der Betroffenen zu erleichtern oder zu ermöglichen. Behandlung startet oft zu spät Die Logopädin erinnert sich an den Fall eines Parkinson-Patienten. Eine Kollegin bat sie um Rat, da sich dessen Verständlichkeit rapide verschlechterte. Als sie dem Betroffenen drei Wochen später begegnete, hatten die behandelnden Therapeuten in der Zwischenzeit nichts in Richtung UK gemacht, nicht mal niederschwellige Angebote wie eine Buchstaben- oder Phrasentafel. „Das ist verlorene Zeit für die Patienten“, entrüstet sich noch heute Sabrina Beer, „die Patienten erleben sich ausgeliefert und abhängig gegenüber ihren Kommunikationspartnern – Nichts- tun dient keiner Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten. Aber das ist leider kein Einzelfall!“ UK zeigt schon bei den Kleinsten Wirkung Die Logopädin hat auch positive Erfahrungen gemacht, und diese zeigen, dass die UK selbst bei den Kleinsten schon Wirkung zeigt: Sie behandelte ein kleines Mädchen von vier bis fünf Jahren, das an schweren Bewegungsstörungen litt und sich nicht artikulieren konnte. Schließlich lernte sie, über ihre Augen zu kommunizieren. Bei einem Frühstück mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder fragte ihre Mutter, was sie denn wolle. Ihr Blick richtete sich auf den Orangensaft. Anschließend fragte der Vater ihren Bruder, doch dieser antwortete nicht. Beim dritten Versuch schließlich meinte er sichtlich entrüstet: „Mensch, Papi, ich habe doch schon die ganze Zeit auf die Milch geschaut!“ Arbeit mit den Patienten in den Hintergrund gerückt Inzwischen macht die Arbeit mit der Patientin oder dem Patienten für Sabrina Beer nur noch einen geringen Teil ihrer Tätigkeit aus – etwa zehn Prozent. „Ich habe nur noch ein paar wenige Patienten, um auch den Zugang nicht zu verlieren.“ Einer davon ist ihr „ältester“ Patient Maxi, der mittlerweile 18 Jahre alt ist. Er hat bereits seinen Hauptschulabschluss und einen Teil der mittleren Reife geschafft. Der zweite Teil folgt nächstes Jahr. Sein Berufswunsch: Bürokaufmann und UK-Botschafter in eigener Sache. Fortbildung ist Basiswissen für UK Das Haupt-Aufgabenfeld von Sabrina Beer liegt ne- ben der konzeptionellen Ausrichtung der Praxis und Supervision im Bereich Fortbildungen – als „Botschafterin für die Unterstützte Kommunikation“ möchte sie das Thema noch stärker in die Öffentlichkeit tragen. „Es ist super spannend“, sagt die Logopädin, „und ich kann es nur allen Kollegen empfehlen, wenn sie sich spezialisieren wollen.“ Sie müssten neugierig sein und die Bereitschaft haben, sich einzuarbeiten. „Und natürlich eine gewisse Affinität zu Technik mitbringen.“ UK bedeutet „learning by doing“, so Sabrina Beer. „Fortbildungen sind lediglich das Basiswissen für eine erfolgreiche Therapie!“