„Es bedarf einer gesunden Mischung aus Fördern der Mitarbeiter und Fordern von Leistung.“

Die Unternehmerin Tina Dammel betreibt gemeinsam mit ihrem Ehemann das Therapie- und Trainingszentrum MediFit in Rüsselsheim. Vor 15 Jahren begann alles mit 15 Mitarbeiter:innen, mittlerweile beschäftigt sie mehr als 100 Therapeutinnen und Therapeuten – alle an einem Standort. Allein im vergangenen Jahr kamen 14 neue Mitarbeitende zum Team hinzu. Wie ihr das in Zeiten des Fachkräftemangels gelungen ist und worauf sie als Unternehmerin besonderen Wert legt, erzählt sie im Gespräch mit Dr. Barbara Wellner. Tina, Du führst ein mittelständisches Unternehmen mit 120 Mitarbeitenden. Was zeichnet Dich als Arbeitgeberin aus? Für mich steht am Anfang immer eine gemeinsame Vision, ein Warum, für das es sich lohnt, jeden Tag aufzustehen. Das ist nicht nur für uns Unternehmerinnen und Unternehmer wichtig, sondern auch für jeden einzelnen Mitarbeiter. Eine sinnstiftende Tätigkeit auszuüben, schafft ein hohes Maß an Zufriedenheit. Wir haben uns mit unserem Team auf unsere sogenannte DNA verständigt. Unsere DNA beschreibt, wie wir die Dinge angehen – wie wir ticken. Wir sind auf der einen Seite Familie und auf der anderen Seite leistungsorientiert. Wie wirkt sich dieses Leitbild auf Deine Mitarbeiterführung aus? In der Mitarbeiterführung berufen wir uns immer wieder auf unsere Werte. Zudem arbeiten wir zielorientiert. Wir setzen uns am Jahresende mit der ganzen Mannschaft zu unserer Jahreszielplanung zusammen und besprechen die Ziele des kommenden Jahres, deren Kennzahlen und die Maßnahmen, die nötig sind, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Es geht also um was. Das ist etwas anderes, als vor sich hinzuarbeiten. Außerdem haben wir eine klare Organisationsstruktur, in der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Verantwortung übernehmen können. Unsere Teamleiter:innen und deren Stellvertretende sind für uns wichtig. Diese bilden wir aus in Mitarbeiterführung, Organisation, Rhetorik und vielem mehr. Kannst Du diese Organisationsstruktur etwas näher beschreiben? Neben Jan und mir haben wir noch eine zweite Führungsebene. Das sind unsere beiden Geschäftsführer – übrigens aus dem eigenen Stall gewachsen. Jan Ludwig ist Physiotherapeut und Patrick Schröder Sportwissenschaftler. Zudem unterstützt uns Katharina Ries als Prokuristin. Sie ist Juristin und von extern zu uns gestoßen. Die Entscheidung, eine zweite Führungsebene einzuführen, war für uns sehr entlastend, denn wir können nicht mehr mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geplant sprechen. Nun sorgt ein systematisches Kommunikations- und Feedbacksystem dafür, dass Jan und ich auch noch nah an den Mitarbeitenden sein können. Des Weiteren werden die Teamleiter immer wichtiger, übernehmen Verantwortung und sind der erste Ansprechpartner für ihre Teammitglieder. Auf Deiner Website bewirbst Du Dich direkt auf der Startseite als neue Arbeitgeberin. Wie gehst Du mit dem Fachkräftemangel um? Wie gelingt es Dir, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden und zu halten? Ich glaube, ein wesentlicher Bestandteil der Mitarbeiterbindung ist, als Arbeitgeber zu wissen, was man für ein Arbeitgeber ist. Philosophie, Werte und Visionen spielen dabei eine große Rolle. Wir stellen uns oft die Frage, ob wir in Deutschland tatsächlich nur unter einem Fachkräftemangel leiden, oder ob wir vielleicht auch einen Mangel an attraktiven Arbeitgebern haben … Wertschätzung ist das zweite, zentrale Thema. Mittlerweile liest man das in jeder Anzeige. Ob das allerdings immer deckungsgleich mit der Realität ist, ist fraglich. Natürlich machen wir auch nicht immer alles richtig! Wir machen sogar vieles nicht gut. Wir versuchen aber immer in den Dialog zu gehen und uns zu reflektieren. Der dritte zentrale Punkt ist, ob die Mitarbeitenden so sein können, wie sie sind. Ich bin eine Verfechterin der authentischen Führung. Ich möchte mich nicht verstellen, wenn ich auf der Arbeit bin. Gerade jungen Menschen ist es wichtig, so angenommen zu werden, wie sie sind. Ohne Wertung. Das machen wir, glaube ich, ganz gut. Bei einem Team mit 120 Menschen gehen die Interessen und Bedürfnisse doch sicherlich auch mal auseinander. Wie schafft Ihr es, den unterschiedlichen Ansprüchen und Erwartungen Mitarbeitenden gerecht zu werden? In unserem therapeutischen Leitbild legten wir fest, dass wir unsere Patientinnen und Patienten so schnell wie möglich in die Aktivität bringen wollen. Dafür haben wir gemeinsame Strategien ausgearbeitet, die gerade jungen Therapeut:innen zugutekommen und nicht immer eine 1:1-Behandlungssituation bedeuten. Ältere Therapeutinnen und Therapeuten nehmen bei uns eine Mentorenrolle ein. Das fördert den Zusammenhalt und schafft Verständnis – generationsübergreifend. Wir beschäftigen uns auch sehr genau mit den unterschiedlichen Bedürfnissen der einzelnen Generationen. Ein/e Mitarbeiter:in, die 1978 geboren ist, möchte anders geführt und angesprochen werden, als Mitarbeitende, die in den 90ern geboren sind. Darauf stellen wir uns in unserer Art zu führen ein. Von uns als Arbeitgeber fordert das ein hohes Maß an Flexibilität und Offenheit und gleichzeitig Vermittlungsgeschick, wenn die Generationen in der Praxis zusammenarbeiten. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch unser interdisziplinäres Konzept dafür sorgt, dass Therapeut:innen auf uns aufmerksam werden. Das gibt es in der Form nicht oft. Und meist auch nicht die Möglichkeit von tatsächlichem Austausch. Die Therapierenden heute haben andere Bedürfnisse als noch vor 15 bis 20 Jahren. Ich glaube, es bedarf einer gesunden Mischung aus Fördern der Mitarbeiter:innen und auch Fordern von Leistung. Wie gelingt es Dir, bei der großen Anzahl von Mitarbeitenden diese ans Unternehmen zu binden und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen? Wir schreiben gemeinsame Geschichten und gehen gestärkt aus jeder schwierigen Situation heraus, weil wir zusammengestanden haben. Wir feiern gerne und uns als Unternehmensleitung macht es einen Riesenspaß, für unsere Mannschaft unsere Sommerevents und Weihnachtsfeiern zu organisieren. Die gemeinsame Zeit, die wir dort verbringen, sorgt unserer Meinung nach für eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen. Im vergangenen Jahr sind sogar Mitarbeiter nach einer längeren Trennung wieder zurückgekommen. Welchen Stellenwert haben Mütter als Mitarbeiterinnen für Dich? Mütter haben bei uns einen sehr hohen Stellenwert im Unternehmen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist eine Mutter selten krank und hat ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein. Das kommt uns als Arbeitgeber natürlich zugute und das geben wir mit Vertrauen zurück. In über 15 Jahren haben wir mehr als 40 MediFit-Babys auf die Welt gebracht und uns als Arbeitgeber über jedes gefreut. Wir gehen mit diesem Thema transparent, locker und wertschätzend um. Wir sind froh über jede Mutter, die zurück in die Praxis kommt. Der begrenzende Faktor ist natürlich die Kinderbetreuung. Ich finde es schade, dass es hier immer noch so wenig Flexibilität gibt. Als Arbeitgeber tun wir alles, um die Familie zu unterstützen. Wir bezuschussen die Kita oder sonstige Betreuungskosten. Da gibt es ganz tolle Brutto-Netto-Lohnumwandlungen, durch die wir Familien wirklich entlasten können. Wir sind dankbar für alle Mütter, die bei uns arbeiten. Denn die Erfahrung zeigt, wenn man Mütter wertschätzend behandelt, sind sie sehr loyal und bleiben dem Unternehmen lange erhalten. Du bist selbst Unternehmerin und Mutter. Wie vereinbarst Du für Dich Beruf und Familie? Mein Mann und ich haben uns darauf verständigt, dass nicht immer alles gleichzeitig wichtig sein kann. Wir fahren gut mit der Priorisierung von einzelnen Hüten, die wir täglich tragen. Wenn am Vormittag die Priorität auf dem Therapiezentrum liegt, genießt vielleicht am Nachmittag unsere Tochter die volle Aufmerksamkeit. Wir schaffen uns regelmäßig Freiraum als Paar und auch jeder für sich. Wenn jeder dafür sorgt, dass es ihm selbst gut geht, kann er auch dafür sorgen, dass es allen anderen gut geht. Analog zu einer Katastrophe im Flieger: Zuerst braucht man selbst die Sauerstoffversorgung, dann kann man sich um die anderen kümmern. Unser Familien-Mindset ist 1+1+1>3. Im vergangenen Jahr hast Du den Hessischen Unternehmerinnenpreis erhalten. Herzlichen Glückwunsch! Wie kam es dazu und was hat sich seitdem für Dich verändert? Tatsächlich bin ich über das Internet auf den hessischen Unternehmerinnenpreis gestoßen und war zunächst nur interessiert, was man dafür alles leisten muss. Das war ein Online-Formular und ich habe mich einfach interessehalber durchgeklickt und die Fragen nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt. Da habe ich erkannt, dass wir schon relativ viel in allen Themenbereichen erfüllen. Dann habe ich gedacht, schaden kann es nicht, und habe mich einfach beworben. Dass ich tatsächlich gewinne, hätte ich nie gedacht. Die Aufmerksamkeit war und ist immer noch groß, das freut mich sehr. Vor allem weil es den Therapiebereich in die Sichtbarkeit bringt. Ich persönlich beschäftige mich seither viel bewusster mit den Thema Frauen in Führungspositionen. Denn nach wie vor sind wir Frauen in Führungspositionen in der freien Wirtschaft unterrepräsentiert. Ich habe viele Frauen getroffen, die das ändern möchten, und vernetze mich daraufhin deutlich mehr als früher. Wie vernetzt Du Dich und welchen Stellenwert hat das Netzwerken inzwischen für Dich? Seit der Verleihung des Unternehmerinnenpreises hat das Netzwerken für mich an Bedeutung gewonnen. Nicht nur unter Frauen, sondern allgemein unter Unternehmen. In Frauennetzwerken stelle ich immer wieder fest, dass wir in punkto Geschäfte miteinander machen noch nachlegen dürfen. Männer bilden oft Seilschaften, während Frauen Netzwerke bilden und Priorität auf die gute Zeit miteinander legen. In dieser up-Ausgabe [4.2024 Anm. d. Red.] beschäftigen wir uns im Schwerpunkt mit dem Thema Altersvorsorge – nicht ausschließlich, aber in erster Linie für Praxisinhaberinnen. Wie sorgst Du persönlich als Selbstständige vor? Wir sind, was die Altersvorsorge betrifft, relativ konservativ und glauben an Immobilien. Das war in den vergangen zwei Jahren natürlich nicht einfach. Jeder von uns ist im Todesfall des anderen abgesichert. Wir sparen, so viel es geht, und investieren in ETFs. Was ich immer wieder feststelle, ist, dass gerade wir Therapeut:innen nicht immer eine finanzielle Intelligenz haben. Mein Mann und ich haben es uns zum Ziel gesetzt, unserer Tochter und auch unseren Mitarbeitenden finanzielle Strategien zu vermitteln. Wir wollen Wissen rund um das Thema Finanzen, Geld-Mindset und die Macht des Zinseszinses weitergeben. Tina, vielen Dank für das Gespräch. Hintergrund Tina Dammel hat zum 01.01.2009 gemeinsam mit ihrem damaligen Lebenspartner und heute Ehemann, Jan Boese, die Praxis MediFit in Rüsselsheim mit 15 Mitarbeitende übernommen. Die Physiotherapeutin und der Kaufmann haben seitdem gemeinsam Weiterbildungen in den Bereichen Personal- und Businesscoaching, Unternehmensführung und Mitarbeiterentwicklung absolviert. Im Unternehmen haben Tina und Jan unterschiedliche Schwerpunkte. Tina verantwortet den Bereich Marketing & Vertrieb sowie die Entwicklung der Arbeitgebermarke nach innen und außen inklusive Mitarbeitergewinnung. Ihr Mann ist für den Bereich Finanzen zuständig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen die beiden gemeinsam. Strategische Entscheidungen für alle Bereiche treffen sie zusammen. Derzeit arbeiten bei MediFit 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Bereiche Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Osteopathie, Podologie und gesundheitlich orientiertes Training abdecken. Täglich behandeln die Therapeutinnen und Therapeuten etwa 800 Patient:innen und bringen im präventiven Training rund 300 Menschen am Tag in Bewegung.