„Ein Bier geht noch“ – wenn Alkohol zum Problem wird

Alkoholismus erkennen, ansprechen und vorbeugen Die Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen durch Alkohol nimmt stetig zu. 2022 verursachte die beliebte Gesellschaftsdroge 15,3 Krankheitstage auf 100 Krankenversicherte. Ein trauriger Rekord. Doch wie solltet Ihr vorgehen, wenn Ihr bei einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter wiederholten Alkoholmissbrauch feststellt? Welche Rechte und Pflichten habt Ihr? Und wie könnt Ihr Betroffenen helfen? Lasse war am Abend mit seinen Jungs unterwegs und hat ein wenig gefeiert. Marianne lädt die Kolleg:innen in der Mittagspause zu einem Glas Sekt ein – es ist schließlich ihr Geburtstag. Aber ist es eigentlich erlaubt, mit Restalkohol im Blut zu arbeiten oder am Arbeitsplatz einen auszugeben? Das sagt die Rechtsprechung: Per Gesetz ist Alkoholkonsum während der Arbeitszeit in den meisten Berufsgruppen nicht pauschal verboten, solange Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Arbeit ordnungsgemäß ausführen können und weder sich noch andere gefährden. Durch Klauseln im Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarungen könnt Ihr Eurem Team jedoch trotzdem untersagen, alkoholisiert zu arbeiten. Ein Alkoholverbot am Arbeitsplatz ist grundsätzlich ratsam: Nicht nur, dass es bei Unfällen zu erheblichen Problemen mit der Unfallversicherung kommen kann. Behandeln Eure Therapeutinnen und Therapeuten mit Alkoholfahne oder sind durch ihren Pegel unkonzentriert, gefährdet das den Therapieerfolg und schadet Eurem Praxisimage. Eure Rechte und Pflichten als Arbeitgeber Natürlich macht es einen Unterschied, ob ein Mitarbeiter nach einer Feier am Wochenende ausnahmsweise mal seinen Rausch nicht ausgeschlafen hat. Oder ob ein Teammitglied immer wie- der alkoholisiert zur Arbeit erscheint und seine Leistung dadurch nachweislich abnimmt. Sich anhäufende Fehltage, Stimmungsschwankungen, nachlassende Zuverlässigkeit und körperliche sowie charakterliche Veränderungen können auf eine Alkoholabhängigkeit hindeuten – eine ernstzunehmende Suchterkrankung. Als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber unterliegt Ihr der soge- nannten Fürsorgepflicht. Erkennt Ihr, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter sich oder andere aufgrund eines alkoholisierten Zustands gefährdet, seid Ihr dazu verpflichtet, das Weiterarbeiten zu untersagen und sie oder ihn auf ihre oder seine Kosten beaufsichtigt nach Hause bringen oder ärztlich versorgen zu lassen. Für solche Situationen dürft Ihr eine Abmahnung und bei wiederholten Verstößen eine Kündigung aussprechen. Dokumentiert Vorfälle solcher Art und wendet Euch zur Sicherheit an eine auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei. Um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, könnt Ihr präventiv einige Maßnahmen in Eurer Praxis ergreifen: Klärt Euer Team regelmäßig durch Gesundheitstage, Workshops und Co. über Alkoholismus auf, verzichtet auch bei einem Jubiläum oder Geburtstag in der Praxis auf alkoholische Getränke und schafft ein Arbeitsklima, in dem Euer Team sich wohl- und wertgeschätzt fühlt und möglichst wenig Stress und Überstunden anhäuft. Schaut nicht weg! Nehmt Ihr trotzdem Anzeichen für ein erhöhtes Konsumverhalten wahr, solltet Ihr das Gespräch suchen. Das Wichtigste vorab: Es ist nicht Eure Aufgabe, eine mögliche Suchterkrankung zu diagnostizieren. Vielmehr solltet Ihr versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden, und der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter Unterstützung anbieten. Der ideale Gesprächsablauf: Schafft eine freundliche und vertrauliche Gesprächsatmosphäre. Schildert Eure Beobachtungen sachlich, ohne Wertung und lediglich auf die Arbeit bezogen. Äußert Eure Sorge um die betroffene Person und die künftige Zusammenarbeit. Gebt Eurem Gegenüber Raum, sich zu äußern, vermeidet dabei Diskussionen Bietet Eure Unterstützung an und weist auf mögliche Beratungsangebote hin. Klärt die Person über ihre Verantwortung als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter auf und vereinbart gemeinsam Ziele und das weitere Vorgehen. Verdeutlicht, welche Konsequenzen es für die weitere Zusammenarbeit haben kann, wenn sich die Situation nicht ändert. Protokolliert Euer Gespräch und vereinbart einen verbindlichen Folgetermin. Don’ts im Umgang mit der Situation: Schaut nicht weg. Macht Eurem Gegenüber keine Vorwürfe für die Erkrankung. Gebt keine medizinischen Tipps oder Ratschläge. Setzt die Person nicht unter Druck. Weder Ihr selbst noch Eure Teammitglieder sollten die Fehler der Betroffenen decken oder den Arbeitsverlust ausgleichen. Damit helft Ihr nicht, sondern schont denjenigen. Wenn es keinen Anlass zur Veränderung gibt, kann sich der Krankheitsverlauf dadurch noch verschlimmern. Das bedeutet nicht, Euer Teammitglied fallen zu lassen. Jedoch sind Suchterkrankungen in der Regel nur dann behandelbar, wenn die betroffene Person selbst die Notwendigkeit einer Behandlung erkennt. In der kostenlosen Broschüre Alkohol am Arbeitsplatz – Eine Praxishilfe für Führungskräfte stellt die BARMER in Zusammenarbeit mit der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. weitere ausführliche Hinweise und Tipps zum Umgang mit Alkoholismus in der Praxis zur Verfügung. Alkoholismus trifft auch Praxisinhaber Depressionen, Schicksalsschläge oder Stress: Die Auslöser für Alkoholabhängigkeit sind vielseitig und können jeden treffen – Praxisinhaber:innen genauso wie die Mitarbeiter:innen. Umso wichtiger ist es, achtsam zu sein, Verständnis zu zeigen und nicht wegzusehen, auch nicht bei sich selbst. Ein erster Schritt, eine Alkoholproblematik zu erkennen, kann ein Selbsttest sein, wie ihn zum Beispiel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Verfügung stellt. Dort findet Ihr außerdem geeignete Beratungsangebote.