Balanceakt Betreuung/Pflege und Beruf

In unserem Arbeitsleben durchlaufen wir verschiedene Lebensphasen, die sich auf uns und unsere Arbeit auswirken. Dazu gehören Elternschaft mit Kinderbetreuung und die Pflege von Angehörigen. Beide bringen vor allem eine Herausforderung mit sich: die Vereinbarkeit mit dem Beruf. Warum Du betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen solltest und welche konkreten Maßnahmen Du ergreifen kannst, erfährst Du in diesem Artikel. Zusätzlich erhältst Du Informationen zu Rechtsansprüchen und hilfreichen Onlineportalen. Für Deinen Werkzeugkoffer findest Du eine Checkliste für den Notfall. Beruhigend in plötzlich auftretenden Situationen, die schnelle Reaktionen und Organisationsgeschick erfordern. Rund 6,9 Millionen Mütter und 5,9 Millionen Väter in Deutschland betreuen ein Kind im Alter unter 15 Jahren. Sie sind mehrheitlich erwerbstätig: Frauen zu 67 Prozent, Männer zu 92 Prozent. Von rund 3,7 Millionen Pflegebedürftigen werden 80 Prozent zu Hause von Angehörigen und ambulanten Pflegediensten versorgt. Auch von den pflegenden Angehörigen sind zwei Drittel berufstätig. Sowohl Betreuende als auch Pflegende müssen große organisatorische und emotionale Herausforderungen meistern. Gerade für Pflegende ist die körperliche und psychische Belastung groß und zieht Erschöpfungszustände nach sich. Beide Personengruppen stehen ständig vor dem Problem, Betreuung oder Pflege zeitlich mit ihrem Job zu vereinbaren. Genau dafür gibt es zwar staatliche Unterstützungsangebote, diese erreichen jedoch längst nicht alle Betroffenen. Ihre Lebenswirklichkeit erfordert meistens viel mehr als das, was die Gesetzgebung zulässt. Der zeitliche Balanceakt ist einer der größten Stressfaktoren. Betroffene fürchten Unverständnis von Vorgesetzten und im Team, berufliche Nachteile und den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Klappt die Vereinbarkeit nicht, reduzieren sie in der Regel ihre Arbeitszeit oder geben die Arbeit ganz auf – ein Risiko für die individuelle Erwerbsbiografie und berufliche Entwicklungschancen. Unternehmen sind dann gezwungen, Arbeit auf oftmals ohnehin knappe Personalressourcen umzuverteilen. Vorteile familienbewusster Personalpolitik Ohne Unterstützung sind bei Betroffenen Zeitkonflikte wahrscheinlich. Ihre Leistungs- und Konzentrationsfähigkeiten sinken, Krankheit und Krankmeldung können folgen. Durch Ausfallzeiten, höhere Fehlerquoten oder Arbeitszeitkürzung entstehen für Praxen Kosten. Gibt das Teammitglied den Beruf ganz auf, bedeutet das neben dem Wissensverlust weitere Kosten für Rekrutierung und Einarbeitung. Und das in Zeiten, in denen Praxen unter dem Fachkräftemangel leiden. Für sie rechnet sich eine familienfreundliche Personalpolitik. Ihre hohe Bedeutung für den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg belegen Studien. Familienbewusste Maßnahmen bringen einen Standortvorteil und machen eine Praxis zum attraktiven Arbeitsplatz. Je besser die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt, desto mehr Fachkräfte sind verfügbar. Neben Müttern, Vätern und Pflegenden zählen dazu auch Nachwuchskräfte, denen familienfreundliche Arbeitgeberangebote wichtig sind. Die Vorteile für Praxen liegen also auf der Hand: gesteigerte Praxisattraktivität Imagegewinn einfachere Gewinnung und Sicherung von Fachkräften hohe Identifikation mit dem Arbeitgeber weniger Mitarbeiterfluktuation geringere Kosten für die Einarbeitung frühere Rückkehr aus Elternzeit geringere Kosten für Überbrückung und Wiedereingliederung besseres Betriebsklima, höhere Mitarbeitermotivation weniger Fehlzeiten und krankheitsbedingte Ausfälle leistungsfähigere und gesündere Mitarbeitende Das können Praxen tun Betreuende und pflegende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben eine Lebenssituation, die Flexibilität und Zeit benötigt – und Fragen aufwirft. Ihnen hilft ein niedrigschwelliger Zugang zu Informationen, Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Du als Arbeitgeber kannst entsprechendes Material sowie Kontakte zu Beratungsstellen und Dienstleistern bereithalten. Außerdem kannst Du die notwendigen innerbetrieblichen Voraussetzungen schaffen, um eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Betreuung/Pflege zu ermöglichen. Der folgende Maßnahmenkatalog besteht aus vier Bausteinen und liefert Dir jeweils mehrere Ideen. Damit kannst Du – vielleicht sogar gemeinsam mit Deinem Team – konkrete Angebote und Maßnahmen entwickeln, die tatsächlich helfen und zu Eurer Arbeitsorganisation und Praxiskultur passen. 1 | Pflege- und betreuungssensible Praxiskultur etablieren: aktuellen Bedarf im Team klären Praxisstrukturen und Organisation prüfen und anpassen bestehende Angebote auf Anwendbarkeit checken passendes Leitbild entwickeln Team schulen Pflege und Betreuung in Mitarbeitergespräche, Meetings usw. integrieren offene Gesprächskultur schaffen, in der sich Mitarbeitende offen äußern mögen konkrete Angebote entwickeln 2 | Intern und extern informieren und kommunizieren: Ansprechpartner für Pflegende und Betreuende benennen Infopaket zu Rechtsansprüchen und Beratungsmöglichkeiten zusammenstellen über konkrete Angebote der Praxis informieren Themen offen aufgreifen, etwa am schwarzen Brett, in einem Flyer usw. Leitbild auf Praxiswebsite und in Stellenangeboten kommunizieren Kontakt zum Teammitglied in Ausfallzeiten aufrechterhalten 3 | Flexible Arbeitsbedingungen gestalten: Maßnahmen für kurz-, mittel- und langfristige Pflegesituationen entwickeln individuelle Arbeitszeitregelungen schaffen flexible Arbeitszeiten und Pausen ermöglichen Homeoffice ermöglichen, wo es geht Jahres- oder Lebensarbeitszeitkonten einrichten Auszeiten gewähren Vertretung organisieren Aufgaben umverteilen Notfallplan aufstellen (siehe Checkliste unten) Team bei der Umgestaltung von Arbeitsprozessen einbeziehen 4 | Mit zusätzlichen Angeboten unterstützen und entlasten: Privatnutzung von Dienstwagen und -handy gestatten Entlastungsangebote im betrieblichen Gesundheitsmanagement Erfahrungsaustausch inner- und außerhalb der Praxis fördern finanzielle Unterstützung anbieten bei Wiedereinstieg Rückkehrgespräch zu Arbeitszeiten und Aufgaben führen Kinderbetreuungszuschuss zahlen (§ 3 Nr. 33 EStG) Beratung und kurzfristige Betreuung bezuschussen (§ 3 Nr. 34a EStG)) haushaltsnahe Dienstleistung bezuschussen betriebliche Betreuung anbieten, ggf. gemeinsam mit anderen Unternehmen Selbstfürsorge unterstützen, Stressbewältigungsangebote mit lokalen Netzwerken und Unternehmen zusammenarbeiten, z. B. Rahmenverträge mit Pflegeeinrichtungen und sozialen Dienstleistern abschließen Infopaket Praxen können pflegende und betreuende Mitarbeitende mit Informationen versorgen. Diese liefern beispielsweise die Websites www.erfolgsfaktorfamilie.de und www.wege-zur-pflege.de. Die Website der Verbraucherzentrale ist eine gute Anlaufstelle, um mehr über die Rechtsansprüche in Pflegezeiten zu erfahren. Die Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „So sag ich’s meinem Vorgesetzten. Elterneinstieg, Wiedereinstieg und flexible Arbeitsmodelle erfolgreich vereinbaren“ informiert zu Elternzeit und Wiedereinstieg ins Berufsleben. Das Servicetelefon Pflege beantwortet unter der Telefonnummer 030 20 179 131 Fragen. Alle Infos zur Pflege von Angehörigen findest Du im Online-Ratgeber des BMG unter https://tinyurl.com/bmg-ratgeber. Er ist in Kurzfassung als Ratgeber zum Thema Pflege kostenlos herunterladbar. Das Bürgertelefon des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales berät montags bis donnerstags zu Teilzeit unter 030 221 911 005. Und die Deutsche Rentenversicherung informiert online über Pflegezeit und Rentenanspruch. Eine Broschüre kann kostenfrei als PDF heruntergeladen und in der Praxis ausgelegt werden. Checkliste für Notfälle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jemanden betreuen oder pflegen, geraten immer wieder in Notfallsituationen. Wenn zum Beispiel die Kinderbetreuung kurzfristig ausfällt, Schulen oder Kitas geschlossen sind oder ein akuter Pflegefall eintritt, ist es hilfreich, wenn Du aus der Schublade einen fertigen Notfallplan ziehen kannst. Dann seid Ihr in der Praxis gerüstet, wenn’s hart auf hart kommt: Vertretung klären, Aufgaben umverteilen kurzzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes ermöglichen Kernarbeitszeiten aufheben oder erweitern flexible Pausen ermöglichen Minusstunden zu- oder sogar erlassen freie bezahlte Betreuungstage gewähren Sonderurlaub, eventuell auch stundenweise, gewähren Überstundenabbau ermöglichen Konto für Resturlaub aus Vorjahr nutzen Kurz erwähnt: Rechtsansprüche Die gesetzlichen Regelungen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf finden sich im Pflegezeitgesetz (PflegeZG), im Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) und im SGB XI. Das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf schafft individuelle Rahmenbedingungen für unterschiedliche Pflegesituationen. Beschäftigte haben für die häusliche Pflege eines Angehörigen im Akutfall und bei längeren Pflegezeiten Anspruch auf berufliche Freistellungen, finanzielle Hilfen oder zinslose Darlehen. Während dieser Zeit besteht für sie Kündigungsschutz. Der Anspruch auf Pflegezeit gilt für alle Pflegegrade. Dabei handelt es sich um eine vom Arbeitgeber nicht bezahlte, sozialversicherte Freistellung von der Arbeit für bis zu sechs Monate. Eltern haben Ansprüche auf Elternzeit und Elterngeld. Alle Infos zu staatlichen Familienleistungen, gesetzlichen Regelungen und Unterstützungsmöglichkeiten bündelt das Familienportal. Tipps für Arbeitgeber: Die Initiative Lokale Bündnisse für Familie ist ein Netzwerk von Akteurinnen und Akteuren aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung. Rund 300 Bündnisse arbeiten bundesweit daran, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor Ort zu unterstützen. Sie bieten Beratung und entwickeln Projekte für familienfreundliche Arbeits- und Lebensbedingungen. Gerade für Arbeitgeber sind sie ein geeigneter Ansprechpartner.